Überflüssig wie dein Kopf

Proteste in Frankreich und Deutschland von carlos kunze

Französische Verhältnisse schaffen! Das war das Leitmotiv der studentischen Proteste in Deutschland im Frühsommer, und das ist es auch in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Studiengebühren und um die Zukunft der akademisch ausgebildeten Arbeitskraft. Manche hoffen bereits auf einen »heißen Herbst«.

Aber was hat es auf sich mit diesem Objekt der Begierde, den französischen Verhältnissen? Eine heftige studentisch geprägte Revolte entzündete sich im Februar an einem Gesetzesprojekt der französischen Regierung, dem CPE. Damit sollte Jugendlichen unter 26 Jahren eine zweijährige Probezeit bei ihrer ersten Anstellung zugemutet werden. Obwohl das Projekt auf die Jugendlichen aus den Banlieues zugeschnitten war, sah ein Großteil der Studenten durch den CPE auch die eigene Zukunft bedroht.

Zu Recht. Die Zeiten, in denen ein akademisches Diplom einen gut bezahlten Job garantiert, sind vorbei. Die »Generation Praktikum«, wie die Medien das relativ neue Phänomen gut ausgebildeter Arbeitskräfte bezeichnen, die prekären Arbeitsbedingungen unterworfen sind, ging auf die Barrikaden. Universitäten wurden besetzt, große Vollversammlungen mit teils mehreren tausend Studenten fanden statt, eine selbst organisierte Koordination mit Delegierten aus den revoltierenden Fachbereichen ganz Frankreichs entstand, an Großdemonstrationen, zu denen auch die Gewerkschaften aufriefen, beteiligten sich Millionen Menschen, es kam zu Straßenschlachten, in den Banlieues besetzten Schüler die Schulen, bis die Regierung, um eine allgemeine Revolte zu vermeiden, den CPE zurücknahm.

Das kam nicht von ungefähr. Das Thema, die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, enthält eine universalisierbare Dimension. Deshalb beteiligten sich auch Arbeitslose, Schüler, Arbeiter an der Bewegung.

Dabei entwickelte sich eine radikale Strömung von mehreren tausend Protagonisten. Sie wollte sich nicht mit der Rücknahme des CPE zufrieden geben, sondern erklärte, auch die »Normalarbeitsverhältnisse« würden Ausbeutung bedeuten, es gehe um alles: um die ganze warenproduzierende Gesellschaft mitsamt ihren desaströsen Auswirkungen für die Arbeitenden und die Umwelt. Aber mit der Rücknahme des CPE brach die Bewegung zusammen. Die Hoffnungen auf eine weiter gehende Radikalisierung wurden enttäuscht.

Auch das hatte einen Grund. Die Studenten hatten ihre Zukunft als prekarisierte Arbeitskräfte kritisiert, aber nicht ihre Gegenwart als Studenten. Ihre Zurichtung zu akademischen Handlangern des Kapitals und die Institution Universität als Symbol für die Trennung von Hand- und Kopfarbeit blieben von der Kritik verschont.

Aber der Impuls der französischen Bewegung im Frühjahr war stark genug, um auch auf andere Länder auszustrahlen. Nach dem französischen Vorbild wurden in Griechenland im Juni mehr als 450 Fakultäten besetzt. In Deutschland hat die studentische Bewegung verschiedene Kampfformen aus Frankreich importiert, etwa die Besetzung von Autobahnen und Bahnhöfen, auch wenn sie im Kampf gegen die Studiengebühren zunächst auf eher klassisch studentischem Terrain agierte.

Doch auch das Thema der prekarisierten Arbeitsverhältnisse spielt hierzulande mittlerweile eine gewisse Rolle. Sprengkraft könnte die Verbindung beider Themen unter einer Bedingung entfalten: wenn die potenzielle Überflüssigkeit immer größerer Teile der hochqualifizierten Arbeitskraft fürs Kapital unter den Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit reflektiert wird, ohne dass die antidemokratische Verbitterung darüber, nicht zu einer »Elite« aufsteigen zu können, zum treibenden Moment wird.