Alles Gute für Serbien

Die Verhandlungen um das Kosovo kommen nicht voran. Die serbische Regierung versucht, mit einem Verfassungsreferendum die Unabhängigkeit unmöglich zu machen. von boris kanzleiter, belgrad

Vojislav Kostunica ist immer wieder für eine Überraschung gut. Kaum ein Beobachter hätte dem serbischen Ministerpräsidenten und seiner zerstrittenen Regierungskoalition zugetraut, im Eiltempo einen neuen Verfassungstext zu formulieren und ihn im Parlament ohne Gegenstimme durchzusetzen. Aber genau das ist geschehen. Auf einer Sondersitzung verabschiedeten die Volksvertreter Ende September einstimmig einen Verfassungsentwurf, der ihnen zuvor nur in Ausschnitten vorlag. Am kommenden Samstag und Sonntag sind nun die etwas über 6,5 Millionen Wahlberechtigten zu den Urnen gerufen, um die Verfassung zu bestätigen.

»Für das Wohl Serbiens« lautet der Werbespruch, mit dem die Regierung eine aggressive Werbekampagne für das Referendum führt. Tatsächlich geht es in der öffentlichen Diskussion aber hauptsächlich um die Bedeutung der Verfassung für das Kosovo. Dieses wird in der Präambel als »unveräußerlicher Bestandteil« Serbiens festgeschrieben. Somit ist die Volksabstimmung eine Intervention in die laufende Auseinandersetzung um den zukünftigen völkerrechtlichen Status der Provinz. Seit Februar dieses Jahres finden unter Vermittlung des von den UN bestellten Unterhändlers Martti Ahtisaari Gespräche zwischen der serbischen Regierung und der provisorischen Regierung des Kosovo statt, in der albanische Politiker aus den Reihen der ehemaligen Kosovo-Befreiungsarmee UCK die Macht haben. Sie fordern die vollständige Unabhängigkeit der Provinz, die seit der Nato-Intervention im Jahr 1999 unter UN-Verwaltung steht.

Vor allem der Zeitpunkt des Referendums ist brisant. Unterhändler Ahtisaari hat nach Dutzenden Gesprächsrunden in den vergangenen Wochen resigniert. Anfang Oktober erklärte er, die Positionen von Serben und Albanern würden sich im Verhandlungsprozess »diametral gegenüberstehen«. Er sehe »keine Annäherung«. Damit steht nun seit einiger Zeit ein in internationalen Diplomatenkreisen diskutierter Alternativplan auf der Tagesordnung. Wenn kein Kompromiss gefunden werden kann, wird Ahtisaari einen unilateralen Vorschlag unterbreiten. Dieser müsste dann vom UN-Sicherheitsrat angenommen und im Notfall gegen den erklärten Willen der Konfliktparteien durchgesetzt werden.

Wie eine solche aufgezwungene Lösung aussehen könnte, ist in den Grundzügen auch schon bekannt. Die Überlegungen zielen auf die Einrichtung eines von der EU kontrollierten Protektorats. Das Kosovo soll demnach staatsrechtlich von Serbien abgetrennt werden und die Unabhängigkeit erhalten. Die Provinz würde aber keine vollständige Souveränität erlangen, weil Schlüsselkompetenzen wie die Außenpolitik oder die Sicherheitspolitik beschränkt blieben. Eine solche Lösung wird von der albanischen Seite zwar als unzureichend kritisiert, würde aber vorausichtlich als Schritt zur Etablierung eines vollständig souveränen Staates letztendlich akzeptiert werden.

Die serbische Seite allerdings lehnt jede Form der Unabhängigkeit des Kosovo ab. Es würde daher zu einem Präzedenzfall in der internationalen Politik kommen. Der UN-Sicherheitsrat müsste von einem souveränen Staat mit einer demokratisch gewählten Regierung gegen deren Willen einen Teil des Staatsterritoriums abtrennen. Experten auch in westlichen Ländern warnen vor einem solchen Szenario. Anneli Ute Gabanyi von der regierungsnahen Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sieht in ihm das »Öffnen einer Pandorabüchse«, das zahlreichen ethno-separatistischen Bewegungen Auftrieb geben würde.

Sah es bisher so aus, als könnte sich Ahtisaari mit seinem Projekt letztlich durchsetzen, haben sich in den vergangenen Wochen die Kräfteverhältnisse verschoben. Die harte serbische Haltung sorgt für Kopfzerbrechen vor allem bei den EU-Verantwortlichen für Sicherheitspolitik. Der Koordinator der Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, hat vergangene Woche in Konfrontation zu Ahtisaari vorgeschlagen, die Unterbreitung eines Vorschlags über die Zukunft des Kosovo noch einmal um einige Monate zu verschieben. In der EU wird zu Recht befürchtet, in Serbien könnten radikale nationalistische Kräfte gestärkt werden, die die EU-Orientierung des Landes auf Dauer in Frage stellen. Gleichzeitig sorgen auch andere Warnungen serbischer Politiker für Alarmstimmung. Der prowestliche Präsident Boris Tadic hat mehrmals davor gewarnt, eine »aufgezwungene Lösung« könne auf dem Balkan zu »ethnischen Auseinandersetzungen mit schwer voraussehbaren Konsequenzen« führen.

Weiter kompliziert wird die Auseinandersetzung durch die Politik der russischen Regierung, die sich in den vergangenen Wochen erstmals klar in der Kosovo-Frage positioniert hat. Außenminister Sergej Lavrov kündigte an, Russland werde im UN-Sicherheitsrat keine Lösung unterstützen, die nicht von beiden Konfliktparteien akzeptiert wird. Falls Russland diese Position durchhält, wäre auch Ahtisaaris Alternativplan zum Scheitern verurteilt. Der Konflikt um das Kosovo könnte dann erneut zum Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Russland und dem Westen werden.

Dabei befindet sich die russische Regierung in einer relativ starken Position. Denn falls der Druck in Richtung einer unilateralen Durchsetzung der Unabhängigkeit zu groß wird, hat Präsident Wladimir Putin bereits eine Rückzugsmöglichkeit angedeutet, die dem Westen erhebliche Probleme bereiten könnte. Falls dem Kosovo die Unabhängigkeit zugesprochen werde, sollten auch die auf dem Staatsgebiet Georgiens liegenden prorussischen Sezessionsprovinzen Abchasien und Süd-Ossetien sowie das nach Unabhängigkeit von Moldawien strebende ebenfalls prorussische Transnistrien anerkannt werden. In diesen drei Regionen im Schwarzmeerraum aber haben die EU und die USA vitale geostrategische Interessen.

Angesichts der verfahrenen Situation drohen im Kosovo nun beide Seiten mit Gewalt. Führende albanische Intellektuelle und Politiker haben in den vergangenen Monaten immer wieder davor gewarnt, dass eine weitere Verzögerung der Unabhängigkeitserklärung einen neuen Aufstand provozieren könnte, der sich auch gegen die UN-Verwaltung richten würde. Zuletzt erklärte Kol Berisha, der amtierende Präsident des Kosovo-Parlaments, die internationale Gemeinschaft müsse das Kosovo als unabhängigen Staat anerkennen, weil es sonst zu einer »Revolte der Bevölkerung« kommen könnte.

In Belgrad erklärte dagegen der Vorsitzende der einflussreichen Serbischen Radikalen Partei (SRS), Tomislav Nikolic, die »bewaffnete Verteidigung« sei die letzte Möglichkeit zum Erhalt des Kosovo in Serbien. Die SRS stellt die größte Fraktion im Parlament, sie ist allerdings nicht an der Regierung beteiligt. Aber auch hochrangige Regierungsfunktionäre kokettieren zumindest mit dem Einsatz der Armee. Bei einer Militärparade Mitte September in Belgrad rief Ministerpräsident Kostunica vor Absolventen der Offiziersschule: »Ich weiß, dass das Kosovo tief in eurem Herzen und euren Gedanken eingeschlossen ist, weil das Kosovo das Herz Serbiens und die Seele unseres Volkes ist.«