Beste Aussicht nach Osten

Putins Besuch in Deutschland hat die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Staaten befördert. Das betrifft auch die Rüstungsproduktion. von jörg kronauer

Eine feindliche Übernahme? Wladimir Putin schüttelt den Kopf. Es stimmt, sagt der Präsident: Die staatliche russische Wneschtorgbank hat fünf Prozent der Aktien des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS gekauft. Es stimmt auch, dass der Kreml über eine engere Kooperation zwischen der russischen Industrie und dem deutsch-französischen Unternehmen nachdenkt. Aber sich den Flugzeug- und Hubschrauberproduzenten, bei dem die deutsche Armee für die Hälfte ihres Rüstungsetats Mi­litärgüter kauft, vollständig unter den Nagel reißen zu wollen, das ist eine absurde Idee. Nein, sagt Wladimir Putin, eine feindliche Übernahme schließe er aus.

Zwei Tage lang hielt sich der russische Präsident in der vergangenen Woche in Deutschland auf. In Dresden traf er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen, in München führte er Gespräche mit Vertretern vorwiegend bayerischer Unternehmen, die fast die Hälfte der in Russland tätigen deutschen Firmen stellen. Da sich die öffentliche Wahrnehmung stark auf den Mord an der Journalistin Anna Politkovskaja konzentrierte, gerieten die trockenen Themen bei Putins Verhandlungen stark in den Hintergrund. Dabei sind es die Abmachungen zu jenen Themen, die das deutsch-russische Verhältnis in den kommenden Jahren grundlegend prägen werden: Wirtschaftsfragen, Energiepolitik und eine mögliche gemeinsame Rüstungsproduktion von EADS und der russischen Luft- und Raumfahrtindustrie.

So ging es zum Beispiel um die allgemeinen Handelsinteressen deutscher Firmen. Die deutschen Exporte nach Russland boomen, sie stiegen im vergangenen Jahr um 15,3 Prozent auf einen Wert von mehr als 17 Milliarden Euro an. Neue Profitmöglichkeiten ergäben sich, wenn Zölle und andere Hürden abgebaut würden. Er halte es daher für eine »interessante und verfolgenswerte Idee«, eine Freihandelszone zwischen der EU und Russland zu errichten, sagte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber in München. Putin hatte bereits zuvor gegenüber der Süddeutschen Zeitung seine Zustimmung für entsprechende Pläne signalisiert: »Wir halten das für sehr wichtig und sehen es positiv.«

»Die Zukunftsaussichten der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen sind exzellent«, fasste der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Klaus Mangold, in München zusammen. Nicht nur die Aussicht auf Freihandel lässt die Unternehmer frohlocken. Allein im kommenden Jahr wollen deutsche Firmen mehr als 1,4 Milliarden Euro in Russland investieren. Zu den größten Gewinnern gehört zurzeit der Münchner Siemens-Konzern. Erst im Mai hat er einen Großauftrag von der Russischen Eisenbahn erhalten. Acht Hochgeschwindigkeitszüge soll er liefern und 30 Jahre lang ihre Wartung übernehmen – für 600 Millionen Euro. Weitere 450 Millionen Euro beträgt das Volumen einer langfristig angelegten Kooperation mit der russischen Renova-Gruppe, in deren Rahmen Siemens Aufträge im Energie- und im Telekommunikationssektor sowie bei der Flughafenmodernisierung übernehmen wird. Die Verträge dafür wurden vorige Woche in Anwesenheit von Wladimir Putin unterzeichnet.

Zu den zentralen Gesprächsthemen bei Putins Deutschland-Besuch gehörten auch die russischen Energie­ressourcen. Die Frage, wie die Energieversorgung Deutschlands in den nächsten Jahrzehnten gesichert werden soll, treibt die politischen und wirtschaftlichen Eliten derzeit von einem Energiegipfel zum nächsten. Am Tag nach der Abreise des russischen Präsidenten nahm der Kanzleramtsminister Thomas de Maizière auf einem Symposium des Bundesnachrichtendienstes (Thema: »Energiesicherheit«) die russischen Erdgasvorräte in den Blick. Große Risiken gebe es, lamentierte de Maizière: »Selbst das Gas aus Nordwestsibirien, das seit langem mehr als ein Drittel unserer Erdgas­importe sichert und damit unverzichtbar ist, könnte zu einem Teil nach China abfließen.«

Das gilt es zu verhindern. »Die Außenpolitik dieser Bundesregierung ist ebenso wie die der Vorgängerregierungen darauf gerichtet, die Zusammenarbeit und Partnerschaft mit Russland weiter zu vertiefen«, hatte der Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Tag vor Putins Ankunft bekräftigt. In dieser Hinsicht brachte der russische Präsident gute Nachrichten mit. Sie betrafen das russische Stockman-Feld, eines der weltweit größten Erdgasvorkommen. »Gazprom hat gerade bekannt gegeben, dass vom Stockman-Feld Gas teilweise auch in die Ostsee-Pipeline geleitet werden soll«, sagte Putin der Süddeutschen Zeitung. Sollte das nordwestsibirische Erdgas tatsächlich teilweise nach China geliefert werden, wäre also für ausreichend Ersatz gesorgt.

Ein wichtiges Detail ließ Putin nicht unerwähnt. »Es war übrigens Frau Merkel, die während eines ihrer ersten Besuche in Russland diese Frage aufgeworfen hat«, erzählte er: »Sie bat mich zu prüfen, ob das Gas vom Stockman-Feld zumindest teilweise nach Europa und Deutschland geleitet werden könnte.« Zuvor war geplant gewesen, das Gas zu verflüssigen und mit Schiffen abzutransportieren – und zwar in die Vereinigten Staaten. Ausgerechnet die Kanzlerin aus der CDU scheint sich hier gegen den transatlantischen Rivalen durchgesetzt zu haben. Doch die russischen Energieressourcen bringen Deutschland nicht nur in neue Konkurrenz zu den USA, sie helfen auch, die deutsche Machtposition in der EU auszubauen. Die Ostsee-Pipeline verschafft der Bundesrepublik mit ihrem immensen Liefervolumen direkten Einfluss auf die Verteilung des Erdgases in West­europa, die vom Ende der Röhre in Greifswald aus organisiert werden muss.

Gesprochen wurde in Dresden und München auch über EADS. Der Konzern hat für Deutschland eine besondere Bedeutung. Seine Tochtergesellschaft Airbus wurde mit immensen staatlichen Finanzierungshilfen zum großen Konkurrenten des US-Flugzeugherstellers Boeing aufgebaut; seine Militärsparte spielt eine strategische Rolle für die deutsche Rüstungsproduktion. Dass die Wneschtorgbank EADS-Aktien gekauft hat, rief entsprechend Aufregung hervor. Die Bundesregierung hat keine Einwände dagegen. Auch russische Pläne für eine engere Zusammenarbeit zwischen EADS und russischen Luft- und Raumfahrtunternehmen stoßen in Deutschland nicht auf Widerstand. Merkel hat kürzlich gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac und Wladimir Putin eine Expertengruppe eingesetzt, die die Möglichkeiten hierfür auslotet.

»Man wird gemeinsame Projekte definieren, bei denen man sich von der Entwicklung bis hin zur Produktion ein gemeinsames Vorgehen vorstellen kann«, sagte Regierungssprecher Wilhelm voraus. Einzelne Kooperationen zwischen EADS und der russischen Industrie, die über umfangreiches technologisches Know-how verfügt, gibt es bereits seit Jahren. Während Putin sich in Dresden aufhielt, unterzeichneten die EADS-Tochter Airbus und das Dresdner EADS-Umrüstzentrum Elbe Flugzeugwerke eine Vereinbarung mit dem russischen Flugzeughersteller Irkut, an dem EADS mit zehn Prozent beteiligt ist. Demnach werden die drei Firmen gemeinsam ältere Airbus-Flieger der A 320-Familie zu Frachtflugzeugen umbauen. Militärisch nutzbare Kooperationen sind bereits im Gespräch. Die strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland dehnt sich nach und nach auf eine gemeinsame Rüstungsproduktion aus.