Radikaler werden!

Viele Linke beurteilen Neonazis lediglich nach staatsidealistischen Kriterien. von felix klopotek

Was die Erfolge der NPD und die sicht­bare Präsenz, ja Dominanz der Neonazis in weiten Teilen Ostdeutschlands angeht – da herrscht Ratlosigkeit inner­halb der Linken. Die drückt sich nicht etwa in Schweigen aus, sondern in einem so widersprüchlichen Geschnatter, dass man den Eindruck hat, die jeweiligen Fraktionen würden über ganz verschiedene Länder sprechen.

Den einen ist der Erfolg der NPD ein untrügliches Anzeichen für den Zerfall der Demokratie, mithin einer schleichenden Faschisierung. Andere haben den Osten ohnehin als Wasteland, als Zombiezone abgeschrieben: Wer kann, haut ab. Dann gibt es jene, für die die »freien Kameradschaften«, die NPD und die marodierenden Skinheadbanden nur die Nachhut eines allgemeinen antiliberalen Ressentiments sind; die Vorhut, und die gelte es vorrangig zu bekämpfen, seien die Islamisten. Nicht zu vergessen sind die lässigen Zyniker, die auf den europäischen Normalzustand hin­weisen: Jetzt sind wir halt auch da, wo die Italiener, die Österreicher und Franzosen schon lange sind. Last but not least erfährt man von den Schutzheiligen der verirrten Schäfchen etwa das: »Die Leute wählen die rechten Demagogen nicht weil, sondern obwohl sie Nazis sind.« So schrieb es Jürgen Elsässer Mitte September in der jungen Welt. Weiter hieß es: »Nicht die Hitler-Nostalgie der NPD kommt gut an, sondern dass sie die Themen aufgegriffen hat, die die ehemalige PDS im Nordwesten viel zu sehr und in Berlin vollständig aufgegeben hat: die Würdigung der sozialen Errungenschaften der DDR und die Fundamen­talopposition gegen die Hartz-Politik.«

Es soll gar nicht bestritten werden, dass all diese Meinungen durchaus ein Stück von der Realität erhaschen und die Symptome oftmals treffgenau analysieren. Aber allen liegt derselbe Fehler zugrunde, und dass sie sich so heftig gegeneinander behaupten, liegt weniger an fundamentalen Unterschieden als an genau jenem Fehler.

Was ist das für ein Fehler? In allen Fällen wird die neonazistische Haltung an einer grundsätz­lich bejahten staatsbürgerlichen Haltung gemes­sen und aufgrund dieses Vergleichs verurteilt, bemitleidet oder als unerheblich abgetan. Wer zum Beispiel in dem Erfolg der Neonazis den Verfall der Demokratie (der Zivilgesellschaft, des freien Westens etc.pp.) entdeckt, verurteilt die Neonazis als schlechte Staatsbürger, welche die demokratischen Grundregeln nie gelernt haben oder – weil sie eine Art deutsch-nazistischen Gendefekt haben – nicht für die Demokratie taugen. Wer mit den Schultern zuckt – Faschisten und Nazis gehören nun mal dazu, siehe Österreich, Frankreich etc. –, akzeptiert das bürgerliche Gemeinwesen als so allumfassend, dass es auch die wieder erstarkten Nazis in sich aufnimmt. Jürgen Elsässer kommt eben­falls nicht ohne verhimmeltes Staatsbürgerideal aus, auch wenn es ein mittlerweile arg verblichenes ist. Es findet seine Verkörperung im anständigen DDR-Bürger, welcher der Neonazi gerne wieder sein will, zumindest unterstellt ihm das der Nostalgiker. Je nachdem wie man für sich das Staatsideal definiert – zynisch, nostalgisch, emphatisch –, nimmt man die entsprechende Haltung zu den Nazis ein und wirft den anderen Antifas implizit ein falsches Staatsideal vor.

Allen gilt der Neonazismus als mal gefährliche, mal läppische, mal tragische Abweichung von einem Demokratie-Ideal. Und plötzlich liegen die Antifaschisten, die, angesprochen auf Staat und Kapital Gift und Galle spucken, auf staatsbürgerlicher Linie. Was folgt, ist eine Konkurrenz mit staatlichen und halbstaatlichen Institutionen um die wirksamste Bekämpfung der Nazis. Deshalb die Ratlosigkeit: Antifas und Antideutsche, die ihrem Selbstverständnis nach zur radikalen Linken zählen, finden sich auf Seiten der Staatsmacht wieder. Und da sollte die Reise eigentlich gar nicht enden.

Ist das denn so falsch? Wäre es nicht tatsächlich viel beruhigender, eine Polizei auf seiner Seite zu haben, die, was faschistische Gewalt angeht, sensibilisiert ist? Wäre es nicht angenehmer, in einer Kleinstadt zu wohnen, in der auch der CDU-Bürgermeister gegen ein neues Vereinsheim der NPD protestiert? Die Antwort ist einfach: ja. Kein Kommunist bei Verstand wird den schlechten Verhält­nissen die ganz schlechten vorziehen. Aber warum muss über eine so bescheidene Einsicht gleich die ganze »revolutionäre Identität« in die Binsen gehen?

Das Problem mit dem staatsbürgerlichen Ideal ist dies: Wen an der bürger­lichen Demokratie in erster Linie die Neonazis stören, läuft Gefahr, den ganz normalen Nationalismus der Bürger nicht weiter ernst zu nehmen. Wer um­gekehrt die NPD und ihre programma­tischen Aussagen als Telos des bürgerlichen Nationalismus versteht, übersieht die relative ideologische Eigenständigkeit der Neo­nazis.

Sie sind nicht die Vorhut des deutschen Nationalismus, sondern vertreten eine eigenständige Interpretation desselben. Ihr nationalistischer Appell setzt weniger an der mangelnden Inte­gration aller Bürger im Hinblick auf das Gemeinwohl an – auch Studierende, die gegen Studiengebühren protestieren, oder Ärzte, die gegen ihre miesen Arbeitsbedingungen randalieren, sind in dieser staatsbürgerlichen Logik nur mangelhaft integriert –, son­dern auf die konsequente Identifika­tion und den radikalen Ausschluss aller »volksfremden« Elemente. Der Nationalismus der NPD geht von einer reinen Dichotomie von Innen und Außen aus. Der ideologische Unterschied zu den großen Parteien ist, was den harten nationalistischen Kern betrifft, graduell, der praktische sicher unüberbrückbar: hier brutale Straßen­gewalt, dort nüchtern exekutierte »Sachzwänge«.

Die fließenden ideologischen Übergänge können sich allerdings auch praktisch geltend machen: In Köln, der einzigen deutschen Großstadt, in der Faschisten in Fraktionsstärke im Stadtrat sitzen, geben sie sich als engagiert-biedere Bürgerinitiative. Diese, mit Namen Pro Köln, weiß, wo der Schuh drückt, und kämpft gegen Moscheebauten, forensische Kliniken, Flüchtlingsunterkünfte in Wohngebieten und Junkies auf dem Marktplatz. Wie die NPD will Pro Köln das Volksfremde ausmerzen, aber bitteschön im Konsensverfahren der kommunalen Ratspolitik. Pro Köln tritt, mehr noch als die stärker auf außerparlamentarische Kameradschaften angewiesene NPD, in den direkten Konkurrenzkampf mit den etablierten Parteien um die richtige bürgernahe Betreuung ein. Gar nicht ausgeschlossen ist, dass Pro Köln dabei mehr und mehr verbürgerlicht, während bei den etablierten Parteien die Hemm­schwelle sinkt, gegen missliebige Grup­pen offen zu hetzen. Eine beidseitige Diffusion, wie man sie auf Staatsebene in den vergangenen zehn Jahren in Ös­terreich beobachten konnte.

Für die Linke sollte das Anlass genug sein, sich von der staatsidealis­tischen Bewertung der Neonazis zu verabschieden. Hier kommt die Haltung, wie sie exemplarisch Jürgen Elsässer vertreten hat, ins Spiel: Es stimmt, dass klassenkämpferische Einstellungen – »die Fundamentalopposition gegen die Hartz-Politik« – in all ihrer Rigidität gegen die so­zial­partnerschaftlichen Angebote, die ja immer auch ein gerüttelt Maß an Nationalismus enthalten, ein probates Mittel gegen Neonazis sind. Nur nicht so, wie es sich ein Staatsidealist wie Elsässer vorstellt, als bessere Alternative im Warenangebot der politischen Meinungen. Ein bisschen mehr DDR, und diejenigen, die von dem bundesrepublikanisch-staatsbürgerlichen Appeasement der Linkspartei enttäuscht sind und deshalb NPD wählen, kommen zurück und werden auch noch waschechte Sozialisten. Alternativen anbieten bedeutet, dass die Linke etwas besser macht, was die Nazis schlechter machen. Alle historischen Erfahrungen zeigen, dass in diesem Wettkampf die Linke verliert, weil sie, lässt sie sich mit den Nazis auf ein Kräf­temessen ein, sich ihrer wichtigsten Waffen entledigt: Sie wird ungewollt-gewollt eine Stimme im Chor der staatskonformen Meinungen. Einige linke Theoretiker werden bestimmt noch von einem »radikalen Reformismus« schwärmen, aber wer am politischen Gemeinwesen positiv mitwirken will und dennoch von dessen Überwindung träumt, macht sich schlicht lächerlich.

Die Neonazis wissen das, zumindest instinktiv. Sie wollen deshalb auch keine Revolution (selbst wenn hier und da eine revolutionäre Rhetorik aufgefahren wird), sondern das Gemeinwesen in seiner Reinheit – sprich: als Volkskörper – rehabilitieren. Auch das klingt lächerlich (deshalb wird die NPD nie die ganz großen Wah­lerfolge einfahren), aber es ist konsequent. Man wundert sich, warum noch keiner der faschistischen Vordenker, die sonst so begierig Symbole und Ges­ten der Linken aufsaugen, den beliebtesten Fetisch der Linken der vergangenen Jahre für sich entdeckt hat: die Multitude. Die faschistische Multitude basierte nicht auf affektiver, sondern auf »nationaler Arbeit«, gemeint ist das real existierende Netzwerk aus Krabbelgruppen, Schülerzeitungen, Heimatvereinen, Mittelstandsvereinigungen und Veteranenverbänden. Der Neonazi hat den Traum, dass sich dank seiner Propaganda quer zu allen Klassen, die er, postmodernistischen Ideologen in dieser Hinsicht ähnlich, nur für matte Simulacren hält, die Konturen der neu-alten Volksgemeinschaft abzeichnen.

Eine Linke, die dagegen nur allzu be­scheidene Ideale hochhält – »das kleine­re Übel«, den »freien Westen«, die »Rück­besinnung auf die DDR« oder eine »sozialverträgliche Politik« –, hat, und man täusche sich da nicht angesichts der effektiven Militanz von Antifa-Demos, dem nicht viel entgegenzusetzen.