»Die Leute wollen Pornos drehen«

Tatiana Bazzichelli und Gaia Novati

Unter Feministinnen und Linken stand die Pornografie lange im Ruf, Frauen zu erniedrigen und männliche Machtfantasien zu produzieren und zu repro­duzieren. Kritisiert wurden nicht nur die Arbeitsbedingungen, sondern die Gattung selbst. Demgegenüber gibt es Feministinnen, die glauben, dass es auch eine andere Pornografie geben könne. Darum geht es auf dem ersten »Porn-Film-Festival«, das am Wochenende in Berlin begann. In diesem Rahmen findet unter dem Titel »Cum2Cut« ein Wettbewerb für selbst gemachte Pornografie statt. Interessierte waren aufgerufen, innerhalb von drei Tagen einen fünfminütigen Kurzporno zu drehen. Die Filme werden am 21. Oktober gezeigt, tags darauf findet die Preisverleihung im Kant-Kino statt. Mit Tatiana Bazzichelli und Gaia Novati, den beiden Veranstalterinnen von »Cum2Cut«, sprach Theodora Becker.

Wie kamen Sie auf die Idee, diesen Pornowettbewerb zu veranstalten?

Bazzichelli: Ich komme aus dem Kontext von net-art und hacktivism in Italien. Die Idee von »do it yourself« spielt dabei eine wichtige Rolle, und das lässt sich gut mit dem Thema Pornografie verknüpfen. Meine Vorstellung von Porno besteht darin, Erfahrungen mit dem Körper und mit Sexualität zu teilen, und das »Cum2Cut-Festival« beruht ebenfalls auf dem »D. I. Y.«-Gedanken.

Novati: Wir beschäftigen uns in der Frauengruppe »Sexyshock« seit sechs Jahren mit Pornografie und den verschiedenen Per­spek­tiven darauf. Pornografie muss für mich mit dem täglichen Leben verbunden sein. Sie ist im alltäglichen Leben präsent, als voyeuristischer oder spielerischer Aspekt der Sexu­alität. Die Mainstream-Pornografie ist entfremdet von dem, was Menschen wirklich wollen, und von einem spielerischen Umgang mit den Geschlechtern. Viele Leute haben deswegen Angst vor Pornografie. Unser Wettbewerb soll so etwas wie ein Spiel sein, das Leute zusammenbringt und zusammen arbeiten lässt und ihnen die Möglichkeit gibt, Pornos zu machen, wie sie sie sich vorstellen. Denn die Leute wollen tatsächlich Pornos drehen.

Der Wettbewerb »Cum2Cut« begreift sich als »queer«. In welchem Sinne ist das zu verstehen?

Novati: Der Wettbewerb ist offen für verschie­dene genders und für die Transformation der Geschlechter. Der Begriff »queer« ist in der deutschen Diskussion stark an schwul-lesbische Kontexte gebunden, während er in Italien offener gebraucht wird und stärker mit der Aufhebung der Grenzen zwischen verschiedenen genders zu tun hat. Wir wollen für alle Menschen offen sein, die ihre Sexualität und ihre Körper ausdrücken wollen. Aber sie sollen ihre eigene Position vertreten und nicht der Mainstream-Pornografie nacheifern.

Wie wollen Sie es gewährleisten, dass die Teilnehmenden diesem politischen Anspruch genügen, Geschlechterrollen und Identitäten infrage zu stellen?

Bazzichelli: Unser Konzept ist ein Angebot an die Leute. Wir wollen, dass ganz normale Leute kommen, die interessiert sind an unserem Konzept von Porno.

Novati: Wir haben entschieden, in diesem Wettbewerb keine Leute zuzulassen, die professionell Pornos drehen. Wir wollen nicht nur einen Pornofilm-Wettbewerb veranstalten, sondern wir sehen diese Idee als einen Anstoß, als einen Anfangspunkt, der die Leute, die dort mitmachen, dazu bewegen kann, über Pornografie neu nach­zudenken und die Verknüpfung mit ihrem eigenen Leben zu sehen. Wir wollen ihnen zeigen, dass sie jederzeit einen Porno drehen können, wenn sie Lust dazu haben.

Wie werden die Beiträge bewertet? Was sind die Kriterien für einen guten Pornofilm?

Novati: Wir haben die Jury bewusst mit Leuten aus sehr unterschiedlichen Bereichen besetzt. Einige von ihnen machen selbst Pornos, andere nicht. Wir haben Leute, die Kunst machen, die politisch ak­tiv sind. Ich denke, dass die Mischung dieser verschiedenen Blickwinkel eine gute Beurteilung ergibt. Es gibt keinen »guten Porno«, weil Porno gar nicht klar definiert werden kann. Porno kann für je­den etwas anderes sein. Es geht bei »Cum2Cut« darum, was die teilnehmenden Personen selbst für Porno halten, wir geben keine Definition vor.

Ein Porno muss also nicht unbedingt dazu gemacht sein, den Betrachter zu erregen?

Novati: Man kann keinen Porno drehen, der jeden erregt. Ich kenne eine Menge guter Pornos, in denen eine schöne Penetration, ein schöner Fick, Pussies und alles vorkommen, die mich aber überhaupt nicht anmachen. Es gibt auch gute Por­nos, die lustig sind. Und es gibt andere Pornos, in denen überhaupt keine Pene­tration vorkommt und die mich dennoch sehr erregen.

Bazzichelli: Pornografie ist für mich nicht nur die Verwendung des Körpers, sondern auch die Verwendung der Fan­tasie und des Geistes, etwas Experimen­telles.

Also könnte es Pornos ohne Körper geben?

Bazzichelli: Pornos mit Körpern sind uns lieber.

Novati: Ja, es könnte Pornos ohne Körper geben, warum nicht?

Der Konsum von Pornografie wird oft mit Vereinzelung und Vereinsamung assoziiert.

Bazzichelli: Die Idee des Wettbewerbs ist es, Leute zusammenzubringen. Sie sollen ihre Fantasien und Erfahrungen teilen und etwas zusammen machen.

Novati: Wir wollen keine Pornorevo­lution. Das können wir gar nicht, weil Mainstream-Porno eine so große Macht darstellt. Aber wir wollen, dass die Leute über die Rolle nachdenken, die Pornografie in ihrem Leben spielen könnte. In dem Moment, wo ich über Porno reflektiere, stehe ich vielleicht gerade in der Küche und koche, und es könnte interessant sein zu sehen, was dabei herauskommt, wenn Leute auf diese Weise an Pornografie herangehen. Por­nografie ist nichts, was man nur im Fernseher betrachtet, sondern es ist etwas, das man macht und das man mit anderen Leuten teilt.

In Ihrem Aufruf heißt es, dass die ganze Stadt die Kulisse bilden solle. Glauben Sie, die Teilnehmer werden die Pornos auf offener Straße drehen?

Bazzichelli: Warum nicht? Ob die Leute das tun, liegt bei ihnen. Ich weiß nicht, ob das hier legal ist. Dieser Gedanke hat mit unserem Hintergrund zu tun, denn es ist eine Art situationistische Idee, das öffentlich zu machen. Das Pink Move­ment und die Queer-Bewegung haben viele situationistische Ideen aufgegriffen, die Idee, Konfusion zu verbreiten durch uneindeutige Situationen und die Leute dazu zu bringen, anders auf die Dinge zu blicken.

Welche Reaktionen ernten Sie bei Ihrer Beschäftigung mit Pornografie?

Bazzichelli: Viele Leute, mit denen wir wegen des Festivals gesprochen haben, waren überrascht, dass wir so normal aussehen. Sie dachten, dass ich Russin sei, wegen meines Vornamens, und dass wir beide Pornostars seien, weil sie das beim Stichwort Porno so erwarten.

Novati: Ich hatte in meinem Leben viele Schwierigkeiten, wenn ich mit Leuten über Pornografie sprach. Aber was ist dabei, wenn ich für mich selbst und mei­nen Freund oder meine Freundin Porno­grafie mache? Wenn andere es ansehen und Spaß damit haben können, warum nicht? Es ist auch interessant, dass in den letzten fünf, sechs Jahren viele Frauengruppen in der ganzen Welt angefangen haben, sich mit Pornografie zu beschäftigen und Homepornos zu machen. Das könnte etwas bedeuten.

Bazzichelli: Wir sollten aufhören, Porno­grafie als ein Tabu zu betrachten. Denn wenn wir das tun, überlassen wir sie dem Markt. Stattdessen sollten wir unsere Vorstellungen davon, was Pornografie sein könnte und sein sollte, rea­lisieren. Das hätte einen radikalen, auch politischen Aspekt, denn das bedeutet eine Veränderung dessen, wie die zukünftige Pornografie sein wird. Man kann darauf Einfluss nehmen, genau wie es einen Unterschied macht, ob man seinen Fisch abgepackt im Supermarkt kauft oder frisch auf dem Wochenmarkt.