Euros für Schwundgeld

Gegen eine Veranstaltungsreihe der Hans-Böckler-Stiftung zur »Macht des Geldes« regt sich Protest. von peter bierl

Zu Staub zerfallende Euro-Scheine, wie sie derzeit den Wissenschaftlern Rätsel aufgeben, hätten Silvio Gesell (1862 bis 1931) gefallen. Der deutsch-argentinische Kaufmann glaubte, dass Geldbesitzer Zinsen erpressen, weil der Wert des Geldes beständig sei, und propagierte deshalb rostendes Geld oder Schwundgeld. Seine »Freiwirtschaftslehre« basiert auf dieser absurden Annahme, die von jeder Inflation widerlegt wird. Gleichwohl glauben die Mitglieder von Tauschringen und Initiativen für Regionalgeld, sich gegen die »Zinsknechtschaft« aufzulehnen.

Mit der »Problematik des Zins- und Zinseszinseffektes« wollen sich auch vier Stipendiaten der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung auseinandersetzen, die eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel »Die Macht des Geldes« organisierten. In mehreren Wochenendworkshops will man sich mit finanzieller Unterstützung der Stiftung mit dem Geldsystem beschäftigen. Vertreter der »Initiative für eine Natürliche Wirtschaftsordnung« (INWO), die zu den eifrigsten Verfechtern von Gesells Dok­trin gehören, sollten einen »Einführungskurs zu den Hintergründen unseres Geldes« sowie einen Fortgeschrittenenkurs gestalten. Der Anthroposoph Götz Werner, Inhaber der Drogeriemarktkette »dm«, ist als Referent vorgesehen, und an einem der »Modul-Wochenenden« soll in einer Moschee über das Thema »Geld in Koran und Bibel« debattiert werden.

Als Kontaktperson der Stipendiaten fungiert Jens Mannheim. Auf dessen Homepage finden sich Links zur INWO, zur Regiogeld-Initiative Freitaler in Freiburg und zu Margrit Kennedy, die seit Jahrzehnten die Lehren Gesells propagiert und für die Blätter des inzwischen verstorbenen Max O. Bruker schrieb, den viele Linke zu den Ökofaschisten zählten. In früheren Werken bezog sich Kennedy auf Yoshito Otani, der sich auf die gefälschten antisemitischen »Protokolle der Weisen von Zion« stützt.

Eine Gruppe von Gewerkschaftern und Wissenschaftlern hat sich in einem offenen Brief gegen die geplante Veranstaltungsreihe der Böckler-Stipendiaten ausgesprochen. Sie argumentieren, die Lehre Gesells sei antisemitisch, weil sie »den antisemitischen Topos von guter (= deutscher, produktiver) versus schlechter (= jüdischer, unproduktiver) Arbeit« generiere. Bereits zum dritten Mal innerhalb weniger Jahre muss sich die Böckler-Stiftung mit vergleichbaren Vorwürfen auseinandersetzen. Sowohl der frühere Vertrauensdozent der Stiftung, Bernd Rabehl, der sich der extremen Rechten angenähert hatte, wie auch eine Debatte unter Stipendiaten, in der antisemitische Stereotype verbreitet wurden, sorgten für Proteste. Vor zwei Jahren veranstaltete die Böckler-Stiftung darum ein Seminar über Antisemitismus in der deutschen Linken.

Es stellt sich die Frage, wieso Gewerkschafter und Stipendiaten Ansichten verbreiten, die darauf hinauslaufen, die Lebensbedingungen vieler Menschen weiter zu verschlechtern. So schlägt Götz Werner ein Mindesteinkommen von 1 500 Euro vor, will aber die Mehrwertsteuer auf knapp 50 Prozent erhöhen, während Unternehmen praktisch keine Steuern mehr zahlen sollen. Kennedy meint, Geldsysteme wie das Regionalgeld seien »hoch innovative Selbsthilfemittel«, die den »Wohlfahrtsstaat« teilweise ersetzen könnten. Und die INWO möchte Bargeld und Girokonten mit einer Strafgebühr belegen, die das Geld zu einer Art Schwundgeld machen würden. Vermögenswerte und langfristig angelegtes Geld wären nicht betroffen, weshalb die »Knöllchen für Spekulanten« vor allem ärmere Leute treffen würden. Gesell selbst wollte ausdrücklich einen neuen Manchesterkapitalismus etablieren, lehnte Streiks, Gewerkschaften und Sozialstaat ab.

Das Regionalgeld, das die Stipendiaten der Böckler-Stiftung im Rahmen der Veranstaltungsreihe als Alternative vorstellen wollen, ist ebenfalls eine Art Schwundgeld und verliert in regelmäßigen Abständen an Wert. Seine Besitzer müssen es deshalb schnell ausgeben, was angeblich die lokale Wirtschaft boomen lässt. In der Realität dümpeln solche Initiativen und Tausch­ringe dahin, weil es egal ist, ob man Brot und Butter mit Euros oder etwa mit dem »Chiemgauer« bezahlt. Neue bunte Gutscheine schaffen keine blühenden Landschaften. Das Regionalgeld dürfte an der ökonomischen Realität scheitern und von den Gesellianern durch neue skurrile Projekte ersetzt werden.

Die wichtigere Frage lautet darum, wieso immer wieder Personen aus den Kreisen der Gewerkschaften oder der Globalisierungskritiker solchen Lehren eine Plattform bieten? Wenn nicht ausdrücklich von Juden die Rede ist, verstehen sie den Vorwurf des Antisemitismus nicht. Sie begreifen nicht, dass antisemitische Ressentiments auch dann bedient, abgerufen und gefördert werden, wenn vom bösen Finanzkapital die Rede ist, wenn in Gewerkschaftsblättchen Blut saugende amerikanische »Heuschrecken« angeprangert werden oder der Zins als Wurzel allen Übels bezeichnet wird, mit dem Wucherer und Spekulanten aufrechte Mittelständler und fleißige Arbeiter ausbeuten. Die Nationalsozialisten sprachen vom guten »schaffenden« und dem bösen »raffenden« Kapital.

Entsprechend werden die angeblich gute soziale Marktwirtschaft und der rheinische Kapitalismus gegen einen ominösen Raubtier- oder Turbokapitalismus verteidigt. Gewerkschafter schimpften auf den »angelsächsischen Kapitalismus«, als Vodafone Mannesmann schluckte, nickten aber den Lohnraub ab, als Daimler-Chrysler die Arbeiter in Bremen gegen die in Sindelfingen ausspielte. Die Gewerkschaften haben sich auf die nationale Standortkonkurrenz eingelassen, gemäß dem Motto eines alten Spottliedes: »Wanns mei’m Herrn guat geht, geht’s ma a guat.« Der Fachbereich Medien, Kunst und Industrie des Verdi-Bezirks München versuchte sogar im Frühjahr, in einem Brief an die Mitglieder die Parole »Wir sind Deutschland« zu vereinnahmen. Da verwundert es nicht, wenn Studien ergeben, dass ein Fünftel der Gewerkschafter rechtsextreme Einstellungen pflegt.

Aber es geht auch anders. Gegen einen Vortrag Margrit Kennedys am 20. November in der katholischen Stiftungsfachhochschule in München protestieren die Studierendenvertretung, die Hochschulgruppe der Lehrergewerkschaft GEW und der Arbeitskreis Gewerkschaften der Münchner Hochschulen. Und auch der Einspruch gegen die Veranstaltungsreihe der Böckler-Stipendiaten hat bereits Wirkung gezeigt: »Wir setzen uns damit auseinander«, versicherte Rainer Jung, der Pressesprecher der Stiftung, auf Nachfrage. Der erste Workshop mit der INWO sei abgesagt, und die Projektkommission der Stipendiaten werde sich mit der Reihe auseinandersetzen, um zu entscheiden, »ob es weitergeht«. Jens Mannheim sagte, er und seine Mitstreiter seien »überrascht von den Vorwürfen«. Bis sie geklärt seien, werde keine Veranstaltung stattfinden.