Die Quittung, bitte schön!

Berlin erhält keine Bundeshilfen zur Sanierung seines Haushalts. Christdemokratische Ministerpräsidenten freuen sich, der Senat prüft, wo er kürzen kann. von pascal beucker

Ein Hang zur Selbstinszenierung ist Winfried Hassemer nicht abzusprechen. Kühl berechnend hatte sich der stellvertretende Präsident des Bundesverfassungsgerichts seine Worte zurechtgelegt, mit denen er am Donnerstag der vergangenen Woche Klaus Wowereit und dessen rot-rotem Senat das Desaster bereitete. »Die Hauptstadt schmückt sich mit dem Slogan, Berlin ist arm, aber sexy«, eröffnete er seine Ansage in Anspielung auf eine Wahlkampffloskel des Regierenden Bürgermeisters. Verfassungsrechtlich sei dieser Satz nicht zu beanstanden. Aber, sinnierte Hassemer verschmitzt und genau wissend, dass sich kein Berichterstatter das nette Bonmot entgehen lassen würde: »Man könnte gut auf die Idee kommen, dass Berlin vielleicht deshalb so sexy ist, weil es so arm gar nicht ist.«

Der 66jährige Rheinhesse hätte nicht weiter sprechen müssen. Schon diese Einleitung hatte unzweideutig klar gestellt: Berlin ist mit seiner Klage auf finanzielle Sonderhilfen vor dem obersten deutschen Gericht gescheitert. Es ist mit der Verfassung vielmehr vereinbar, dass das Land keine weiteren Zuweisungen des Bundes erhält. Das bedeutet eine Niederlage auf ganzer Linie. Mit keinem einzigen Argument hatte das Bundesland beim zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts Erfolg, und nicht einmal ein einziges Mitglied des Gremiums ließ sich überzeugen: Das Urteil erfolgte einstimmig.

30 Milliarden Euro wollte Berlin vom Bund bekommen, um seinen völlig überschul­deten Haushalt zu sanieren. Dabei berief sich die rot-rote Koalition auf ein Karlsruher Urteil aus dem Jahr 1992. Damals ordnete das Verfassungsgericht an, dass der Bund dem Saarland und Bremen in ähnlicher Lage helfen musste. Von 1994 bis 2004 flossen umgerechnet 8,5 Mil­liarden Euro an Bremen und 6,5 Milliarden Euro ans Saarland. Doch unter dem Eindruck der allgemeinen Haushaltskrise hat das Verfassungsgericht die Anforderungen für die Gewäh­rung von Sanierungshilfen inzwischen erhöht. Schließlich seien solche Bundesergänzungszuweisungen ein »Fremdkörper innerhalb des gel­tenden bundesstaatlichen Finanzausgleichs«, die einem strengen Prinzip der ultima ratio unterlägen und nur im Falle einer »nicht ohne fremde Hilfe abzuwehrenden Existenzbedrohung« des Landes gewährt werden könnten.

Davon könne hier jedoch nicht ausgegangen werden. »Es ist dem Berliner Senat nicht gelungen, die Alternativlosigkeit von Sanierungs­hilfen hinreichend plausibel zu begründen«, meinten die Karlsruher Richter. Entgegen der Auffassung des rot-roten Senats befinde sich Berlin »nicht in einer extremen Haushaltsnotlage«, stattdessen sei »lediglich eine angespannte Haushaltslage« zu erkennen, und es bestünden »erfolgversprechende Möglichkeiten, aus eigener Kraft die vorhandenen Haushaltsengpässe zu bewältigen«. Fast alle Länder hätten Schwie­rigkeiten, die laufenden Ausgaben mit den laufenden Einnahmen zu decken, und prekäre Haushaltslagen häuften sich. Das bedeute jedoch, etwaige für einzelne Länder festzustellende gravierende Haushaltsnöte seien »nur in besonders krassen Konstellationen geeignet, den bundesstaatlichen Notstand zu begründen«.

Gefreut haben sich über das Urteil vor allem der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Wulff hatte die Klage des Berliner Senats scharf kritisiert und gesagt, es sei »ein Stück aus dem Tollhaus«, wenn man kein Geld habe, aber im Wahlkampf ein beitragsfreies Kita-Jahr verspreche, wie Wowereit es getan habe. Und Koch forderte in der vorigen Woche, dass Hilfen des Bundes in Zukunft an bestimmte Kriterien zu knüpfen seien. Berlin etwa gebe mehr Geld im sozialen Wohnungsbau und für Sozial­einrichtungen aus als andere Länder. So soll die Hauptstadt christdemokratisch saniert werden: Indem man Eltern stärker zur Kasse bittet, soziale Einrichtungen schließt und die Mieten erhöht. Kein Wort verloren sie darüber, dass das Anwachsen der Schul­den auf 61,6 Milliarden Euro maßgeblich auch etwas mit dem Bankenskandal zu tun hat, in den vor allem Parteifreunde von ihnen verwickelt waren.

Unter den Berlinern jeglicher Couleur war das Wehklagen über das »katastrophale Urteil« (Wolfgang Thierse) hingegen groß. Die taz meinte: »Das Karlsruher Urteil verströmt den Geist der alten Bundesrepublik: föderalistisch, antizentralistisch und mit wenig Sinn für nationale Symbolik. Die Idee, dass Berlin als Hauptstadt etwas anderes ist, kommt schlicht nicht vor.« Tatsächlich lässt sich »die Idee, dass Berlin als Haupt­stadt etwas anderes ist«, aber eher in der untergegangenen DDR verorten denn in der alten Bundesrepublik. Für Westdeutschland hatte der Westteil der Stadt hingegen die Funktion, im Kalten Krieg das Bollwerk der »freien Welt« gegen den real existierenden Sozialismus zu sein. Beide Teile der Stadt profitierten im Kampf der Systeme von ihrer hohen Symbolkraft: Sie konnten sich über eine bevorzugte Behandlung auf Kosten des jeweiligen Restes der Republik freuen. Nach dem Mauerfall brach die üppige Staatsfinanzierung des »Schaufensters des Westens« und der »Hauptstadt der DDR« in kurzer Zeit weg. Aber dafür leistet sich Berlin heute noch drei Opern, freut sich unter anderem über zwei Zoos, zwei Trabrennbahnen, mehrere botanische Gärten und drei Flughäfen.

Immerhin erhält die Hauptstadt Geld von anderen Bundesländern. Der vierstufige Bund-Länder-Finanzausgleich bescherte ihr alleine im Jahr 2005 zusätzliche Einnahmen in Höhe von 5,726 Milliarden Euro. Davon kamen knapp drei Milliarden Euro von den anderen Ländern und rund 2,8 Milliarden vom Bund. So erhielt der Stadtstaat auf Kosten begüterterer Länder bei der Verteilung der Umsatzsteuer 475 Millionen Euro mehr, als ihm nach seiner Einwohnerzahl zustehen würde. Außerdem durfte sich Berlin als »neues Bundesland« über zwei Milliarden Euro Sonderhilfen des Bundes freuen.

Noch gar nicht in solche Transferleistungen eingerechnet sind dabei die Segnungen des Hauptstadtkulturvertrags: So zahlt der Bund für Berliner Einrichtungen wie die Museumsinsel, die Akademie der Künste, den Gropiusbau, die Berliner Festspiele oder das Haus der Kulturen der Welt jährlich weitere rund 340 Millionen Euro. Trotz des Urteils des Verfassungsgerichts wird die Stadt auf all diese Unterstützungsleistungen auch zukünftig nicht verzichten müssen.

Dass der derzeitige Senat nicht viel aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, bewies er nur einen Tag vor dem Karlsruher Urteil: Da verkündeten die rot-roten Koalitionäre großspurig, dass Berlin die Olympischen Spiele 2020 ausrichten will. Dabei hatte die letzte Olympia-Bewerbung Berlins Anfang der neunziger Jahre in einem rund 25 Millionen Euro teuren Desaster geendet. Und auch ansonsten ist man wenig lernfähig: Während die SPD und die Linkspartei bei ihrer Sparpolitik in Fragen des Sozialabbaus und der Privatisierung wenig Skrupel zeigten, verzichten sie generös auf eine Verbesserung der Einnahmenseite.

Ein Beispiel hierfür ist die Gewerbesteuer. Diese liegt in Berlin weit unter dem Niveau anderer Großstädte wie Frankfurt am Main, München, Hamburg oder Köln. Die Aufregung unter den Wirtschaftsverbänden nach der Karlsruher Entscheidung beruhigte die SPD umgehend: Sie halte auch weiterhin nichts von einer möglichen Gewerbesteuererhöhung – obwohl diese vom Verfassungsgericht ausdrücklich als adäquate Einnahmequelle im Urteil erwähnt worden ist.