Jeder Tag ist Al-Quds-Tag

Politisches Selbstbewusstsein demonstriert das Regime in Teheran nicht nur mit Aufmärschen zum Al-Quds-Tag, sondern vor allem mit seiner Unnachgiebigkeit bei den Atomgesprächen mit der EU. von udo wolter

Vier Monate lang hatte der EU-Außenbeauftragte Xavier Solana immer neue Anläufe unternommen, um Verhandlungen über Irans Atomprogramm zu ermöglichen. Doch der iranische Chefunterhändler Ali Larijani mochte ihm das Aussetzen der Urananreicherung nicht zusagen; dies allerdings wäre die Voraussetzung gewesen. Nun scheint selbst die EU die Aussichtslosigkeit des Unterfangens eingesehen zu haben, das islamistische Regime zum Einlenken zu bewegen. Sogar ein »sehr attraktives Angebot« habe nicht geholfen, bedauerte die in der EU-Kommission für Außenbeziehungen zuständige Benita Ferrero-Waldner. Der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier betonte zwar, die Aufnahme von Beratungen über Sank­tionen durch den Uno-Sicherheitsrat sei nun unvermeidlich geworden, wollte aber gleichzeitig die Tür für Verhandlungen nicht geschlossen sehen.

Der Abbruch der EU-Gespräche erfolgte unter dem unmittelbaren Eindruck des nordkoreanischen Atomversuchs wenige Tage zuvor. Das zeitliche Zu­sammentreffen beider Ereignisse gibt Anlass zu allerlei Spekulationen und Befürchtungen. Schließlich stützen sich beide Regimes nicht nur auf zwar verschiedenartig ausgerichtete, aber gleichermaßen irrationale Gemeinschaftsideologien, sondern pflegen auch intensive militärische Beziehungen untereinander. Nordkorea gilt als wichtiger Lieferant von Raketen und ballistischem Know-how an Teheran und hat auch bereits mit der Proliferation seiner Nuklearkenntnisse gedroht.

Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad indes wird nicht müde zu verkünden, dass der Iran keinen Fußbreit von seinem Atomkurs abweichen wer­de. Atom-Unterhändler Larijani warnte in einem Gespräch mit der halbamtlichen iranischen Nachrichtenagentur MEHR, dass »sich die Situation radikalisieren wird, wenn die EU dem amerikanischen Druck nachgibt«, und drohte, im Falle »illegaler Sanktionen« werde die »andere Seite mehr verlieren«. So versucht die iranische Führung weiterhin, Keile zwischen die USA und Europa zu treiben. In einer Stellungnahme des Außenministeriums hieß es, das Vorgehen der EU »ähnele der extremistischen Politik der USA«, während Larijani erklärte, die Europäer würden keine Probleme mehr mit Iran haben, wenn sie »dem Export des US-Faschismus ein Ende setzen würden«. Was auch immer mit der von Larijani bemühten Formel »proportionale Antworten des Iran« angedeutet werden soll, Iran befindet sich nach wie vor in einer Position der Stärke und spielt dies auch aus.

Im Fall Nordkorea hat sich gezeigt, dass die Veto­mächte Russland und China jedes Sanktionsszenario im Sicherheitsrat bis zur absoluten Harmlosigkeit relativieren. Die internationalen Reaktionen auf den nordkoreanischen Atombombentest werden daher von der Regierung in Teheran sehr genau registriert. Aller­dings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den bei­den atomaren Bedrohungen. Während Nordkoreas »geliebter Führer« Kim Jong Il vor allem auf seinen eigenen Machterhalt fixiert ist, hat der Iran unter Ahmadinejad seine hegemonialen Ambitionen in der Region und den Führungsanspruch in der islamischen Welt erneuert und auf das Ziel der Vernichtung Israels fokussiert. Die aggressive iranische Rhetorik angesichts der Zuspitzung des Atomkonflikts mischte sich denn auch mit der antisemitischen Propaganda zum Al-Quds-Tag, der am Wochenende im Iran und welt­weit wie jedes Jahr zum Schluss des muslimischen Fastenmonats mit Demonstrationen gegen Israel begangen wurde. Der 1979 von Khomeini ausgerufene antiisrae­lische Kampftag ist nicht zuletzt eine Macht­demonstration des islamistischen Regimes.

Ahmadinejad hatte eine Konferenz zum Al-Quds-Tag im vorigen Jahr in Teheran genutzt, um sein messianisches Programm einer Rückkehr zu den Wurzeln der islamischen Revolution mit einer Rede zu unterstreichen, in der er die Tilgung Israels von der Landkarte forderte. Das war zwar nichts grundsätzlich Neues, da die Führungsfiguren des islamistischen Regimes zu diesem Anlass stets die antiisraelische Staatsdoktrin bekräftigten und mit antisemitischer Rhetorik aufwarteten. Doch Ahmadinejad startete mit ständig wiederholten Vernichtungsdrohungen gegen Israel und der Leugnung oder Anzweiflung des Holocaust seither eine permanente antiisraelische Propagandaoffensive, als sei nun jeder Tag Al-Quds-Tag.

Der Libanon-Krieg im Sommer dieses Jahres war nicht zuletzt auch ein Ergebnis dieser Kampagne des iranischen Regimes (Jungle World 29/06). Die in den achtziger Jahren vom Iran aufgebaute Hizbollah kann ohnehin als militärische Materialisierung der Ideologie gelten, die mit dem Al-Quds-Tag institutionalisiert wurde. Eine jährliche Militärparade mit Tausenden uniformierter Milizionäre, darunter auch ganze Kinderbataillone, die Vorführung von Kampfmanövern durch Spezialeinheiten und eine lange antiisraelische Hetzrede von Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah unterstreichen für gewöhnlich den zentralen Stellenwert des Al-Quds-Tags für die libanesische Terrororganisation.

Dieses Jahr allerdings wurde die Parade in Beirut erstmals überraschend abgesagt und statt­dessen zu dezentralen Kundgebungen aufgerufen. Die Hizbollah begründete dies damit, dass bereits bei der Siegesfeier am 22. September »die Massen den historischen Sieg (über Israel) zum Ausdruck gebracht« hätten. Es steht zu vermuten, dass es sich dabei um ein taktisches Manöver handelt, um den prestigeträchtigen »Sieg«, der militärischen Zerschlagung durch die israelische Armee entgangen zu sein und sich nun unter UN-Aufsicht auch militärisch regenerieren zu können, weiter in politische Münze umzuwandeln. Offenbar will man gegenüber den übrigen politischen Kräften im Libanon Politikfähigkeit demonstrieren.

Der angebliche »historische Sieg«, den die Hizbollah gegenüber Israel errungen haben will, spielte auch bei den Reden des iranischen Führungspersonals zum Al-Quds-Tag am Freitag eine zentrale Rolle. Bereits in seiner Predigt eine Woche zuvor hatte der geistliche Führer Aya­tollah Chamenei den »Sieg der Hizbollah und der libanesischen Nation über die zionistische Armee« als »historisch und unvergleichlich« gepriesen. Einige Tage vor dem Ereignis setzte in allen Medien des Landes ein propagandistisches Trommelfeuer zur Mobilisierung ein. In den Mittelschulen des Landes wurden vierwöchige Workshops eingerichtet, bei denen den Schülern Themen wie »Jerusalem, der Jerusalem-Tag und die Welt des Islam« und natürlich auch Kenntnisse über den »Sieg der Hiz­bollah über das zionistische Regime« eingetrichtert werden.

Auf der Teheraner Kundgebung zum Al-Quds-Tag ließ es sich Ahmadinejad nicht nehmen, nochmals das »endgültige Verschwin­den« des »zionistischen Regimes« anzukündigen. Den Westen und insbesondere Europa warnte er, »dass jede Regierung, die das zionistische Regime jetzt noch unterstützt, als Ergebnis nur den Zorn der Völker sehen wird«. Auch einige unschuldige rhetorische Fragen durften nicht fehlen: »Aber gab es den Holocaust wirklich? Warum ist es nicht erlaubt, frei darüber zu recherchieren?« Iranischen Oppositionskreisen zufolge beteiligten sich dieses Jahr allerdings deutlich weniger Menschen an dem zentralen Aufmarsch in Teheran als 2005.