Klein, aber emanzipiert

Am Wochenende traf sich in Berlin die »Emanzipatorische Linke« der Linkspartei zu einem Kongress. Es gab »emanzipatorische Denkanstöße«. von markus ströhlein

Auch emanzipatorische Linke müssen sich mit recht banalen Widrigkeiten herumplagen. Am Freitagabend sahen sie so aus: Zwei Redner, die für das Podium eingeladen waren, haben kurz zuvor abgesagt. Und in dem Saal, in den ohne weiteres 200 Menschen passen könnten, sitzen gerade einmal 20.

Das ist nicht gerade ein furioser Auftakt für eine Konferenz. Aber die Veranstaltung mit dem Titel »Die Linke zwischen Provinzialismus und Internationalismus« wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung auch sehr kurzfristig angesetzt. Die Konferenz unter dem Titel »Freiheit und Sozialismus – Come Together«, die vor allem am darauffolgenden Tag in der Kalkscheune in Berlin stattfinden sollte, wurde von Katja Kipping, der stellvertretenden Vorsitzenden der Linkspartei, Julia Bonk, einer Abgeordneten der Partei im sächsischen Landtag, Caren Lay, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im sächsischen Landtag, und anderen organisiert.

Sie haben im April 2006 den Text »Emanzipatorische Denkanstöße für die neue linke Partei« veröffentlicht. Was sie kritisieren, lässt sich recht einfach zusammenfassen: Die Linkspartei und die Wasg setzten sich zwar in der Tradition der Arbeiterbewegung für die sozialen Rechte ein, vernachlässigten jedoch den Kampf um die Freiheit der Einzelnen von staatlicher und autoritärer Unterdrückung.

Ob denn nun linke Provinzler oder linke Internationalisten zusammenhängen, ist die Frage am Freitagabend. Das Gespräch zwischen Silke Veth, einer Mitarbeiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und den beiden Bundestagsabgeordneten der Links­fraktion, Michael Leutert und Monika Knoche, ver­läuft im Zick-Zack-Kurs. Es springt vom »Eurozen­trismus« zum Blick auf »eine Welt«, von der Reform der Uno zum »Kampf um lokale Verbesserungen«, vom Verkauf öffentlicher Wohnungen in Dresden zum Feminismus und zur Ökologie als Formen internationalistischer Politik und wieder zurück. Ein Zuhörer stellt irgendwann fest: »Die Diskussion ist ein Zeichen der Ratlosigkeit.« Katja Kipping, die im Publikum sitzt, hebt abschließend zur Ideologiekritik an. So sei ein antiimperialistischer Internationalismus unannehmbar, weil er immer in den Antiamerikanismus verfalle. Ein Abgesandter von Linksruck protestiert.

Als Gregor Gysi, der Vorsitzende der Bundestags­fraktion der Linken, am nächsten Morgen sein Gruß­wort spricht, ist der Sitzungssaal trotz der frühen Uhrzeit gut gefüllt. Die Einladung habe ihn sehr gefreut. Dass es in seiner Partei Mitglieder gibt, die den Altersdurchschnitt von 69 Jahren erheblich unterschreiten, dürfte ihn ebenso freuen. Die Leute der »Emanzipatorischen Linken« tun das. Gysi muss sie also hegen und pflegen. Aber er muss ihnen auch sagen, wo es lang geht.

Den Namen »Emanzipatorische Linke« finde er »unheimlich stark«, aber auch »etwas anmaßend«, wie er meint. »Es ist wichtig, in die Traditionen einer Partei auch moderne Ideen einfließen zu lassen, aber es kommt immer auf die richtige Mischung an.« Er habe Verständnis für die Kritik an »herausragenden Persönlichkeiten« und an einer vermeintlichen »Leitung von oben«. Aber in einer Mediengesellschaft benötige man eine im Vordergrund stehende Parteielite. Dass die »Emanzipatorische Linke« den Zwang zur Arbeit grundsätzlich ablehne, sei gut und schön. Aber es gebe eben einen »objektiven Zwang zur Arbeit im Austausch mit der Natur«. Sonst könne die Menschheit nicht überleben.

Auch die Forderung nach einem bedin­gungslosen Grundeinkommen hält er für falsch. Wie wolle man die Kassiererin da­von überzeugen, für andere mitzuarbeiten? »Deshalb finde ich kleine Sanktionen nicht falsch, wenn jemand alle Arbeiten ablehnt. Die CDU will diese Menschen verhungern lassen. Aber wir machen da schon noch einen Unterschied«, erläutert er. Dann mahnt er noch: »Ich möchte euch davor warnen zu übertreiben.« Und schon ist er wieder weg. Sein Wahlkreis wartet. Kipping ruft ihm ein »Dankeschön« hinterher.

Am Tisch mit den Zeitungen, Zeitschriften und Flyern erkennt man, wer an den Diskussionen der »Emanzipato­rischen Linken« teilhaben möchte. Da liegt die Phase 2 neben der Zeitung des DGB, die Arranca neben der Zeitung der Wasg. Die Flyer der Jugendorganisation Solid findet man neben solchen, die für Veranstaltungen zur »Revolution« in Venezuela werben.

Läuft man an den Grüppchen von Besuchern vorbei, hört man häufig Gespräche in ausgeprägtem Sächsisch. Es ist, als habe der gesamte Jugendverband der Linkspartei aus Sachsen einen Tagesausflug nach Berlin unternommen. In den Workshops geht es um die »soziale Sicherung in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit«, um »Bildung und Selbstermächtigung« oder »Wirtschaftsdemokratie«. Im Workshop »Individuelle Rechte im Verhältnis zur Solidarität« geht es ins Detail. Über den richtigen Zeitpunkt, das Ehegatten-Splitting abzuschaffen, wird zeitweise heftig diskutiert. Und dann landen die Teilnehmer doch wieder bei der Frage des bedingungslosen Grundeinkommens.

»Wer macht dann die Drecksarbeit?«, fragen die einen. »Das reguliert sich schon«, antworten die anderen. »Wie kann man das Grundeinkommen internationalisieren?« will jemand wissen. »Wenn ein Land damit anfängt, werden die anderen schon nachziehen«, lautet die Antwort. Das Grundeinkommen in seinem Lauf hält also weder Ochs noch Esel auf.

Dass sich die zentrale Forderung der »Emanzipatorischen Linken« nach dem bedingungslosen Grundeinkommen nicht von selbst erfüllen wird, ist den Veranstaltern bewusst. Deshalb beschäftigt sich die abschließende Gesprächsrunde mit den »Subjekten der Emanzipation«. Wer soll das Ding schaukeln, der Staat, die Zivil­gesellschaft oder die Linke? Oder alle gemeinsam?

Nichts Genaues weiß man nicht. Caren Lay will sich nicht festlegen: »Jeder kann selbst entscheiden, wo er eingreifen will.« Dennoch wirbt sie für eine neue linke Partei, die mit den »sozialen Bewegungen« zusammenarbeitet, um »wirkungsmächtig« zu werden und »Transformationsprozesse« in Gang zu bringen. Alex Demirovic, stellvertretender Professor für allgemeine und politische Soziologie an der Universität Wuppertal, setzt sich dafür ein, die »Hegemonie in der Zivilgesellschaft« zu erringen, fordert aber vor allem einen »starken Staat«, der wenigstens die »formalen Regeln aufrecht erhält«. Lay warnt vor einem Rückgriff auf die »staatssozialistische Idee«.

Kolja Möller vom Landesvorstand der DGB-Jugend in Hessen plädiert für die verstärkte »Demokratisierung des Politischen«. Man müsse den »Staat als einen Ort politischer Auseinan­dersetzung nutzen«. Juliane Nagel, die jugendpolitische Sprecherin der Linkspartei in Sachsen, hält es eher mit der »Vermittlung zwischen der Partei und den sozialen Bewegungen«. Auch den kulturellen Bereich dürfe man nicht vernachlässigen. So gebe es zahlreiche Plattenlabels und Initiativen, die auf ihre Art zu einer Veränderung beitragen könnten, sagt sie.

Wie die »Emanzipatorische Linke« die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern beurteilt, erfährt man auf der Konferenz nicht. Wie steht sie zum »War on Terror«, zur Lage in Afghanistan oder zur Frage, wie man mit dem Iran umgehen soll? Vielleicht ging es auf der Konferenz aber auch um etwas ganz anderes. Um es mit den abschließenden Worten von Julia Bonk zu sagen: »Wir haben uns kennen gelernt.«