Mehrere Schalter umlegen

Solidarität und Teilhabe sind die Schlüssel im Kampf gegen den Rechtsextremismus. von julia bonk

Der Appell, es dürfe nicht nur bei einem Aufschrei über den Vormarsch Rechtsextremer bleiben, gehört so sehr zum Programm wie der Aufschrei selbst. Beide sind an der Tagesordnung nach Wahlerfolgen, rechtsextremen Straftaten oder Provokationen der NPD in den Parlamenten. Dass es dabei nicht bleiben kann, ist klar. Aufschrei und Appell dürfen nicht zum Ritual aufgeregter Bürgerlichkeit verkommen, dem Erschrecken muss die Analyse, der Analyse müssen Handlungen folgen.

Der aufmerkame Beobachter kann sich eines unangenehmen Eindrucks nicht erwehren: Die Ende der neunziger Jahre von der NPD ausgerufene Strategie des »Kampfes um die Straße«, »Kampfes um die Köpfe« und »Kampfes um die Parlamente« scheint Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt zu werden. Der NPD ist es vielerorts gelungen, sich kommunal zu verankern, wenngleich ihre Protagonisten nur zu oft der Heimat, die sie da beschwören, selbst nicht angehören. In ganzen Regionen norma­lisiert sich der Umgang mit Rechtsextremen durch enge Bekanntschaften und ein nur hintergründig ideologisches, lokales Engagement der Partei. Von No-Go-Areas wird gesprochen, verwaisende Landstriche werden von einer rechtsextremen Monokultur bestimmt. Der Einzug in Kommunal- und Landesparlamente, wie zuletzt in Mecklenburg-Vorpommern, ist das Resultat.

Um den Zuspruch der Bevölkerung zu rechts­extremen Parteien, abgelesen an den Wahlergebnissen der DVU und vor allem der NPD, einzudämmen, kann man nicht einfach einen Schalter umlegen. Es gibt keine zwei Knöpfe, nach deren Betätigung alles anders ist. Es geht im Grunde um die Attraktivität von Demokratie, die durch die Einbindung des Einzelnen und die Ergebnisse, die sie ihm bringt, hergestellt wird. Dass hier Defizite vorhanden sind, ist eine der Ursachen für den wachsenden Zuspruch für Rechtsextreme. Zum einen muss an der Behebung dieser Ursachen gearbeitet, zum anderen das Ausbreiten rechtsextremer Strukturen bekämpft werden.

Ist die NPD einmal in den Parlamenten, muss dort mit ihr umgegangen werden. Für die Auseinandersetzung im politischen Raum ist inzwischen klar, dass das Ausblenden der NPD nicht der Weg sein kann, den die demokratischen Parteien und Fraktionen gehen soll­ten. Ziel dieses Umgangs muss es sein, jede Nor­malisierung der NPD, in dem Sinne, sie sei ja »auch eine demokatisch gewählte Partei«, auszuschließen. Das gemeinsame Wirken der demokratischen Kräfte muss immer wieder die neonationalsozialistische Prägung der NPD, ihre menschenverachtende Plumpheit und Demokratiefeindlichkeit herausarbeiten.

Darauf müssen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier der demokratischen Parteien gut vorbereitet sein, sie müssen es als Aufgabe begreifen, sich zum Thema NPD und Rechts­extremismus fortzubilden und untereinander abzustimmen. Durch die Auseinandersetzung in den Parlamenten muss den Wählerinnen und Wählern der NPD deutlich gemacht werden, dass diese eben nicht ihre Interessen vertritt, sondern einen Kampf zur »Abwicklung der Bundesrepublik« führt. Die Men­schen wollen keinen positiven Bezug auf den Nationalsozialismus, darum ist das Herausarbeiten dieser Tradition in der NPD Aufgabe der demokratischen Parteien. Wer in dieser Aus­einan­dersetzung links und rechts gleich stellt, leistet der Normalisierung der NPD nur Vorschub.

Vielen erscheint zur Bekämpfung des Rechts­extremismus ein Verbot der NPD immer wieder als geeignetes Mittel, und sie fordern ein zweites Verbotsverfahren. Wer so etwas in die Wege leitet, muss auch erfolgreich sein. Fatal war die selbst produzierte Niederlage vor dem Verfassungsgericht, denn das, was den Gegner nicht entscheidend trifft, stärkt ihn eher.

Zweitens erscheinen Verbote von Parteien problematisch. Soll die Mehrheitsauffassung der Gesellschaft über die Rechtmäßigkeit organisierter Meinung entscheiden dürfen? Wen trifft es dann als nächsten, wenn der Zeitgeist sich dreht? Und natürlich verschwindet bei einem Verbot nur die offizielle Strukur, es verschwinden aber nicht die Protagonisten und die Gedanken in den Köp­fen der Wählerinnen und Wähler. Die Diskussion über ein Verbot ist nützlich, beugt sie doch einer Normalisierung der NPD vor. Ihr praktischer Nutzen und ihre demokratische Fundierung sind fragwürdig.

Kurzfristiges Ziel ist es, die Ausbrei­tung rechter Strukturen, von »nationalen Widerstandsgruppen« über die Partei bis hin zu ihren »Kulturangeboten«, zu verhindern. Der kommunalen Verankerung müssen lokale Aufklärung und Mobilisierung gegen rechts entgegengesetzt werden. Im Rahmen des Programmes ­Civitas wurde dies gefördert. Mobile Beratungsteams, Opferberatungen und Netzwerkstellen leisten gute Arbeit. Die Diskussion um die Fortführung des Programmes unter der Großen Koalition beweist noch einmal, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus keinem parteipolititischen Zwist unterliegen darf. Gerade die genannten Strukturprojekte will die Ministerin Ursula von der Leyen nicht mehr gleichermaßen fördern, sie setzt auf die Kommunen und deren Verwal­tung als Handelnde. Wie ungern Kom­mu­nen ihre Probleme mit dem Rechts­extremismus eingestehen und dann aktiv werden, ist aber bekannt. Darum müs­sen die zivilgesellschaftlichen Strukturprojekte zur Unterstützung der Kommunen erhalten und ausgebaut werden.

Neben den Rechtsextremen selbst müssen vor allem die Ursachen für den Zuspruch in der Bevölkerung bekämpft werden. Wachsende Entsoli­da­risierung und soziale Unsicherheit ver­schärfen die Auseinandersetzungen zwischen sozialen Gruppen. Soziale Randständigkeit wird durch ein selektives Bildungssystem an die nächsten Generationen weitergegeben. Die größer werdende Gruppe von Marginalisierten und die in Angst davor Lebenden sind leicht instrumentalisierbar gegen »die da oben« und »die Ausländer«. Es ist daher nicht verwunder­lich, dass Rechtsextreme insbesondere in ländlichen Regionen Unterstützung finden, in denen die wirtschaftliche Strukturschwäche besonders ausgeprägt ist. Im Übrigen sind es auch im urbanen Raum solche Gebiete; in Berlin gelang der NPD bei der Wahl der Bezirksverordneten der Einzug in die Bezirksparlamente wirtschaftlich schwacher Stadtteile. Der Rückbau sozialer Infrastruktur, begründet mit dem demografischen Wandel, tut da sein Übriges.

Rechtsextreme machen, zumal für junge Leute, in manchen Ortschaften die letzten Angebote. Indem im Neoliberalismus die Politik ihre Aufgabe der solidarischen Existenzsicherung und Einbindung aller in der Gesellschaft Lebenden nicht wahrnimmt, erzeugt sie selbst eine Politik- und Demokratiemüdigkeit, die den Rechtsextremen in die Hände spielt.

Niedrige Wahlbeteiligungen zeugen davon, dass weite Teile der Bevölkerung zunehmend das Gefühl haben, Politik könne nichts oder nichts für sie bewirken. Dieses Fernbleiben ist auch ein Votum der Unzufriedenheit mit der Demokratie. Dem zu begegnen, muss Politik soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und Zugang zu einem selbst bestimmten Leben für jeden und jede Einzelne organisieren, statt Existenzsicherung und Teilhabe vermeintlich freiheitlich der Eigenverantwortung zu übergeben. Einer Redemokratisierung der Gesellschaft muss eine Repolitisierung der Politik vorausgehen, wider die von Neoliberalen behaupteten Sachzwänge.

Die Demokratiefeindlichkeit der NPD drückt sich auch in ihrer Polemik gegen Politiker als »unfähige Parasiten am Volk« aus. Den plumpen Vorwurf darf sich die Politik nicht gefallen lassen, Demokratie ist Aushandlung und eben nicht die wirkungsstarke Order einer Führungsperson. Aber diese Aushandlung muss nachvollziehbar, einbindend und in den Ergebnissen überzeugend verlaufen. Die Menschen müssen ein Auskommen, Freizeitangebote, Gesundheitsversorgung oder gute Schulen und die Möglichkeit haben mitzubestimmen, um sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen und es auch zu sein. Die Demokratisierung von Schulen und Kommunen muss eine wichtige linke Forderungen sein.

Problematisch ist, wenn Redner der NPD sich in ihrer ideologischen Ausländerfeindlichkeit immer wieder auf die Wortwahl bürgerlicher Parteien beziehen können. Für den Ausdruck »menschliches Strandgut« bekam der Fraktionsvorsitzende der NPD, Holger Apfel, im Sächsischen Landtag einen Ordnungsruf, hin­terher stellte sich heraus, dass dies ein Zitat des vormaligen Innenministers aus der CDU war. Rechts­ex­tremes Gedankengut darf nicht in der Mitte der Gesellschaft ankommen und von ihr nicht parteitaktisch vereinnahmt werden. Einbürgerungstests, die Leitkulturdebatte oder ein verstärktes Anschmiegen an die Begriffe Volk und Nation verstärken fremdenfeindliche Tendenzen in der Bevölkerung. Auch der ausgerufene »Kampf der Kulturen« wird leicht zum Kampf gegen das Fremde. Gutmenschelndes Multikulti muss durch reale Integrationsarbeit ersetzt werden: durch Integration im Bildungswesen, in den legalen Arbeitsmarkt und kulturelle Einbindungsangebote, die auf Grundlage gemeinsamer Prinzipien Gemeinsames in Anerkennung der Verschiedenheiten schaffen.

Die NPD will den sozialen Protest, die Demokratiemüdigkeit und die Fremdenfeindlichkeit unter einem positiven Bezug auf den Nationalsozialismus miteinander verbinden. Bildungsarbeit, politische Auseinandersetzung in den Parlamenten und ein zivilgesellschaftlicher Kampf müssen dies verhindern. Mittelfristig wird es eine Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts in demokratischer Aushandlung sein, die über die Verbreitung des Zuspruchs für die Rechtsextremisten entscheidet. Ein gesellschaftlicher Zusammenhalt in Solidarität, Pluralität, Teilhabe und Freiheit für die Einzelnen.

Julia Bonk sitzt seit dem Jahr 2004 für die Linkspartei im sächsischen Landtag.