Afrika, alle aussteigen!

Hamburgs Asylsuchende werden seit neuestem in Mecklenburg-Vorpommern untergebracht, weit weg von der städtischen Öffentlichkeit, ihren Anwälten und Flüchtlingsinitiativen. von ron steinke

Benin oder Togo? Hauptsache Afrika! Als Oumar Latif* freigelassen wurde, fand er sich in Cotonou, Benin, wieder. Sieben Tage waren vergangen, seit der Nigerianer zu einem Termin in der Hamburger Ausländerbehörde erschienen war, um seine Duldung verlängern zu lassen – und stattdessen ohne Vorwarnung festgenommen wurde. Die Beamten hatten ihm erklärt, sein Aufenthaltsrecht sei abgelaufen und ein Flug nach Togo gebucht. Als er protestierte, wurde ihm der Kontakt zu seiner Verlobten und zu seinem Anwalt verweigert.

Der Richter, dem Latif vorgeführt wurde, ignorierte die Beteuerungen des Asylbewerbers, er habe rein gar keine Verbindungen nach Togo. Amtliche Papiere, die seine Herkunft aus einem anderen Land belegt hätten, konnte er nicht vorweisen. Nach sechs Tagen in zwei Hamburger Gefängnissen wurde er per Sammelabschiebung über Marokko und Guinea nach Togo geflogen. Als die Einreisebehörde am Flughafen in Togo Latifs Aufnahme verweigerte, weil er offensichtlich kein Togolese sei, setzte das Flugzeug ihn mit einigen anderen Flücht­lingen im angrenzenden Benin ab. Zwar verweigerte auch Benin die Aufnahme, aber während die Flüchtlinge aus Hamburg die Nacht in der Polizeiwache von Cotonou verbrachten, flog das Charterflugzeug kurzerhand ohne sie zurück nach Deutsch­land.

Während die Ausländerbehörde früher darüber klagte, dass nur wenige Flüchtlinge mit gültigen Papieren in Deutschland ankämen und somit die Abschiebungen erschwert würden, hat sie diesen Umstand inzwischen als Chance für sich entdeckt. »Bei papierlosen Flüchtlingen hat die Behörde vergleichsweise leichtes Spiel«, erklärt Latifs Hamburger Anwalt, Mark Nerlinger. Regelmäßig stellt die Behörde inzwischen selbst Passersatzpapiere aus und schiebt in von ihr bestimmte Drittländer ab. Das Hamburger Landgericht hat diese Praxis kürzlich sogar ausdrücklich gebilligt.

Latif gelang es auf eigene Faust, aus Benin zurück zu seiner Familie nach Nigeria zu gelangen, von wo aus er seinen Anwalt in Hamburg kontaktieren konnte. Viele andere haben weniger Glück als er. Wer, ohne gültige Papiere und ins »falsche« Land abgeschoben, sich den dortigen Einreisebehörden erklären muss, dürfte die Hamburger Aus­länderbehörde so schnell nicht mehr mit seinen Anliegen behelligen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er oder sie erst einmal in eine Zelle gesperrt wird.

Die Beamten der Abteilung »Rückführungen« der Hamburger Ausländerbehörde trennt vom War­te­raum für die Betroffenen ein hohes Stahlgitter mit elektronisch gesteuerter Drehtür. Hier wird »große« Flüchtlingspolitik gemacht: Was Län­der übergreifende Sammelabschiebungen angeht, ist die Stadt sogar im europäischen Vergleich ganz vorn. Die Dienste ihrer Ausländerbehörde nutzten zuletzt die Niederlande, Frankreich, Malta, Österreich und die Schweiz. Über die Zentrale der Bundespolizei in Koblenz konnten sich die Staaten, die Einzelpersonen güns­tig loswerden wollten, nach freien Kapazitäten in den Flugzeugen erkundigen.

Wenn Deutschland im Januar 2007 für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, will Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Gelegenheit nutzen, um die europäische Zusammenarbeit in der Flüchtlingsabwehr zu verstärken. Häufiger Sammelabschiebungen durchzuführen, hat die EU bereits beschlossen.

Bis dahin steuern die eigens für Abschiebungen und auf Initiative der Ham­burger gecharterten Flieger vor allem afrikanische Länder an. Auch nach Afghanistan schiebt Hamburg seit dem Sommer 2005 wieder ab, als erstes Bundesland.

Ebenfalls als erstes Bundesland hat es Hamburg geschafft, sich ein anderes Pro­blem vom Hals zu schaffen. Man fand kürz­lich eine sehr wirksame Methode um zu verhindern, dass Initiativen wie der Flüchtlingsrat oder Anwältinnen und Anwälte den Abschiebebetrieb stören. Zum 1. Oktober wurde die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende, die bislang auf dem Hausboot »Bibby Altona« in der Nähe des Altonaer Rathauses untergebracht war, nach Mecklenburg-Vorpommern verlegt. Flüchtlinge, für die die Hamburger Behörden zuständig sind, werden fortan nicht mehr unter den Augen der Öffentlichkeit untergebracht, sondern in einer ehemaligen NVA-Kaser­ne im früheren DDR-Grenzland, nahe einer kleinen Ortschaft mit dem klingenden Namen Horst.

Das Flüchtlingswohnheim Horst, das von einem hohen Zaun mit Wachhäuschen umschlossen ist, liegt im Grünen. Die Autofahrt von Hamburg dauert über eine Stunde. Mit Mahnwachen des Hamburger Flüchtlingsrats, die früher wöchentlich stattfanden, wird in der mecklenburgischen Provinz wohl kaum zu rechnen sein. Ebenso wenig dürften künftig andere Initiativen aus der Großstadt die zügige Bearbeitung von Asyl­anträgen dadurch behindern, dass sie die Flücht­linge an Ort und Stelle über ihre Rechte aufklären.

»Wie sollen wir das machen? Wir arbeiten alle ehrenamtlich«, klagt Conni Gunßer vom Flüchtlingsrat im Hinblick auf die große Entfernung von jeglicher städtischen Infrastruktur. Die Mitarbeiter des Flüchtlingsrats von Mecklenburg-Vorpommern dürfen zwar Beratungen anbieten, die Flüchtlinge auf dem Gelände anzusprechen ist ihnen aber untersagt. Die Asylsuchenden selbst dürfen wegen der so genannten Residenzpflicht den zugewie­senen Landkreis nicht verlassen. Wer künftig ohne eine Sondererlaubnis von Horst aus in die nächste Stadt fährt, etwa um den Kontakt zu einem Flüchtlingsanwalt zu suchen, kann mit Bußgeldern bestraft werden.

»Ohne Unterstützung von außen haben die Betroffenen aber von vornherein keine Chance«, beklagt der Flüchtlingsanwalt Mark Nerlinger. Er hält kurz inne. Im deutschen Asylrecht, das durch Ausschlusskriterien wie »sichere Drittstaaten« oder »inländische Fluchtalternativen« weitgehend ausgehöhlt ist und zudem noch euro­päisch »harmonisiert« wird, hätten die Betroffenen auch mit juristischer Unterstützung kaum noch eine Chance, räumt der Jurist ein. Flüchtlingsanwälte könnten für Asylsuchende selten mehr tun, als sie vorübergehend vor der Abschiebung zu schützen. »Das Recht auf Asyl gibt es praktisch nicht mehr«, sagt Nerlinger.

Dass ein Bundesland Räumlichkeiten in einer bestehenden Flüchtlingsunterkunft des Nachbarlandes anmietet, ist in der Bundesrepublik bisher einmalig. Ausgerechnet mit den Erfolgen der deutschen Flüchtlingsabwehr begründete die Hamburger Ausländerbehörde die Schließung des Hausboots in Altona: Nachdem die Zahl der Asylbewerber, die Deutschland erreichen, in diesem Jahr auf den niedrigs­ten Stand seit 1987 gesunken ist und zugleich nur noch 0,9 Prozent der Anträge positiv beschieden werden – im Jahr 1995 waren es neun Prozent –, erschien ihr die Flüchtlingsunterkunft am Elbufer nicht mehr als wirtschaftlich. Von den ursprünglich 500 Plätzen auf der »Bibby Altona« waren zuletzt noch 44 Plätze belegt.

* Name von der Redaktion geändert