Fallobst aus der Slowakei

Im Erzählband »Schwer gezeichnet« werden durchaus kritische Geschichten über das deutsche Profiboxen erzählt. von martin krauss

Ein Gesamtbild des Boxsports kann es nicht geben, es sind immer nur einzelne Boxer oder einzelne Kämpfe, an die man sich erinnert. Manchmal sind es auch nur einzelne Schläge, die im Gedächtnis bleiben. Da ist die Idee, einfach »Geschichten vom Boxen« herauszugeben, sowohl nahe liegend als auch gut. Unter dem Titel »Schwer gezeichnet« hat der Werkstatt-Verlag nun solche Geschichten des Journalisten Bertram Job verlegt.

Dieses Unterfangen ist schon deshalb zu loben, weil es im In­ternetzeitalter schön ist, sich Re­portagen und Storys nicht unabhängig von ihrer Qualität googeln zu müssen, sondern sie gut sortiert – versehen mit grandiosen Holzschnitten der Sportart, die Julia Alice Treptow erstellt hat – in der Hand halten zu können. Von einer solchen Best-of-Zusammenstellung ihrer Artikel können manche Journalisten, die zu faul fürs ganze Buch sind oder die – meist zu Recht – damit rechnen müssen, dass nach ihrem Ableben niemand ihr Gesamtwerk verlegen möchte, nur träumen.

Der Autor Bertram Job ist ein besserer Schreiber, als dass er eine Best-of-Zusammenstellung nötig hätte, aber kein so guter, dass auf ihn die Gesamtausgabe wartete. Er besucht seit über 20 Jahren Profiboxkämpfe und schreibt darüber für Tages- und Wochenzeitungen und für große Magazine. Wie er mit Dariusz Michalczewski in der Kabine auf einen Kampf wartete, wie er einer miserabel besuchten Kleinring-Veranstaltung beiwohnte oder woher der (mittlerweile verstorbene) Cutman Dennie Mancini kam, dem alle Besucher eines Boxkampfs sein wildes Leben am Ring im Gesicht ansahen.

Das sind die Geschichten, denen sich Bertram Job widmet, und er tut es vielleicht nicht mit der Eleganz einer Joyce Carol Oates oder der Tiefe eines Graciano Rocchigiani, aber auch in den Momenten, in denen er über mitunter unsympathische Loser berichtet, vermittelt er noch ein deutliches Gefühl der Würde von Profiboxern.

Job berichtet einmal in einem großartigen Text über Boxer, die in der Slowakei als so genanntes Fallobst für Kämpfe in deutschen Ringen verpflich­tet werden. Daran anschließend findet sich ein Text, nicht ganz so gut geschrieben, aber von der Recher­che großartig, der davon handelt, wie in den USA ein cleverer Manager mit der Verpflichtung von Fallobst für das Funktionieren der Boxindustrie sorgt.

Das sind Einblicke in das Profiboxen, die man sonst hierzulande selten erhält. In den USA haben große Boxschriftsteller wie Thomas Hauser hierzu schon Vorarbeit geleistet, aber dass jemand die deut­schen Boxunternehmer bei ihrem Geschäft be­obachtet – das ist neu und streckenweise sensationell. Und natürlich überfällig, denn trotz des Boxbooms in den Neunzigern, mit Henry Maske und Axel Schulz als Protagonisten, trotz des Beinah-Staatsaktes bei der Beerdigung von Max Schmeling, trotz der jüngsten Ringschlachten mit Arthur Abraham und Felix Sturm und trotz der immer noch enormen Quoten der deutschen Fernsehanstalten gibt es in Deutschland bislang nicht viel kritische Auseinandersetzung mit dem Box­sport.

Bertram Job schafft es, einerseits die erforderliche Nähe zu den Sportlern und auch zu den Managern herzustellen, die nötig ist, um überhaupt hinter die Kulissen blicken zu können, und andererseits seine Unabhängigkeit zu bewahren, um bestimmte Machenschaften zu erkennen. Job beschreibt auch Schiebereien, was so manch anderer Autor lieber nicht täte, weil er es zwar wüsste, aber nicht beweisen könnte. Job ist da anders, mutiger.

Bertram Job beschreibt nicht alle Facetten des Boxens, aber sehr viele. Dass einem so mancher Gedanke, der im Vorwort geäußert wird, so vorkommt, als habe man ihn schon mal in einem anderen Buch des Verlages gelesen, stört kaum. Dass der Autor sich manchmal für einen größeren Stilisten hält, als er tatsächlich ist, stört noch weniger – schließlich ist dieses Selbstbild sowohl in der schreibenden als auch in der boxenden Branche ver­breitet. Und auch dass die Gliederung des Buches in zwölf »Runden« als Kapiteln und dazwischen gesetzten Kurzkapiteln »In der Pause« ein wenig gezwungen daherkommt, will einen nicht groß stören. Nein, »Schwer gezeich­net« ist gegenwärtig eins der besten Boxbücher.

Bertram Job: Schwer gezeichnet. Geschichten vom Boxen. Illustriert mit Holzschnitten von Julia Alice Treptow. Verlag Die Werkstatt. Göttingen 2006, 176 Seiten, Euro 14,90