Showdown in Downtown

Nach dem Rücktritt der prosyrischen Minister aus dem Kabinett von Premierminister Siniora nehmen die Spannungen im Libanon zu. von markus bickel, beirut

Tag und Nacht stehen Einheiten der Internal Security Forces (ISF) an der breiten Straße, die vom Regierungssitz Serail am Märtyrerplatz vorbei ins Beiruter Ausgehviertel Gemayzeh führt. Seitdem Unbekannte im Oktober drei Grana­ten auf ein Gebäude in der nach dem Ende des Bür­gerkriegs wieder aufgebauten Innenstadt warfen, herrscht in dem von Einheimischen als »Downtown« bezeichneten Quartier die höchste Sicherheitsstufe. An diesem Abend sind noch mehr Uni­formierte als sonst unterwegs. Denn zum ersten Mal seit dem Rückzug der prosyrischen Minister aus der Regierung von Premierminister Fuad Siniora haben sich Anhänger des vor knapp anderthalb Jahren an die Macht gekommenen Sunniten zu einer Kundgebung versammelt.

Immer wieder hallt der Kosename des politischen Ziehvaters Sinioras durch das große Zelt am Märty­rerplatz. »Abu Baha, Abu Baha«, rufen die rund 2 000 Anhänger von Rafik Hariri, die an diesem Abend an das Grab des ehemaligen Premierministers gekommen sind, der im Februar 2005 bei einem Attentat ums Leben kam. Überall an den Wänden hängen Bilder Hariris, dessen ältester Sohn Baha sich seit dem Anschlag um das Wirtschaftsimperium des Vaters kümmert. Sein jüngerer Bruder Saad sitzt seit den Wahlen im Sommer 2005 als Mehrheitsführer im Parlament.

»Wir sind hier, um das Andenken Hariris zu bewahren und für den wahren Libanon zu demonstrieren«, sagt Hussam Safadi, ein Journalistik-Student und Anhänger des von Saad Hariri geführten Future Block. »Anders als die Hizbollah, die für den Iran kämpft, kämpfen wir allein für unser Land.« Eine Hand voll Kommilitonen Hussams, die mit dem 21jährigen vor dem Eingang zum großen Zelt stehen, nicken zustimmend. Buhrufe werden laut, wenn die Redner von der mit dem Iran und Syrien verbündeten Hizbollah sprechen, Jubel hingegen brandet auf, wenn der Name von Ha­riris politischem Gefährten, dem drusischen Chef der Sozialistischen Fortschrittspartei (PSP), Walid Jumblatt, fällt.

Die Veranstaltung zu Ehren des sunnitischen Multimilliardärs, für dessen Ermordung wahrscheinlich syrische Hintermänner verantwortlich waren, war seit langem geplant, doch bekommt sie in diesen Krisentagen eine neue Bedeutung. Hier, am Märtyrerplatz im Zentrum Beiruts, fan­den im Frühjahr 2005 Massendemons­tra­tionen für den Abzug der syrischen Truppen statt. Die politischen Kontrahenten der antisyrischen Kräfte sind damals wie heute, nach dem Rücktritt der schi­itischen Minister aus der Regierung, die Parteien Hizbollah und Amal. Bereits am vorletzten Samstag legten deren fünf Minister ihre Ämter nieder, nachdem ihnen eine stärkere Vertretung im Kabinett, die ihnen eine Sperrminorität gesichert hätte, ver­weigert wor­den war.

Trotz der Dezimierung der Regierung um fast ein Viertel ihrer Mitglieder segnete das Kabinett Anfang voriger Woche den Entwurf der Vereinten Nationen für ein internationales Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Hariri ab. Eine Entscheidung, die von Präsident ­Emile Lahoud mit einem eigenen Schreiben an Uno-Generalsekretär Kofi Annan beantwortet wurde: Da eine der konstituierenden Konfessionsgruppen nicht mehr in der Exekutive vertreten sei, so der katholische Maronit, habe diese ihre Legitimität verloren. Er werde künftig an Kabinettssitzungen nicht mehr teilnehmen.

Gut drei Monate nach dem Ende des 34tägigen Krieges zwischen Israel und Hizbollah-Einheiten steht der Libanon innenpolitisch vor einer ähnlichen Konfrontation wie im Frühjahr. Damals lud der schiitische Parlamentspräsident Nabih Berri zu einem »nationalen Dialog« der wichtigsten Politiker des Landes, doch wie die mit dem Rücktritt der prosyrischen Minister gescheiterten Gespräche Anfang November platzten damals die Gespräche zur Klärung wichtiger umstrittener Fragen – nicht zuletzt, weil die Hizbollah über eine Abgabe ihrer Waffen nicht diskutieren wollte.

Noch ist die Stimmung heiter am Märtyrerplatz, doch ein wenig wirkt es wie die Ruhe vor dem Sturm. Sicherheitspersonal bewacht den Eingang zum Zelt, und nur ein paar Dutzend Meter weiter nördlich stehen behelmte Polizisten mit Schutz­schilden, um einen möglichen Zusammenstoß der Anhänger Hariris mit Hizbollah-Getreuen zu verhindern. Generalsekratär Hassan Nasrallah und andere Hizbollah-Funktionäre haben mit Demons­trationen und Aktionen zivilen Ungehorsams gedroht, um die Regierung Sinioras zu Fall zu bringen. Ein Datum nannten sie bislang nicht. Nun war­ten die Libanesen besorgt darauf, dass die Proteste beginnen.

Nur zwei Kreuzungen vom Märtyrerplatz entfernt, zwischen dem Regierungssitz Serail und dem Hauptquartier der Vereinten Nationen in Beirut, fährt kurz nach acht Uhr unter lautem Hupen ein kleiner Konvoi von vielleicht zwei Dutzend Autos entlang. Junge Leute wedeln mit der gelben Fahne der Hizbollah und der grünen der von Berri geführten Amal. Einschreiten müssen die Soldaten der libanesischen Armee und die Polizisten an diesem Abend nicht. Wie schnell friedlicher Protest in Gewalt umschlagen kann, zeigte sich jedoch wäh­rend des Kriegs Ende Juli, als aufgebrachte Hizbollah-Anhänger das Gebäude der Uno stürmten. In der Nacht zuvor waren 28 Menschen bei einem israelischen Angriff auf das südlibanesische Städtchen Qana ums Leben gekommen.

In westlichen Medien wurde danach darüber diskutiert, ob die Hizbollah Zivilisten als »menschliche Schutzschilde« einsetze. Ein Vorwurf, den zu entkräften auch die Besucher einer »Internationalen Konferenz zur Unterstützung des Widerstands« am Wochenende nach Beirut gekommen sind. Rund um das in Westbeirut gelegene Tagungsgebäude hat sich Wachpersonal der Hizbollah gruppiert, am Eröffnungsabend erklärt Nasrallahs Stellver­treter Naim Qassem, dass Israel »durch die schiere Willenskraft« der im Libanon als »Widerstand« bezeichneten Hizbollah-Kämpfer geschlagen worden sei. »Mit Waffen allein kann man keine Siege erringen.«

Eine Sichtweise, die auch Aynan Fadel teilt, trotz aller ideologischen Differenzen, die ihn als Kommunisten von der »Partei Gottes« trennen müssten. Doch die libanesische KP arbeitet seit langem mit der Hizbollah zusammen, eine säkulare Fraktion hat sich deshalb von der Partei getrennt. »Wäh­rend des Kriegs hat sich gezeigt, dass die Regierung Sinioras mit Israel kollaboriert«, sagt der 21jährige. »Die Hizbollah und die Kommunisten hingegen haben gegen Israel gekämpft.« Deshalb sei es richtig, »mit friedlichen Demonstrationen« den Sturz der Regierung herbeizuführen. Selbst auf die Gefahr, dass es zu bewaffneten Zusammen­stößen mit den Anhängern Hariris kommt. »Wenn die Regierung Soldaten oder Polizisten zum Eingreifen schickt, liegt das nicht in unserer Hand«, sagt Fadel.