»Das geht gar nicht«

Der Frankfurter Asta-Vorsitzende amin benaissa über die Perspektive der Uni-Proteste nach der Einführung der Studiengebühren

Amin Benaissa studiert Volkswirtschaft und Politik und ist Vorsitzender des Asta der Universität Frankfurt (Grüne Hochschulgruppe). Er war Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren.

In der vergangenen Woche schaffte ein Studienabbrecher bei Günther Jauch die Millionenfrage. Der Mann ist Aufzugsmonteur, hatte aber eigentlich Lehrer werden wollen und die Uni verlassen, als die Studiengebühren eingeführt wurden. Günther Jauch fragte sehr verwundert, ob er denn wirklich wegen des Geldes aufgehört habe. Eine typische Reaktion?

Absolut. Das Bewusstsein, dass Studiengebühren viele Studierende finanziell überfordern, hat sich noch nicht wirklich durchgesetzt. 500 Euro im Semester, also 80 Euro monatlich, das klingt ja auch erst mal gar nicht so viel. Aber man muss diese Summe natürlich zu den bereits vorhandenen Kosten für ein Studium dazu addieren. Studierende brauchen heute im Schnitt rund 700 Euro monatlich – und diese Summe muss natürlich erstmal irgendwo herkommen. In dieser Situation tun dann zusätzliche 80 Euro im Monat richtig weh.

Wie verändern Studiengebühren die Hochschule?

Das deutsche Bildungssystem sortiert Menschen bereits heute stark nach ihrer Herkunft. Studiengebühren werden diese Selektion noch weiter verschärfen. Das prognostizieren alle Studien. Kinder aus bildungsferneren Schichten haben eine viel stärkere Risiko-Aversion gegen eine Verschuldung und werden damit in Zukunft noch sehr viel stärker von der Hochschule ausgeschlossen sein.

Die Studiengebühren sind beschlossene Sache. Welche Perspektiven hat der Protest jetzt noch?

In der aktuellen Phase ist es besonders wichtig zu betonen, dass es um mehr geht als nur um die Verhinderung der Studiengebühren und dass die Vernetzungen der Studierendenschaften aus den verschiedenen Bundesländern und die Bündnisse mit den anderen sozialen Bewegungen eine Basis sind, auf der sich weitermachen lässt. Inhaltlich haben wir die Ebene der reinen Bildungspolitik verlassen und fordern seit Monaten eine Beschäf­tigung mit dem Thema der prekären Jobs. Aber im Moment interessiert sich die Öffentlichkeit nur für die Studiengebühren. Lest mal unsere Flyer, da geht’s um mehr als um Studiengebühren.

Habt ihr genügend Aufmerksamkeit von den ­Medien bekommen?

Wir haben immer das Problem gehabt, in den Medien mit konkreten Inhalten und Argumenten anzukommen. Die sozialen Probleme von Studierenden werden als etwas Vorübergehendes wahrgenommen, etwas, das nicht die gesamte Gesellschaft betrifft. Aber der entscheidende Schritt wurde getan, in verschiedenen Bundesländern gab es eine gewisse Radikalisierung, und dadurch hat man Öffentlichkeit gewonnen. Man ist in die Tagesschau gekommen und auf der Bundesebene angekommen. Das ist uns trotz der Schwierigkeiten, Proteste innerhalb des föderalen Bildungssystems zu organisieren, gelungen. Andere Bundesländer haben sich am Beispiel Hessens orientiert und sich die Protest- und Widerstandsformen angeeignet.

Die Studiengebühren werden zurzeit noch auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft. Bedeutet das das Ende des Protests?

Nein, beschlossen ist von unserer Seite ein Gebührenboykott. Das ist eine Aktion, die der Bewegung wieder ganz neue Chancen eröffnet. Sieben Bundesländer werden den Boykott organisieren, unterstützt von der jeweiligen Landes-Asten-Konferenz, gepusht wird das vom Studierendendachverband und vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren, die das auch auf die Bundesebene gehoben haben.

Setzt ihr irgendwelche Hoffnungen auf die Gerichts­entscheidungen?

Wir werden uns auf keinen Fall auf die Gerichte verlassen. Aber es ist ein nicht zu unterschätzender Erfolg, dass es in Hessen gelungen ist, durch die öffentliche Aufmerksamkeit so viel Druck zu erzeugen, dass die Oppositionsfraktionen von sich aus gegen das Gesetz klagen. Das ist in Nordrhein-Westfalen mit der SPD leider ganz anders gelaufen. Die Studierenden sind da einfach verraten worden. Das heißt aber nicht, dass wir uns von der Justiz viel erhoffen. Da wird am Ende vielleicht eine Verschlimmbesserung der Gesetze herauskommen. Was wir verlangen, ist aber nichts weniger als die vollständige Rücknahme der Gesetze.

Der Gebührenboykott ist ein stiller Protest. Warum keinen Streik?

Ein Unistreik ist eine zweischneidige Sache. Wir bestreiken damit unsere eigene Hochschule und die Mitarbeitenden, die sowieso mit uns solidarisch sind. Uns ist es wichtig, den Protest aus der Hochschule hinauszutragen in die Öffentlichkeit. Deshalb wurden Autobahnen oder CDU-Büros im ganzen Bundesgebiet besetzt.

Du hast in der vergangenen Woche in einer Talkshow gesessen. Auch eine Form des Protests?

Klar versuchen wir auch, den Mainstream zu bedienen. Aber das ist nicht der Schwerpunkt unserer Aktivitäten.

Bisher war die Dauer von Studienprotesten begrenzt, und pünktlich zu den Weihnachtsferien löste sich der Widerstand in Wohlgefallen auf.

Ich spekuliere ein bisschen darauf, dass sich die Bewegung radikalisiert. Es gibt ja eine neue Politisierung. In den vergangenen Jahren hat es an den Hochschulen eine enorme Politikverdrossenheit gegeben. Da mussten wir erst mal ansetzen und das ist in den protestaktiven Bundesländern auch gelungen. Wir haben einen Punkt erreicht, wo viele Studierende gemerkt haben, in welchem Land wir überhaupt leben. Und viele sind wirklich bereit, sich dagegen zu wehren. Damit ist ein Potenzial vorhanden, um die Proteste zu verschärfen.

Welche Bündnisse wollt ihr mit anderen sozialen Bewegungen eingehen?

Speziell in Frankfurt ist uns das ganz gut gelungen, hier wurden immer auch die kompletten Erwerbsloseninitiativen und die SchülerInnengruppierungen mit einbezogen. Die sind auf uns zugegangen und haben gesagt, wir wissen, euer Thema sind die Studiengebühren, aber dabei darf es nicht bleiben. Die Vernetzung mit ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen ist ein ganz wichtiger Schritt für uns gewesen.

Was hat ein 27jähriger linker Student der Volkswirtschaft einem 50jährigen Hartz-Empfänger mit seiner Demo mit­zuteilen?

Wir sagen: Hört mal zu, das ist hier nicht nur reine Bildungspolitik, kein »Studiengebühren-Scheiß«, was wir hier machen. Wir kämpfen auch für euch als Arbeitnehmer. Ihr könnt doch nicht zufrieden sein mit eurem Leben in einer Gesellschaft, in der alles neo­liberal umstruk­turiert wird, und euch damit abfinden, dass wir in ein Zweiklassensystem rutschen.

Mit welchen Organisationen arbeitet ihr zusammen?

Das Bündnis 3. Juni, das sich um die Demonstration gegen weitere »Reformen gegen uns« gebildet hat, arbeitet sehr gut mit uns zusammen. Wir wollen zum Beispiel den Aktionstag am 21. Oktober gemeinsam gestalten.

Der DGB ruft für diesen Tag zu Großdemonstrationen in fünf Städten auf, um gegen Sozialabbau zu protestieren. Mit dem Motto: »Das geht auch besser« konntet Ihr allerdings nichts anfangen.

Dieser Slogan ist einfach nicht angebracht. Deshalb sind wir gemeinsam beim DGB-Treffen aufmarschiert und haben gesagt, da machen wir nicht mit, wir machen unseren eigenen Slogan. Das geht nicht besser, das geht gar nicht, was hier mit uns passiert, und es ist eben die gesamtgesellschaftliche Perspektive angesprochen, da geht es längst nicht mehr nur um Bildungspolitik.

Euer Motto?

»Das geht nur ganz anders.«

Dahinter verbirgt sich welche Forderung?

Das ist die Forderung nach einem Politikwechsel in diesem Land. Wir verlangen einen Mindestlohn und die Abschaffung von Hartz IV.

Sind die Studentenproteste in Frankreich gegen die Arbeitsmarktreform das Vorbild?

Ja. Prekäre Arbeitsverhältnisse waren lange Zeit nicht das Thema der Studierendenschaften. Das hat sich geändert. Allerdings hatten wir zunächst keinen Ansprechpartner. Studierende haben in der Gesellschaft keine Lobby, nicht in der Politik, nicht bei den Gewerkschaften. Bei den Gewerkschaften war also einiges an Überzeugungsarbeit nötig, damit dort verstanden wurde: Wir sind auch zukünftige Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, wir wollen mit euch gegen prekäre Arbeitsverhältnisse kämpfen.

Welche Probleme ergeben sich denn, wenn Studierendenvertreter auf Gewerkschafter treffen?

Zum einen gibt es bei den großen Organisationen eine Trägheit des Apparats, der ja dann durch die Bank sozialdemokratisiert ist – und wir wissen sehr genau, wer inzwischen Vorreiter ist bei den Arbeitsmarktreformen. Zum anderen herrscht da natürlich immer noch so eine gewisse Skepsis gegenüber uns als der potenziell besser verdienenden Elite Aber wir können dieses Vorurteil aufweichen und werden auch in den Gewerkschaften unsere Bündnispartner bekommen.

Sind die Gewerkschaften die richtige Adresse, wenn es um prekäre Arbeitsverhältnisse geht?

Bisher war das vielleicht nicht der Fall. Aber dass ungesicherte Arbeitsverhältnisse ein großes Problem in unserer Gesellschaft darstellen und dass das nicht nur Akademiker betrifft, sondern auch Auszubildende, die keine festen Anstellungsverhältnisse finden, wird mittlerweile auch bei den Gewerkschaften gesehen.

Warum ist Frankurt zum Zentrum der Proteste geworden?

Mit ein Grund sind sicher Strukturen, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben. Schließlich haben wir die Kritische Theorie in der Nachbarschaft. Es gibt hier noch immer ein theoretisches Fundament für den Widerstand und ein Wissen um die Legitimität.

interview: heike runge