Jeder gegen jeden

Mit »The Departed« ist Martin Scorsese ein packender Cop-Thriller gelungen, der die Paranoia in den USA nach dem 11. September spiegelt. von andreas hartmann

Man muss gar nicht drum herum reden. »The Departed« (auf Deutsch: »Unter Feinden«) ist genau das Meisterwerk von Martin Scorsese geworden, auf das man nochmals hoffte, obwohl man immer weniger daran glaubte. Die letzten großen Filme von Scorsese – neben seiner Dokumentation über Bob Dylan und seinen Blues-Filmen –, »Aviator« und »Gangs Of New York«, waren, das wird nun immer deutlicher, einfach nicht die Filme, die den Meister auf der ganzen Höhe seiner Kunst zeigten. Zu zerfahren wirkten sie, leicht unfertig, und Leonardo DiCaprio wurde seiner Rolle als Muse des Regisseurs und neuer Robert DeNiro einfach nicht gerecht. Auch unter der Ägide seines Förderers blieb er der schmächtige Junge, der auf dem Vorderdeck der Titanic ruft: »Ich bin der König der Welt.«

Doch bei »The Departed« passt wieder alles, und DiCaprio hat es, auch wenn man es vielleicht erst mit eigenen Augen sehen muss, nun tatsächlich geschafft: Er ist der neue DeNiro. Er ackert, schwitzt und zeigt seine Muskeln, nicht mehr wie ein blasses Jüngelchen wirkt er, sondern wie ein ganz harter Kerl.

Scorsese selbst begibt sich wieder heraus aus der Historie, mitten hinein ins Jetzt und dorthin, wo er sich immer noch am besten auskennt: in den Großstadtsumpf aus Intrigen, Verbrechen, Korruption, einfach dem ganzen Programm eines klassischen urbanen Cop-Thrillers. Sein Film spiegelt ein Amerika, in dem Angst herrscht, er spielt nicht in New York, das wäre auch zu einfach gewesen, denn dort muss seit dem 11. September die Paranoia ja zum Alltag gehören, das kann man sich leicht vorstellen. Nein, er spielt in Boston, nicht nur, weil Scorsese nach seinen großen Filmen über New York wie etwa »Mean Streets« einen Neuanfang im Genre Großstadtfilm markieren will, sondern um zu zeigen, dass es nicht nur in den klassischen amerikanischen (Alp-)Traumstädten wie New York und Los Angeles nicht ganz geheuer zugeht, sondern überall in den USA – und eben auch in Boston.

Der Film – ein Remake des Hongkong-Cop-Films »Internal Affairs« – ist vom Grundplot ganz simpel: good cop (DiCaprio) gegen bad cop (Matt Damon), und dazwischen eine Frau.

Billy Costigan (DiCaprio) wird undercover bei der irischen Gangsterbande von Frank Cos­tello (Jack Nicholson) eingeführt, um dem Police Department die nötigen Informationen zu beschaffen, die zur Festnahme Costellos führen könnten. Was Costigan nicht weiß, ist, dass in seinem eigenen Office gegen ihn gearbeitet wird und das organisierte Verbrechen bei seiner eigenen Observation etwas mitzureden hat. Erst scheint nur Colin Sullivan (Matt Damon) ein falsches Spiel zu spielen, bis sich herausstellt, dass Costigan das Opfer eines irrsinnigen Verschwörungsnetzwerks geworden ist, in dem jeder jeden bewacht und niemand mehr dem anderen vertrauen kann.

»The Departed« ist Scorseses Kommentar auf die Stimmung in den USA, die sich im Krieg gegen den Terrorismus befinden und wo der Ruf nach Sicherheit in der Bevölkerung dazu geführt hat, dass die Staatsgewalt sich permanent selbst stärkt, sich immer neue Befugnisse gönnt, den »Patriot Act« durchgesetzt hat und langsam dabei ist, das Folterverbot nicht mehr ganz ernst zu nehmen. Das Bostoner Police Department ist ein Abbild dieses Staats, und statt Terroristen wird ein irisches Verbrechersyndikat gejagt.

Wer kontrolliert überhaupt noch wen? fragt sich Scorsese. Und wer kontrolliert dann den, der kontrolliert? Was Scorsese hier an Szenarien aufhäuft, hinterlässt ein mulmiges Gefühl, die Kontrolle trägt bereits orwellsche Züge.

Die Paranoia Costigans, der irgendwann überhaupt nicht mehr weiß, an wen er sich, von allen Seiten in die Ecke gedrängt, überhaupt noch wenden soll, da die Hinwendung zu Recht und Ordnung für ihn auch nur Verderben bedeuten würde, erinnert an die Angstzustände, denen das Personal in Alan Pakulas Verschwörungsthrillern aus den siebziger Jahren ausgesetzt war. Etwa in »Klute« oder »The Parallax View«, als Pakula nach dem Watergate-Skandal zeigte, wie eine ganze Nation das Vertrauen in die politischen Eliten verloren hatte.

Scorseses Film führt in ein Police Department, in dem die offiziellen Macht­strukturen nur noch Schein sind und wo längst ganz andere, unbekannte Kräfte hinter allem lauern – ein aus den Fugen geratener Staat. Die Kommunikation innerhalb des Systems ist völlig gestört, man fühlt sich an das Kompetenz-Durcheinander erinnert, das zwischen den verschiedenen amerikanischen Geheimdiensten geherrscht haben muss vor den Anschlägen auf das World Trade Center und das die Weitergabe von Informationen über die terroristischen Aktivitäten blockierte.

Kommunikation bringt bei Scorsese einfach nichts mehr, wofür das permanent klingelnde Handy als Metapher herhalten muss. Dieses ist kein Instrument zur Kommunikation mehr, sondern zur Kontrolle, in der Welt, die Scorsese aufzeigt, telefoniert man nicht mehr, um bloß Kommunikation herzustellen, sondern um sich den anderen gefügig zu machen oder um ihn gar zu vernichten.

Das Herrliche an »The Departed« ist, neben den wunderbaren Bildern von Michael Ballhaus, natürlich auch die grandiose Besetzung. DiCaprio überzeugt – wie gesagt – voll und ganz, während Jack Nicholson seinen Einstand bei Scorsese gibt und andauernd als größenwahnsinniger Gangsterboss sein irrstes Grinsen seit »Shining« grinst.

In Nebenrollen brillieren, man kann es kaum anders sagen, Martin Sheen und Alec Baldwin, und selbst Matt Damon, bislang einer der überschätztesten Hollywood-Schauspieler überhaupt, wirkt glaubhaft als fieses Schwein, das sich für keine Gemeinheit zu schade ist. Und Mark Wahlberg als tuntig wirkender Cop hat von Scorsese eine derart kuriose Rolle aufgedrückt bekommen, dass man an manchen Stellen schon zweifelt, ob der Regisseur es auch wirklich immer ernst meint mit seinem Film, der dank seiner teilweise bizarr anmutenden Gewalt streckenweise wirkt wie eine Hommage an das Kino des einstigen Scorsese-Epigonen Quentin Tarantino.

Auch über die allerletzte Einstellung wird man wohl noch länger rätseln müssen. Der Blick geht aus dem Fenster, das Blut auf dem Boden ist noch ganz frisch, draußen sieht man eine Moschee. Und auf dem Fensterrahmen im Zimmer sitzt eine Ratte.

»The Departed« (Unter Feinden). Regie: Martin Scorsese, USA 2006, 152 Minuten, Start: 6. Dezember