Zur Hölle, warum nicht!

Am 7. November wird in Texas gewählt. Auf Platz zwei im Kampf um den Gouverneursposten liegt der Krimiautor und Countrysänger Kinky Friedman. von martin kilian

Die Gestalt ist filmreif: Cowboystiefel, Bluejeans, ein schwarzes Hemd, darüber eine bestickte Lederweste. Der ansehnliche Gürtel ist üppig mit Silber beschlagen, vom Kopf grüßt ein breitkrempiger Cowboyhut. Und im Gesicht sprießt ein Bart und dampft eine Zigarre – aus Kuba, woher des US-amerikanischen Embargos wegen keine Stumpen importiert werden dürfen. Der stilsichere Aufzug gehört zum heißesten Politico im weiten Texas: Richard Friedman, 61, in Texas als »Kinky« verehrt und bekannt, begehrt Einlass in die prestigeträchtigste Residenz des Staates, das Haus des Gouverneurs in der Hauptstadt Austin.

Dort lässt es sich fürwahr leben, denn Austin, seit 1840 texanische Hauptstadt und überragt vom Kapitol, in dem dann und wann, doch eher selten, das texanische Amateur-Parlament tagt, ist eine Perle. Progressiv und liberal ist die Stadt, ein hippes Pflaster und dazu die Heimat von mehr als 1 000 Bands. An der Sechsten Straße reiht sich Club an Club, krakeelen des Abends Rocker und Countrysänger, Tex-Mex-Musikanten und Punks. Angetrieben wird die Szene von den 50 000 Studenten der vorzüglichen University of Texas, und Kinky war einmal, vor langer Zeit, einer von ihnen. Er wuchs in Austin auf und müsste, so er die texanischen Gouverneurswahlen im November gewinnt, lediglich innerhalb der Stadt umziehen – von seinem Ranch-Haus in die Residenz, wo er wie eine Bombe einschlüge.

Der erste jüdische Gouverneur des Staates will Kinky werden, der vor 35 Jahren an der Spitze seiner Country-Band Kinky Friedman and the Texas Jewboys zum amerikanischen Kultartikel wurde. Verriet schon der Name der Band originelles Denken, so ist der parteilose Kandidat Kinky erst recht ein exzentrischer Fall. Sein Wahlkampfslogan – »Zur Hölle, warum nicht?« – ist ebenso skurril wie es seine Musik war, die den Satiriker und Komödianten immerhin an die Seite Bob Dylans und Willie Nelsons brachte.

Den Konkurrenten der etablierten Parteien ist das Lachen inzwischen im Halse stecken geblieben, denn sagenhafte 20 Prozent – Tendenz steigend – werden Kinky derzeit bei Umfragen bescheinigt. Als »verrückteste Gouverneurswahl aller Zeiten« feiert die Monatszeitschrift Texas Monthly das Rennen zwischen Kinky, dem farblosen Demokraten Chris Bell, der obersten Buchprüferin des Staates, die sich den Wählern als politisch unabhängige Großmutter präsentiert, sowie dem republikanischen Gouverneur Rick Perry, einem Oberlangweiler, der wegen seiner stets einwandfreien Frisur als Gouverneur »Gutes Haar« bespöttelt wird.

Heute will Kinky in San Antonio, 100 Kilometer südlich von Austin, ein neues Wahlkampfbüro einweihen und um Wähler buhlen. Kaum betritt der Aspirant mit der kubanischen Konterbande im Mund die Bühne, drängeln sich die Medien um ihn. Er werde, falls gewählt, »auch ein Gouverneur für die Tiere von Texas« sein, sagt Kinky und verspricht, die größte Rossschlächterei im Staat zu schließen. Die verdammten Franzosen sollen ihr verdammtes Pferdefleisch gefälligst anderswo einkaufen, nicht in Texas!

Vor Kinkys Wahlbude in einer vergilbten Shopping-Zeile mit dem poetischen Namen »Blüten-Park« lümmeln sich die Bewunderer und fordern – auf Gitarren, auf Hemden und auf Postern – von ihrem Star Autogramme ein. Aus allen Schichten kommen sie, und Kinky ist ihr Mann, ein Freidenker, der Texas den Krallen des politischen Establishments entreißen wird.

»Das sind aufregende Zeiten für uns«, erschauert Rush Roberts, der Majordomus des Kinky-Hauptquartiers in San Antonio, derweil freiwillige Helfer vor dem Eingang Polit-Plunder verkaufen, darunter T-Shirts, die mit einem mittlerweile berühmten Spruch des Kandidaten bedruckt sind: »Möge der Gott Ihrer Wahl Sie beschützen!« Kinkys Faktotum Jeff Shelby alias »Jewford«, vormals Pianist der »Texas Jewboys«, erhebt die Stimme: »Ladies and Gentlemen, bitte heißen Sie den nächsten Gouverneur von Texas willkommen!« Unter donnerndem Applaus bedankt sich der Kandidat bei Jewford und erläutert, dieser heiße so, weil er Jude sei und einen Ford fahre.

Dann legt Kinky los: Vor allem brauche es legalisiertes Glücksspiel in Texas, so wie in Las Vegas, wohin es ihn des öfteren an die Spieltische zieht. Mit den staatlichen Einnahmen aus der Spielerei könne endlich das desolate Schulwesen des Staates saniert werden, sagt der Kandidat. Und überhaupt: Sobald er gewählt sei, werde eine direkte Telefonleitung vom Volk zum Gouverneur eingerichtet werden. »Mehrere Stunden täglich werde ich Ihre Anrufe entgegennehmen«, verspricht der Mann mit Hut, ehe er seine Qualifikationen fürs Amt präzisiert: »Wie Sie wissen, habe ich keinerlei politische Erfahrung – und darauf bin ich sehr stolz«, sagt er. Der Gouverneursposten? »Wie hart kann das schon sein?« Die drei anderen Kandidaten hätten »zusammen 88 Jahre politische Erfahrung« – und trotzdem liege in Texas so viel im Argen.

»Warum sollte Texas nur bei der Todesstrafe, den Autobahngebühren und den Haus- und Grundsteuern die Nummer eins in Amerika sein?« Schlechte Schulen und die meisten vorzeitigen Schulabgänger im gesamten Land. Die verdammte Todesstrafe! Arme Kinder ohne Krankenversicherung. Die Luftverschmutzung texanischer Großtädte. In den Gefängnissen zu viele Drogenabhängige, die dort nichts verloren hätten, sondern Therapie und Hilfe bräuchten. »Wir sind ein bunter, unabhängiger Staat und brauchen deshalb einen bunten, unabhängigen Gouverneur«, sagt Kandidat Kinky. 100 Millionen hätten die Politicos beim letzten Gouverneurswahlkampf verschleudert, nicht einmal ein Drittel der texanischen Wahlberechtigten sei jedoch zur Abstimmung erschienen. Mit ihm werde sich das ändern, gelobt Kinky Friedman.

So ganz ohne politische Erfahrung aber ist der Kandidat nicht: 1986 trat er in der texanischen Provinz fürs Amt des Friedensrichters an und wollte die Geschwindigkeitsbegrenzung für Autos senken – von 60 Meilen pro Stunde auf 59,5. Er verlor, nun aber wittert er Morgenluft. Falls die Wahlbeteiligung am Wahltag über 40 Prozent liegt, so die Einschätzung texanischer Kundiger, droht dem Staat womöglich ein Wunder: Gouverneur Kinky! Schließlich ist der Mann eine Legende. Mit Bill Clinton ist er ebenso befreundet wie mit George W. Bush. Beide luden ihn wiederholt ins Weiße Haus ein, wo Kinky seinem texanischen Präsidenten ein illegales Geschenk überreichte – eine kubanische Zigarre.

Inzwischen wirft der schlagfertige Meister der ätzenden Bemerkung die gesamten Wahlprognosen über den Haufen. Doch falls er sich zu sehr aufplustert und geradewegs auf das weißgetünchte Gouverneursdomizil in Austin zumarschiert, werden seine Gegner massiv negative TV-Werbung schalten – kein Problem, da Kinkys Leben Stoff für einen Haufen zuweilen bedenklicher Moritaten böte. Allein die Songs, die ihn berühmt machten! »They Ain’t Makin’ Jews Like Jesus Any More« (Juden wie Jesus werden nicht mehr gemacht) war eine Hymne gegen Rassismus und Antisemitismus, der Text ein veritables Lexikon schmutziger Wörter und nicht salonfähig. Außerdem hatte Kinky ein Lied komponiert, in dem er amerikanische Feministinnen verspottete – was ihm 1974 den Ehrentitel »Chauvinisten-Schwein des Jahres« eintrug.

Danach kamen der Koks (»Ich hörte auf, als mir Bob Marley aus dem linken Nasenflügel fiel«), die Einsamkeit sowie eine zweite Karriere als erfolgreicher Autor von 17 Krimis. Und nun, im dritten Lebensabschnitt, wendet sich Kinky Friedman an die texanischen Wähler. Nach einem Sieg wer­de er seinen Freund, den Country-Mu­siker Willie Nelson, in die Regierung holen. Der betanke seinen Tournee-Bus mit Biodiesel, was ganz Texas nachahmen sollte, um weniger vom Öl abhängig zu sein. Nein, er brauche den Vergleich mit den anderen Kandidaten nicht im Geringsten zu scheuen, sagt Kinky. »Du bist keinen Scheißdreck wert, aber du bist besser als das, was wir haben«, habe ihm neulich ein Schweinefarmer anvertraut.

Es kommt natürlich auf den Blickwinkel an. Bei einer Parade in Dallas fuhr Kinky im Cabriolet als gefeierter Gast mit, erregte jedoch Anstoß, weil er – vor Kinderaugen und gesetzeswidrig! – im Auto eine Dose Bier leerte. »Ich war durstig«, rechtfertigte er sich – mit einem texanischen Augenzwinkern. Als bekennender »Judeo-Christ« habe er selbstverständlich nichts dagegen, wenn die Zehn Gebote überall in Texas öffentlich ausgestellt würden. Aber die Schwulenehe sei ihm ebenfalls genehm. Damit es denen so miserabel wie den Heteros ergehe. So eilt der Kandidat im Eiltempo durch die Wahlkampfthemen, ein Held der Männer und Darling der Damen. Sie sei »Material für eine First Lady von Texas«, attestiert der unverheiratete Charmeur einer seiner Anbeterinnen, worauf diese prompt errötet.

Gouverneur Kinky? Warum nicht! Austin hat schon allerlei Sonderlinge und Exzentriker als Gouverneure erlebt, darunter den Trunkenbold Sam Houston, die scharfzüngige Demokratin Ann Richards und den republikanischen Ober-Chauvi Clayton Williams, der während des Wahlkampfs 1990 preisgab, in seiner Jugend oft mexikanische Hurenhäuser aufgesucht zu haben. Er sei dort »gewartet« worden, sagte Williams. Auch im Staat Minnesota gewann der ehemalige Catcher Jesse Ventura das Amt des Gouverneurs, in Kalifonien Arnold, die Hollywood-Größe. Und in Arizona bewarb sich sogar die schrille Rock-Nudel Alice Cooper (»Ein durchgedrehter Mann für durchgedrehte Zeiten«) fürs Amt des Gouverneurs.

Nicht nur passt Kinky wunderbar zu Austin – man stelle sich die Soireen und Empfänge vor! ­–, er wäre überdies ein knalliges Aushängeschild für Texas. Sogar die leidige Situation an der Grenze mit Mexiko würde Gouverneur Kinky auf seine Art lösen: Fünf mexikanische Generäle wären für je einen Grenzabschnitt verantwortlich und würden vom Staat Texas reichlich bezahlt, um Illegale abzufangen. Für jeden Illegalen, der dennoch über die Grenze kommt, möchte Kinky den Militärs 5 000 Dollar vom Gehalt abziehen.

Wie weit er bereits nach vorne denkt, zeigt Kinky Friedman in San Antonio. Auf die Frage, wie er es mit dem Nahost-Konflikt hält, antwortet der Mann im Cowboyhut, er unterstütze Israel, aber nicht etwa, weil er, Kinky, Jude sei. Nein, die Israelis seien die Texaner des Nahen Ostens! Damit wird Kinky bei den Baptisten, den Nazarenern und allen frommen Freunden Israels in Texas prächtig ankommen. Womöglich verzeihen sie dem Querschläger aus Austin sogar, dass er raucht und flucht und trinkt und wahrscheinlich einiges andere mehr anstellt, was den texanischen Gläubigen die Haare zu Berge stehen ließe, so sie es wüssten. Keine Frage: Für Texas wäre Gouverneur Kinky schon deshalb ein Gewinn, weil er so überlebensgroß wie Texas daherkommt. Ein Unikum, gewiss. Aber zur Hölle, warum nicht?