Kim ohne Küchlein

Mit dem Test einer Atombombe will das nordkoreanische Regime eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den westlichen und den asiatischen Staaten gewinnen. von jörn schulz

Als Jesus geboren wurde, erschien nur ein recht unscheinbarer Stern am Himmel. Ein neuer Stern leuchtete auch auf, als Kim Jong-il am 16. Februar 1942 das Licht der Welt erblickte, aber es war noch viel mehr los: »Es gab Blitze und Donner, der Eisberg inmitten des Weihers am Berg Paektu zerbrach mit einem geheimnisvollen Laut, und am Himmel erstrahlte ein doppelter Regenbogen.« Anders als die nordkoreanischen Propagandisten sind Historiker außerhalb des Landes zwar der Ansicht, Kim Jong-il sei bereits ein Jahr zuvor in einem sowjetischen Ausbildungslager in Wjatskoje geboren worden, doch für den »geliebten Führer« erscheint eine von der Natur gebührend gewürdigte Geburt am Fuße des heiligen Berges Paektu standesgemäßer.

Die staatliche verordnete Verehrung Kim Jong-ils geht über das hinaus, was gewöhnlich als Personenkult bezeichnet wird. Es genügt nicht, ihn als großen Staatsmann und Feldherrn darzustellen, man rühmt auch seine philosophische Weisheit, die von ihm bewirkte »Filmrevolution« und seine Verdienste um die »revolutionäre Oper«.

In der westlichen Welt dagegen gilt er als verschrobener Diktator, aber auch als Freund der guten Küche. So wird berichtet, er habe seinen Koch eigens nach Japan geschickt, um dort besonders gewürzte Reisküchlein zu erwerben. Kim Kyung Won, der ehemalige südkoreanische Botschafter in den USA, findet es beruhigend, dass der nordkoreanische Staatschef »kein Asket wie Hitler ist, dem es egal ist, ob er lebt oder stirbt. Ich glaube nicht, dass Kim einen Krieg beginnt, den er mit Sicherheit verliert.«

Regierungen und Geheimdienste können sich mit solchen Mutmaßungen nicht zufrieden geben. Sie wissen zwar, dass Kim Jong-il keine Anchovis auf seiner Pizza mag, sind sich aber nicht sicher, ob die Techniker des »geliebten Führers« fähig wären, eine Atombombe zu konstruieren, die klein genug ist, um auf eine Trägerrakete zu passen. Sie wissen nicht, wie groß die Reichweite der nordkoreanischen Raketen ist und ob sie ihr Ziel treffen würden. Auch über die politischen Ziele Kim Jong-ils, die Stabilität seines Regimes und die Haltung der Bevölkerung herrscht Unklarheit.

Seitdem die US-Marine vor der Küste Radioaktivität gemessen hat, gilt es als wahrscheinlich, dass das nordkoreanische Militär am Montag der vergangenen Woche tatsächlich eine Atombombe und nicht nur eine große Menge konventionellen Sprengstoffs zündete. Zu einer kampfstarken Militärmacht wird das Land dadurch nicht. Das konventionelle Arsenal ist veraltet, in einem militärischen Konflikt könnte die Armee allerdings große Teile der südkoreanischen Hauptstadt Seoul zerstören, die in der Reichweite nordkoreanischer Artilleriegeschütze und Kurzstreckenraketen liegt. Atombomben erhöhen das Zerstörungspotenzial, möglicherweise könnten nuklear bestückte Raketen auch Japan erreichen.

Fast alle Experten gehen jedoch davon aus, dass Kim Jong-il keine aggressiven außenpolitischen Ziele verfolgt. Ihm geht es vor allem um die Stabilität seines Regimes, das ohne ausländische Hilfe nicht überleben könnte. In den neunziger Jahren ist den Schätzungen von Hilfsorganisationen zufolge eine Million Nordkoreaner verhungert. Obwohl sich die Lage seitdem etwas verbessert hat, stellten UN-Experten bei der letzten Untersuchung im Jahr 2004 fest, dass 37 Prozent der Kinder chronisch unterernährt sind, allein das World Food Programme der Uno versorgt derzeit knapp zwei Millionen Nordkoreaner mit Nahrungsmitteln. Abhängig ist das Regime zudem von Energielieferungen aus China.

Kim Jong-il profitiert davon, dass vor allem China einen unkontrollierten Zusammenbruch seines Regimes fürchtet, der wahrscheinlich die Flucht von mehreren Millionen Menschen zur Folge hätte. Doch auch die meisten Politiker Südkoreas und Japans wünschen einen langsamen Reformprozess, und ungeachtet der hin und wieder martialischen Rhetorik dürfte auch die mit anderen Kriegen ausreichend beschäftigte US-Regierung diese Ansicht teilen.

Die Verhandlungen über das Atomprogramm schienen ein geeignetes Mittel zu sein, um kapitalistische Reformen zu fördern. Bereits der Zustrom von Nahrungsmitteln und Konsumgütern würde den Binnenhandel fördern, zudem könnte Kim Jong-il die für die Modernisierung der Wirtschaft erforderlichen Milliardenbeträge einstreichen, wenn er bereit wäre, sein Atomprogramm zu verkaufen. Demokratisierung wurde von ihm nicht verlangt, der chinesische Weg, kapitalistische Modernisierung unter fortdauernder Herrschaft einer Einheitspartei, gilt als ausreichend und auch realistischer.

Kim Jong-il schien sich auf diese Politik einzulassen. Sein Regime hat sich vom Stalinismus gelöst. Bereits die Entstehung einer Dynastie, die Übertragung der Macht von Kim Il-sung auf seinen Sohn Kim Jong-il im Jahr 1994 entsprach nicht den Regeln und Gepflogenheiten in k‑ommunistischen Parteien. Mit der Propagierung der Songun-Politik, die bestimmt, dass »die Armee vor die Arbeiterklasse gestellt« werden müsse und nunmehr »Säule und wichtigster Akteur der Revolution« sei, wurde die letzte theoretische Verbindung zum Marxismus gekappt. Im Jahr 2002 leitete das Regime zudem marktwirtschaftliche Reformen ein, auch über die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen für ausländische Investoren wurde diskutiert.

Entstanden ist auf diese Weise ein extrem nationalistischer Militärstaat, dessen Herrscher auf der Reinheit der »homogenen Nation« bestehen. Als Südkorea im April dieses Jahres beschloss, den Status ausländischer Ehepartner zu verbessern, empörte sich die nordkoreanische Zeitung Rodong Simnun über das »Gesindel, das nicht den Funken einer nationalen Seele« habe und »Korea multirassisch und amerikanisch machen« wolle.

Hinter den rassistischen Tiraden dürfte sich die panische Angst verbergen, dass zu enge Kontakte mit dem Ausland die Kontrolle über die Bevölkerung schwächen könnten. Möglicherweise war diese Angst auch das Motiv für den Atomtest. Die asiatischen und die westlichen Staaten wollen Kim Jong-il vermitteln, dass er nur die Atombombe oder das Geld haben kann. Der »geliebte Führer« aber will vielleicht beides. Wenn er sein Atomprogramm einmal verkauft hat, wäre er nur noch der skurrile Diktator eines verelendeten Staats, von dem man jene Kompromissbereitschaft verlangen könnte, die von Hilfsempfängern gewöhnlich erwartet wird. Er kann sich dann nicht darauf verlassen, dass die Angst vor dem Chaos nach seinem Sturz unbequeme Forderungen dauerhaft unterbindet.

Der UN-Sicherheitsrat beschloss am Wochenende eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Sanktionen, unter anderem wird der Verkauf von Waffen, Atomtechnologie und Luxusgütern an Nordkorea untersagt. Japan hat zudem jeglichen Handel mit Nordkorea eingestellt. Kim Jong-il wird nun vielleicht auf seine geliebten Reisküchlein verzichten müssen, doch für ein Land mit minimalem Außenhandel sind die Sanktionen nicht sehr bedeutsam. Ausländische Hilfsorganisationen werden weiterhin einen Teil der nordkoreanischen Bevölkerung versorgen, und China wird vermutlich weiterhin Energie liefern. Eine recht hilflose Politik, doch die Alternativen, eine Hungerblockade oder ein Krieg, wären noch weit unerfreulicher. Kim Jong-il könnte Erfolg haben.