»Ick hab’s nich jehört«

Das Sportgericht hat die Wiederholung des Spiels TuS Makkabi Berlin gegen VSG Altglienicke angeordnet, bei dem es im September zu schweren antisemitischen Pöbeleien kam. von alex feuerherdt

Normalerweise interessieren sich nur die ganz Hartgesottenen für Spiele in der Kreisliga B. Als am Sonntag die Reserve des TuS Makkabi Berlin gegen Rotation Prenzlauer Berg antrat, war das jedoch anders: Ein Kamerateam des WDR begleitete das Spiel, Radio Berlin-Brandenburg hatte einen Mitarbeiter entsandt und auch der Münchner Zündfunk war vor Ort. Grund dafür war der Abbruch der Partie von Makkabis Zweitvertretung bei der VSG Altglienicke II Ende September: »Synagogen müssen brennen«, »Führer, Führer, Führer«, »Auschwitz ist wieder da«, »Dies ist kein Judenstaat, dies ist keine deutsche Judenrepublik«, »Vergast die Juden«, »Hier regiert nicht der DFB, hier regiert die NPD« und andere antisemitische Parolen hatte eine Gruppe von etwa 15 Neo­nazis während des Spiels unablässig gegrölt.

Der Schiedsrichter unternahm nichts, obwohl ihn die Makkabi-Kicker mehrere Male auf die Hassgesänge aufmerksam machten, und auch der gastgebende Verein blieb untätig. Eine Viertelstunde vor Spielende reichte es Rafael Tepmann schließlich: Der Makkabi-Spieler ging auf die Neonazis zu und forderte sie auf, endlich den Mund zu halten. Dafür zeigte ihm der Referee die gelbe Karte. Mitspieler Vernen Liebermann, der zum Unparteiischen gesagt hatte: »Wenn Sie einen Funken Anstand haben für die Geschichte in diesem Land, dann müssen Sie uns jetzt helfen«, flog mit der gelb-roten Karte vom Platz. Daraufhin weigerte Makkabi sich weiterzuspielen; die Partie wurde abgebrochen. Als die Spieler zu ihren Autos gingen, wurden sie von den auf dem Parkplatz wartenden Neonazis beschimpft und bedroht.

Schiedsrichter Klaus Brüning gab in seinem Sonderbericht an, die Parolen nicht gehört zu haben, und auch Kerstin Forchert, die Altglienicker Trainerin, konnte sich »an nichts erinnern«. Die Einträge von Altglienicker Vereinsmitgliedern, die sich auf der Homepage der VSG Altglienicke bei Makkabi entschuldigt hatten, wurden wieder gelöscht. Der Berliner Fußballverband (BFV) schwieg sich zunächst aus; erst nachdem Makkabi-Präsident Tuvia Schlesinger ihm Untätigkeit vorwarf, rang der BFV sich zu einer Pressemitteilung durch, in der er versprach, die Vorschriften des Weltfußballverbands Fifa umzusetzen, nach denen bei rassistischen oder antisemitischen Schmähungen und Handlungen empfindliche Strafen gegen die betreffenden Vereine ausgesprochen werden können. Schlesinger schrieb daraufhin einen offenen Brief an den Verband, in dem er klarstellte: »Weder der Schiedsrichter noch die Funktionäre des Heimvereins machten nur den geringsten Versuch, dieses skandalöse und menschenverachtende Verhalten zu unterbinden. Hier wurden schwere verfassungsfeindliche Straftaten begangen, die durch Vertreter des Vereins und des BFV durch ihre Passivität geduldet wurden.«

Bei der Sportgerichtsverhandlung am Dienstag vergangener Woche blieben jedoch sowohl der Schiedsrichter als auch die Altglienicker Spieler und Funktionäre bei ihrer Darstellung, keine antisemitischen Schmähungen vernommen zu haben – und das, obwohl die Neonazis direkt neben der Bank der Gastgeber gestanden hatten. Auf Worte des Bedauerns oder der Selbstkritik warteten die Verantwortlichen und die Spieler von Makkabi vergeblich. Rafael Tepmann sagte am Rande des Spiels seiner Mannschaft am vergangenen Sonntag zur Jungle World: »Ich habe den Schiedsrichter mindestens fünf Mal auf die Sprüche aufmerksam gemacht, aber er sagte immer nur: ›Ick hab’s nich jehört.‹ Für mich war es offensichtlich, dass der die gleiche Einstellung hat wie die Schreihälse im Publikum. Wenn der kein Antisemit ist, bin ich kein Jude mehr. Der sollte nie wieder ein Spiel pfeifen dürfen.«

Informationen des ZDF zufolge wird Referee Klaus Brüning tatsächlich »dauerhaft aus dem Verkehr gezogen«. Ansonsten fiel das Urteil der Spruchkammer jedoch erstaunlich milde aus: Die Begegnung zwischen Altglienicke II und Makkabi II wird auf neutralem Platz wiederholt; darüber hinaus müssen die Altglienicker die nächsten zwei Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen und bis zum Ende der kommenden Saison mit Armbinden gekennzeichnete Platzordner stellen, die gegen antisemitische und rassistische Parolen einschreiten sollen. Die auf dem Spielberichtsformular aufgeführten 14 Spieler, die Trainer und Betreuer des Klubs müssen zudem an einem Seminar des BFV gegen Rassismus teilnehmen, widrigenfalls werden sie gesperrt.

Während BFV-Präsident Bernd Schultz von einem »ausgewogenen Urteil« sprach, das »eher helfenden als strafenden Charakter« habe, kritisierte Rafael Tepmann: »Es hätte einen Punktabzug und Geldstrafen geben müssen. Und zwei Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind lächerlich – in der Kreisliga schaut doch ohnehin kaum jemand zu.« Auch Mitspieler Alexander Zoi schüttelte den Kopf: »Altglienicke ist nicht hart genug bestraft worden. Und über dieses Seminar lachen die doch nur.« Tuvia Schlesinger sagte der Jungle World: »Wir wollen vor einer abschließenden Einschätzung erst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, denn die Entscheidung weist doch einige Widersprüche auf: Warum müssen wir uns an den Kosten des Verfahrens beteiligen? Und weshalb wird das Spiel wiederholt, wenn doch deutlich geworden ist, dass es irregulär war?« Außerdem reiche der Schiedsspruch »nicht aus, um ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus zu setzen«. Es könne nicht sein, dass man »mit Weghören ungestraft davonkommt«.

Schlesinger hatte dem BFV bereits vor der Sportgerichtsverhandlung den Vorschlag unterbreitet, ein Seminar zum Thema Rechtsextremismus für Spieler, Trainer und Verantwortliche der VSG Altglienicke im Centrum Judaicum durchzuführen, wo zurzeit die Ausstellung »Kicker, Kämpfer, Legenden« über jüdischen Fußball in Deutschland gezeigt wird. Eine Antwort des Verbandes stehe noch aus. Erfreulich sei, so Schlesinger, dass einige Berliner Vereine ihre Solidarität mit dem jüdischen Klub geäußert hätten: »Wir haben viele E-Mails bekommen, und der Vorstand von Türkiyemspor Berlin hat das heutige Spiel unserer ersten Mannschaft sogar demonstrativ besucht. Wir überlegen gemeinsam, mit einem Freundschaftsspiel unserer beiden Klubs ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus zu setzen.« Was bei der Partie in Alt­glienicke geschah, ist für Schlesinger »einmalig seit dem Ende der Hitlerdiktatur – das waren pogromartige Zustände«.

Völlig überraschend seien die Ausschreitungen jedoch nicht gekommen: »Seit Monaten schon häufen sich die Feindseligkeiten bei Spielen unserer Mannschaften, vor allem seit unsere erste ihren Siegeszug bis in die Verbandsliga angetreten hat. Da hört man schon öfter mal Sprüche wie: ›Die Juden haben mit ihrem vielen Geld Spieler gekauft.‹« Für Spieler Rafael Tepmann war es daher höchste Zeit, »diese Vorfälle endlich öffentlich zu machen, weil Antisemitismus und Rassismus in Deutschland immer schlimmer werden und niemand etwas dagegen tut«. Er selbst habe während der Fußball-Weltmeisterschaft die deutsche Mannschaft unterstützt, »mit einer Fahne und allem drum und dran«. Doch das würde er inzwischen nicht mehr tun: »Mein Großvater hat mich schon gefragt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. Und inzwischen verstehe ich ihn.«

Tepmann ist einer der wenigen jüdischen Spieler bei Makkabi, einem Verein, der 1898 unter dem Namen Bar Kochba ins Leben gerufen wurde und den die Nationalsozialisten 1938 auflösten. 1970 gründete sich der Klub neu und schaffte es in den achtziger Jahren bis in die Oberliga. Fehlende finanzielle Mittel bescherten dem Verein einen Absturz bis in die Niederungen des Freizeitfußballs. Nun spielt er in der Verbandsliga, hat rund 500 Mitglieder und ist einer von 30 Makkabi-Klubs in Deutschland. In seinen Teams spielen Türken und Armenier, Polen und Russen, Chinesen und Inder, Iraner und Deutsche. Vor Beginn dieser Saison wechselten sechs Spieler des FC Hellas nach Streitigkeiten in ihrem Verein zur Reserve des jüdischen Klubs, berichtete der Spieler Vadim Baron, der die Partie gegen Rotation Prenzlauer Berg wegen einer Verletzung nur vom Spielfeldrand aus verfolgen konnte. »Wir sind ein interkultureller Verein, zu dem viele Spieler gerne kommen. Wir haben mit niemandem ein Problem, aber manche scheinen eins mit uns zu haben. Leider werden es immer mehr«, sagte Rafael Tepmann.

Das Spiel gegen Rotation verlief ohne Zwischenfälle. Makkabi II gewann das Spitzenduell verdient mit 2:0 nach Toren des aus der Türkei stammenden Taner Besli und des Chinesen Cheung Ging. Schiedsrichter Dieter Löbert hatte keine Mühe mit der fairen Begegnung und brauchte noch nicht einmal eine gelbe Karte. »Na klar habe ich mir nach den Vorfällen Gedanken gemacht, wie es wohl laufen würde, aber ich kenne beide Mannschaften gut und hatte noch nie Schwierigkeiten mit ihnen«, sagte er nach dem Spiel. Die eigenartige Hörschwäche seines Kollegen Klaus Brüning mochte Löbert nicht kommentieren: »Ich war nicht dabei und weiß deshalb nicht genau, was passiert ist. Daher halte ich mich zurück.« Dass Brüning offenbar kein Spiel mehr pfeifen darf, wusste er da noch nicht.