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Nachruf

Alfred Schobert (1963 bis 2006). Zu den inspirierendsten Schülern Jacques Derridas zählen jene, die das philosophische Programm der Dekonstruktion nicht als Satzbaukasten für avancierten akademischen Jargon, sondern als Waffe der Kritik nutzen. Der nach kurzer schwerer Krankheit verstorbene Publizist und Sozialwissenschaftler Alfred Schobert, der als Student in Paris den Seminaren Derridas lauschte, gehörte dazu. Dem nonkonformistischen Intellektuellen, der kaum eine Konfrontation scheute, blieb der klassische akademische Karriereweg verwehrt. Schobert erhielt seine Lehraufträge statt dessen von den Asten, Antifa-Referaten und autonomen Zentren die­ser Republik, sein Auditorium waren die sozialen Bewegungen. Als Experte für die so genannte Neue Rechte fand er im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (Diss) eine wissenschaftliche Wirkstätte. Dort forcierte er mit anderen die Verbreitung diskursana­lytischer Gesellschaftskritik. Für die von ihm mitbetreuten Archivnotizen des Diss wertete der sammelwütige Dokumentar noch das abseitigste Blatt obskurer französischer Faschisten aus. Die Liste seiner Publikationen umfasst hunderte glänzend geschriebener und bis ins kleinste Detail recherchierter Aufsätze, Artikel und Rezensionen.

Wer ihm auf Demonstrationen, wo er Redebeiträge hielt, oder als Diskussionspartner auf Tagungen begegnete, traf auf einen energiegeladenen, an Foucault, Derrida und der traditionellen Kritischen Theorie geschulten Geist mit breit gefächertem Wissen und vielseitigen Interessen. Seine wortmächtige Kritik an der extremen Rechten brachte ihm erbitterte Feindschaften ein, die bisweilen in Morddrohungen gipfelten. Mit Leidenschaft agitierte er gegen Antisemiten aller Couleur. Mitunter wurden aus diesem Grund Veranstaltungen gesprengt, wo er mit dem Megaphon in der Hand die Stimme der Aufklärung erhob. Sein plötzlicher Tod hinterlässt zahlreiche trauern­de Intellektuelle und linke Aktivisten, die in der vergangenen Woche u.a. aus Frankreich, Israel, Afghanistan und Zypern kondolierten. Für die Jungle World schrieb Schobert seit ihrer Gründung, bis er sich vor einigen Jahren abwandte. Wir verlieren mit ihm einen unserer härtesten Kritiker. Wir trauern um ihn. (jw)

Die Letzten der Diven

Ruth Brown, Anita O’Day. Gleich zwei große Sängerinnen sind in der vorigen Woche verstorben. In Las Vegas erlag Ruth Brown im Alter von 78 Jahren den Folgen eines Schlaganfalls. Sie war eine der herausragenden Sängerinnen des Rythm & Blues. Ihre größten Erfolge feierte sie in den fünfziger Jahren, als sie unter anderem auf dem berühmten Plattenlabel Atlantic veröffentlichte. Sie hatte eine ganze Reihe von Hits, bevor es in den sechziger Jahren dann ruhiger um sie wurde. Im Jahr 1988 feierte sie ein kurioses Comeback als Schauspielerin, ausgerechnet in dem Film »Hairspray«, dem trashigen Meisterwerk von John Waters.

Anita O’Day, die vielleicht letzte große Diva des Jazzgesangs, verstarb im Alter von 86 Jahren in Los Angeles. Sie wurde berühmt als Swingsängerin, als sie im Jahr 1941 in die Gruppe des Jazzschlagzeugers Gene Krupa einstieg. Es folgten Engagements in den Bigbands von Woody Herman und Stan Kenton, die ihr eine Reihe von Hits bescherten. Im Jahr 1952 nahm sie als erste Künstlerin überhaupt eine Platte für das bald immens einflussreiche Label Verve auf, bei dem sie bald Stammsängerin wurde. Nach gemeinsamen Auftritten mit Größen des Jazz wie Louis Armstrong und Thelonious Monk und vor allem durch den Film »Jazz On A Summer’s Day« wurde die immer etwas unterkühlt wirkende weiße Jazzsängerin schließlich weltberühmt.

Darauf folgte aber das fast schon übliche Programm bei Größen des Jazz: Sie verfiel den Drogen und dem Alkohol. In den siebziger Jahren konnte sie – nun wieder clean – ihre Karriere fortsetzen. Zuletzt trat sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr öffentlich auf. (aha)

Mit Glatze und Schnauzer

Philippe Noiret. In einer ganzen Reihe von Filmen, die man immer wieder gerne sieht, spielte Philippe Noiret mit. So spielte er in dem Film »Das große Fressen« von Marco Ferreri den Gastgeber, der sich zusammen mit seinen Freunden ausschweifender Dekadenz bis zum bitteren Ende hingibt. In einer liebevollen Hommage an das Kino, dem Film »Cinema Paradiso«, der ebenfalls ein Klassiker wurde, spielte er den Filmvorführer Alfredo, der seinem italienischen Dorf die Glücks­versprechen des Kinos näher bringt.

In rund 120 Filmen hat der im französischen Lille geborene Noiret mitgespielt, darunter in Meisterwerken wie Louis Malles »Zazie« oder Alfred Hitchcocks »Topas«, neben Schauspielerinnen wie Cathe­rine Deneuve, Romy Schneider und Simone Signoret. Er war dabei meist der leicht bullig wirkende Mann mit Glatze und Schnauzer, der eher bodenständig als exaltiert wirkte. Dabei musste man immer damit rechnen, dass sich tiefe Abgründe auftaten. In der vorigen Woche verstarb Philippe Noiret nach langer Krankheit im Alter von 76 Jahren. (aha)

Warten auf Blümchen

New Rave. Bevor es wieder heißt, wir würden hier in den grauen Re­daktionsgemächern nichts mitkriegen und die neuesten Trends verpassen, sei hiermit ganz offiziell und immerhin nur ein paar Tage nach der Süddeutschen Zeitung gemeldet: Rave ist wieder da. Bezie­hungsweise »New Rave«, so heißt der zweite Aufguss von Lovepa­rade, Friede, Freude, Eierkuchen und betont guter Laune nämlich offi­ziell. Auch die Zeitschrift De:Bug behauptet: »Der Smiley grinst wieder« und redet davon, dass sich in London – natürlich – wieder eine quietschebunte Partykultur zusammenbraut. Angeblich wieder inklusive dem totalen Verstrahltsein, gefärbten Stachelfrisuren, aber ohne Ecstasy und irgendwie auch nicht mehr mit Schlumpf­techno, sondern mit irgendeiner anderen Art von Musik, die angeblich noch so neu ist, dass sie außerhalb Londons bislang kaum jemand vernommen hat.

In Deutschlands ehemaliger Hochburg der ersten Rave-Sause, in Berlin, ist von einer Neuauflage der großen Tollerei jedoch bislang rein gar nichts zu spüren. In den Clubs hat man weiterhin Spaß bei Minimal-Techno, das muss vorerst reichen. Die reflektierenden Straßenarbeiterjacken und die Leuchtstäbe bleiben vorerst noch im Schrank. Und so richtig Bedarf, das Ganze noch einmal durchzumachen, hat hier eigentlich auch kaum jemand. (aha)