Brutal mit Methode

Antisemitischer Vorfall in Sachsen-Anhalt von stefan wirner

Die noch lebenden Altnazis dürften sich wundern, wie verbreitet ihre Methoden wieder sind. In Parey in Sachsen-Anhalt zwangen in der vorigen Woche drei Schüler einen Mitschüler, mit einem Plakat um den Hals über den Schulhof zu laufen, auf dem stand: »Ich bin am Ort das größte Schwein, ich lass’ mich nur mit Juden ein.« Die Polizei ermittelt gegen drei 15- bzw. 16jährige u.a. wegen Volksverhetzung und Nötigung.

Selbst konservative Politiker kommen heute, anders als noch in den neunziger Jahren, nicht mehr darum herum, die Ursachen für solche Vorfälle in der Mitte der Gesellschaft zu suchen. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), sagte am Freitag, es handle sich nicht um einen »Dumme-Jungen-Streich«, sondern um eine »sehr überlegte Handlung«. Er sprach von einem »unterschwelligen Rechtsradikalismus in unserer Gesellschaft«.

Anders als früher wird das Problem mit den Rechtsextremisten und ihrer Ideologie nicht mehr von allen Seiten verharmlost; die Fälle sind inzwischen zu zahlreich und zu widerwärtig. Immer öfter wenden die Täter Methoden an, die aus dem Nationalsozialismus bekannt sind. Einmal wird einem linken Jugendlichen ein Schild mit einem antisemitischen Spruch umgehängt, das andere Mal wird ein Buch verbrannt, wie etwa im Juni in Pretzien in Sachsen-Anhalt, wo während einer öffentlichen Sonnwendfeier das Tagebuch der Anne Frank ins Feuer geworfen wurde. Wenn es noch schlimmer kommt, wird ein Jugendlicher erschlagen, weil er jüdisch aussehe, wie etwa Marinus Schöberl im brandenburgischen Potzlow im Jahr 2002. Mord war die beliebteste Methode der Nazis.

Antisemitismus ist im Begriff, wieder zu einer alltäglichen Erscheinung zu werden. In manchen Einheiten der Bundeswehr ist das Wort »Jude« ein gebräuchliches Schimpfwort, genauso wie an bestimmten Schulen oder in Fußballstadien. (Siehe Seite 27) Sicherlich hat das mit der Brutalisierung der Gesellschaft in Zeiten der sozialen Krise und der verschärften Konkurrenz zu tun. Aber die Umstände erklären noch nicht die Form der Übergriffe. Die Aggression könnte sich auch gegen die Scheiben eines Supermarkts oder eines Arbeitsamts richten. Dass sie Juden, Ausländer und andere Minderheiten trifft, hat mit der spezifischen Verfasstheit dieser Gesellschaft zu tun.

Etwa mit ihrer Neigung, soziale Probleme zu personalisieren. Für die Arbeitslosigkeit werden Ausländer, die den Deutschen angeblich die Arbeitsplätze wegnehmen, verantwortlich gemacht, und für Firmenschließungen angeblich skrupellose Manager aus Übersee, die nur an den Profit dächten. Die Gründe für die Krise dürften die meisten Parteien auch weiterhin nicht im kapitalistischen Wirtschaftssystem, sondern unter den Minderheiten und im Ausland suchen. Wenn die CDU den Wert der ehrlichen, weil »deutschen« Arbeit betont, Sozialdemokraten und Gewerkschafter gegen angelsächsische »Heuschrecken« agitieren, die das Land ausplünderten, und die Linkspartei vor allem Israel zur Bedrohung des Weltfriedens erklärt, dann verstärken sie rassistische und antisemitische Vorurteile in der Bevölkerung, die sie anschließend, wenn die Ressentiments wie in Parey offen zutage treten, lauthals kritisieren und verdammen.

Diese widersprüchliche Antwort überzeugt viele Menschen nicht. Ihr universelles Feindbild sind wieder »die Juden«, die im Denken dieser Leute alle schlechten menschlichen Eigenschaften auf sich vereinen: die Gier, die Eigennützigkeit und das Vaterlandslose. Gegen sie wenden sie (oder ihre Kinder) die Methoden an, die ihnen noch immer vertraut und wirksam erscheinen.