Grün ist der Mehrwert

Still und unbemerkt bereiten sich die Grünen auf Koalitionen mit der CDU und der FDP vor. Am Wochenende veranstalten sie ihren Parteitag. von stefan frank

Damit wenigstens die Grünen selbst im Gedächtnis behalten, wie ihre vier Vorsitzenden heißen, veranstalten sie regelmäßig Parteitage. Schlechte Stimmung herrscht dort nie. Da die Partei eine geradezu fanatische Wählerschaft hat, wie es sie sonst nur in Bayern oder im Kongo gibt, verfügt sie über großes Selbstbewusstsein. Man kann sich gar nicht erklären, wie denn die Staatsgeschäfte nun schon so lange ohne sie geführt werden können, ist sich aber sicher, dass es so nicht weitergehen darf.

Dabei kommt es den Grünen nicht darauf an, welche Politik gemacht wird, sondern darauf, dass sie es sind, die sie machen. Aus diesem Grund hat Claudia Roth gleich nach der Bundestagswahl angekündigt, dass die Regierung von den Grünen keinen Widerspruch zu erwarten habe: »Wir haben uns für eine inhaltliche Opposition entschieden, die konstruktiv, kritisch und kreativ ist, ohne vordergründiges Haudrauf.«

Dass dieses Versprechen gehalten wurde, beweist ein Papier, das die Bundestagsfraktion aus Anlass des einjährigen Jubiläums der Großen Koalition herausgegeben hat. »Ein Jahr Koalition der Kraftlosen«, lautet der Titel. Wäre es das einzige, was man über die Bundesregierung wüsste, müsste sie einem wirklich sympathisch sein. Wer wünscht sich nicht eine »kraftlose« Regierung? Alles, was die Grünen tadeln, sind Unterlassungen. »Zukunftsaufgaben« würden »nicht angepackt«, »Entscheidungen nicht getroffen, Chancen« blieben »ungenutzt«, und es fänden »keine Investitionen in die Köpfe« statt. Eine wirkliche Bedrohung ist die Föderalismusreform, bedeutet sie doch nichts anderes als »eine neue Kleinstaaterei im Umweltrecht«. Sollte es so weit kommen, »dann gnade uns Gott« (Peter Scholl-Latour).

Vorsichtshalber bereiten sich die Grünen darauf vor, die Regierung zu übernehmen. Anfang September hielten sie einen »Zukunftskongress« ab, bei dem sie die Zukunft nach Einschätzung von Experten sehr genau prophezeit haben. Ende November folgte ein »wirtschaftspolitischer Kongress« und ein »AutorInnenpapier« mit dem Titel »Mehrwert. Grüne Marktwirtschaft«.

Das geht ungefähr so: Die Marktwirtschaft löst alle Probleme der Welt, zumal dann, wenn sie ökologisch ist. Sollten Sie dennoch einmal Grund zur Beanstandung haben, gehen Sie bitte zunächst die folgende Checkliste durch: Ist der Hauptschalter auf »on«? Damit in einem Staat überhaupt etwas läuft, benötigen Sie eine grüne Regierung, die »weitsichtig ökologische Rahmenbedingungen sichert«. Gibt es in Ihrer Wirtschaft genug »Frauen in Führungspositionen«? Wenn nicht, sorgen Sie auf irgendeine Art und Weise dafür, denn Frauen sind »der entscheidende Wachstumsmotor«. Wenn die Marktwirtschaft dann immer noch Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und ein »waschendes (!) Prekariat« produziert, liegt es wahr­scheinlich an den ausländischen Monopolen.

In diesem Fall brauchen Sie eine grüne Regierung, die »Anspruch auf die internationale Gestaltung der Globalisierung erhebt«. Noch besser ist eine von den Grünen gebildete Weltregierung (»multilaterale Instanz«).

Im Großen und Ganzen sorgt der Markt jedoch ohne Hilfe für das bestmögliche Ergebnis. So hätten Vergleiche gezeigt, »dass die wettbewerbsfähigsten Staaten auch diejenigen mit der besten Umweltpolitik sind«. Man braucht ja nur an China zu denken. Außerdem würden »steigende Kosten auf den Rohstoff- und Energiemärkten« dafür sorgen, »dass die unsichtbare Hand des Marktes grün wird«. Das muss etwa so gemeint sein: Je teurer natürliche Ressourcen werden, desto häufiger greift die grüne Hand des Marktes zur Kettensäge. Oder kürzer: Steigt der Holzpreis, fällt der Baum.

Um zu testen, wie der ganze Quatsch beim Kapital ankommt, veranstaltete Fritz Kuhn eine Art Mini-Davos, den Kongress »Grüne Marktwirtschaft«. Nach einem Eröffnungsvortrag von ihm (»Nur wer Wirtschaft ökologisch denkt, wird in Zukunft ökonomisch erfolgreich sein«), warb ein Toyota-Vertreter für Autos. Dann gab es einen Presseklub, bei dem Journalisten vom Handelsblatt, von der Zeit, der Taz und der Financial Times Deutschland gebeten wurden, auf die Große Koalition zu schimpfen.

Anschließend fand eine Podiumsdiskussion zum Thema »Industrie- und Wettbewerbspolitik« statt. Eingeladen dazu hatte Kuhn u.a. Ulf Böge vom Bundeskartellamt, Alfred Tacke von der Steag AG und einen Energiemakler, der beklagte, dass es in Deutschland auf dem Gasmarkt »noch« keinen Wettbewerb gebe.

Das Komische an dieser Situation hat leider niemand verstanden, und Kuhn hat den Witz auch nicht erklärt. Er geht so: Es gibt keinen Wettbewerb, weil Eon im Jahr 2002 den Konkurrenten Ruhrgas aufgekauft hat. Da behauptet wurde, dass diese Fusion nur für ein Mitgliedsland, nämlich Deutschland, eine Bedeutung habe, wurde sie nicht in Brüssel angemeldet, sondern beim Bundeskartellamt. Das Kartellamt, dem damals bereits Ulf Böge vorstand, untersagte die Fusion, da sie den Wettbewerb einschränke.

Das deutsche Kartellrecht kennt aber, anders als das europäische, das Instrument der Ministererlaubnis. Nach dem Fusionsverbot wandte sich Eon an den damaligen Wirtschaftsminister Werner Müller. Der ließ, weil selbst Manager bei Veba, dem Vorgängerunternehmen von Eon, seinen Stellvertreter Tacke entscheiden. Tacke erlaubte die Fusion. Danach schied Müller aus dem Amt aus und wurde Chef des Ener­gie­unternehmens Steag, das der RAG gehört, an der wiederum Eon zur Hälfte beteiligt ist. Und nun saßen also Böge und Tacke bei Kuhn, um über Industriepolitik zu reden, wobei Tacke die »Notwendigkeit eines fairen Wettbewerbs« betonte. Ist das nicht lustig?

Doch bleibt immer noch die Frage unbeantwortet, was der Humbug mit der »grünen Marktwirtschaft« denn eigentlich soll. Der Slogan, »die unsichtbare Hand wird grün«, ist offenbar paradox. Eben deshalb passt er aber gut zu dem ganz und gar widersinnigen Programm. Er zeigt den Widerspruch, der darin besteht, dass die Grünen meinen, die »unsichtbare Hand des Marktes« beseitige Probleme wie etwa die Umweltverschmutzung, gleichzeitig aber erklären müssen, wozu dann noch jemand die Grünen brauchen soll.

Ziel ist es, sich bei CDU und FDP beliebt zu machen, denn mit der SPD allein, das ist den Zukunftsexperten klar, können sie in den nächsten sieben Jahren keine Regierung bilden. Davor, sich lächerlich zu machen, haben sich die Grünen noch nie gefürchtet. Ebenfalls zugute kommt ihnen der pädagogische Einfluss der vielen ehemals mao­istischen Kader. Beim »Kommunistischen Bund Westdeutschland« (KBW) haben sie gelernt, dass es nicht auf die Theorie ankommt, sondern auf die richtigen Vokabeln. Statt Karl Marx verhunzen sie jetzt Adam Smith. Beibehalten konnten sie ihren idealistischen Stumpfsinn, die autoritäre Hierarchie und das Sendungsbewusstsein.

Der Mao-Bibel wurde gewissermaßen ein Neues Testament hinzugefügt: »Der grüne Abgeordnete muss sich in der Bourgeoisie bewegen wie ein Fisch im Wasser«; »die Gewerkschaften sind Papiertiger«. Vor allem aber: »Grüne Reformpolitik ist keine Dinner Party, kein Aufsatzschreiben, Bildermalen oder Deckchensticken. Sie kann nicht so nett, ruhig und höflich sein. Grüne Reformpolitik ist ein Akt der Gewalt.« Und während es den Grünen in früheren (aber keineswegs besseren) Zeiten darum ging, »Utopien« zu entwickeln, sind sie heute einfach nur weltfremd.