Helden auf allen Seiten

Der georgisch-russische Konflikt von ute weinmann

»Wer sich vor Folgen fürchtet, ist kein Held«, lautet ein kaukasisches Sprichwort. Der georgische Präsident Michail Saakaschwili muss sich diesen Spruch zu Herzen genommen haben, als er Ende September seinem Nachbarn Russland die Faust zeigte. Vier in Georgien sta­tionierte russische Offiziere wurden der Spionage verdächtigt und zu zwei Monaten Haft verurteilt. In der Vergangenheit hatte Georgien russische Spione immer diskret und ohne mediale Aufbereitung abschieben lassen.

Der Grund für Georgiens indiskretes Vorgehen war es, Russland zu unüberlegten und fehlerhaften Handlungen zu provozieren, was auch vorzüglich gelang. Denn nicht wenige Mi­litärs und Teile der politischen Elite in Russland befürworten eine Eskalation in den Beziehungen zu Georgien.

Als unmittelbare Reaktion auf die Verurteilung der Offiziere folgte von russischer Seite eine totale Transportblockade, kurzzeitig schien es gar, als könnte die Auseinandersetzung in einen militärischen Konflikt münden. Nach der Übergabe der verurteilten russischen Offiziere an den OSZE-Vorsitzenden Karel de Gucht schienen die Weichen für eine Beendigung der Blockade gestellt, doch der Kreml demonstrierte unerbittliche Härte.

In Georgien leben mehrere hunderttausend Menschen von den Überweisungen ihrer Fami­lienmitglieder, die in Russland arbeiten. Die Kaukasusrepublik ist auch wegen ihrer Exporte von Russland abhängig. Es stellt sich die Frage, weshalb die georgische Regierung ein solch riskantes Unterfangen überhaupt erst inszenierte. Fakt ist, dass Russland in den von Georgien abgespaltenen Sezessionsrepubliken Abchasien und Südossetien nicht nur Gus-Frie­denstruppen unterhält, sondern darüber hinaus für die dortige Bevölkerung russische Pässe ausstellt. Damit sichert sich das Land dort ein Recht auf die Wahrnehmung eigener staat­licher Interessen. Gleichzeitig sorgt die von Georgien angestrebte Nato-Mitgliedschaft, die US-Präsident George W. Bush ausdrücklich befürwortet, für Spannungen.

Mag sein, dass sich Saakaschwili in Anbetracht seiner sinkenden Popularität und der zum Zeitpunkt der Beschuldigungen kurz bevorstehenden Kommunalwahlen zur Anwendung schnell wirksamer populistischer Mittel genötigt sah. Es kann auch sein, dass er testen wollte, wie weit die Solidarität der EU geht, doch ist es sehr unwahrscheinlich, dass er sich diesen Eskalationskurs ohne sichere Rückendeckung durch die USA geleistet hat.

Der Berater des Gus-Ausschusses der russischen Staatsduma, Dmitrij Kulikow, etwa hält es für wahrscheinlich, dass die US-amerikanische Regierung mit der inszenierten Krise Russ­lands Bereitschaft prüfen wollte, sich vom Iran loszusagen, verbunden mit der immanenten Drohung, anderenfalls Russland die Unterstüt­zung als von der UN sanktionierter Friedensmacht in Abchasien und Südossetien zu entziehen. Allerdings sei diese Rechnung nicht aufgegangen.

Saakaschwili hat seinem russischen Amtskollegen, ob gewollt oder nicht, einen großen Gefallen getan. Russland positioniert sich innenpolitisch zunehmend als ein von Feinden umringtes Land, und da kommt jede Provokation von außen gelegen. Der Kreml initiierte als Antwort eine in ihren Ausmaßen beispielslose antigeorgische Kampagne: Hunderte Georgier wurden abgeschoben, zahlreiche georgische Restaurants und Kasinos geschlossen, mafiöse Bankgeschäfte aufgedeckt, und Georgien wurde nach den USA zum größten Feind stilisiert. Weite Teile der Bevölkerung begegnen diesen Maßnahmen mit Verständnis, zudem zwingen diese die russische Bevölkerung nahezu, sich hinter Präsident Wladimir Putin zu scharen.