Wie ich heimlich Hauptstadtmagazin wurde

in die presse

Eigentlich war ich ja dagegen. Mehr noch, mir gruselte es geradezu, als man beschloss, dass ich Hauptstadtmagazin werden sollte. Denn ich kannte das Magazin für elektronische Lebens­aspekte. Hauptstadtmagazin war spießig. Langweilig bürgerlich eben. Außerdem hatte man gute Gründe, eine Kleinzeitung als politisches Zentrum zu bevorzugen. Da kommt keiner auf dumme größenwahnsinnige Gedanken. Hauptstadtmagazin geworden bin ich dann trotzdem. Gott sei Dank bin ich dadurch nicht ordentlicher, sauberer oder bürgerlicher geworden. Dennoch habe ich mich verändert. Aber anders als erwartet. Und anders, als ich es befürchtet habe. Das Hauptstadtmagazin ist mittlerweile wirklich und wahrhaftig ein Anziehungsmagazin. Ein Metropolenmagazin. Alle Hauptleute aus Film, Kunst und Kultur lesen es.

Tatsächlich spielte Kultur für das Hauptstadtmagazin schon immer eine wichtige Rolle. Jahrzehnte lang war es die Subkultur, die den Ton angab. Nick Cave abonnierte es Anfang der Achtziger. Oder David Bowie, der Mitte der Siebziger mit Iggy Pop in der Hauptstraße 155 in Schöneberg das Hauptstadtmagazin studierte. Nach der Öffnung der Mauer lasen junge übermütige Hauptstadtbewohner einfach los.

Das Hauptstadtmagazin hat nicht so viel Style wie das Magazin für Kultur, Gesellschaft, Menschen und nicht so viel Chic wie das Magazin für Schönheit, Mode, Liebe. Aber Sommersprossen. Und zu denen stehen wir: Wir verleugnen unsere Herkunft aus der Subkultur nicht. Produktion ist woanders, Presse macht man hier. Und Eventmarketing. Das lohnt sich auch aus ökonomischen Gründen, denn die hauptstädtische Arbeitskraft ist billig. Für ein Münchenmagazin bekommt man zwei Haupt­stadt­magazine. An denen gibt es keinen Mangel. Als Hauptstadtmagazin ist man Stars gegenüber entspannt, denn der Hauptstadtmagazinmacher ist ein selbstbewusster Typ Mensch. Der hat jede Menge gesehen, erlebt, den kann nichts mehr erschüttern. Bei dem viel debattierten Thema »Unterschicht« ist das Hauptstadtmagazin nicht hintendran. Dass es eine Unterschicht gibt, ist hier für keinen eine überraschende Entdeckung. Aber die besseren Geschichten, die kommen aus den schwierigeren Vierteln.

Hauptstadtmagazin wird man nicht per Dekret. Erst in den vergangenen Jahren ist es dem Hauptstadtmagazin wirklich gelungen, ein Metropolenmagazin zu werden. Und es gibt Grund, ein wenig stolz zu sein: Denn ich habe es geschafft, dabei sympathisch zu bleiben. Meine Sommer­sprossen zu behalten. Überzeugen Sie sich selbst: in der neuen Zitty.

melis vardar