Ohne Happy End

Ohne Pathos und Heldenverehrung näherte sich der Filmemacher Robert Altman der Realität. Ein Nachruf von esther buss

Robert Altman gehörte zu den Filme­machern, von denen stillschweigend angenommen wurde, dass sie bis in alle Ewigkeit einen Film nach dem anderen machen. So sehr war man daran gewöhnt, dass alle ein, zwei Jahre ein neu­er Film von ihm in die Kinos kam, auch wenn man sich zuletzt vielleicht nur noch jeden zweiten ansah. Zu seiner selbstverständlichen Präsenz passte auch, dass Altman immer näher am Alltag, an der gesellschaftlichen Realität, auch der konkreten amerikanischen Realität war als etwa Francis Ford Coppola oder Martin Scorsese.

Oder anders gesagt: Während das Kino Altmans am ehesten den lakonischen Kurz­­geschichten Raymond Carvers entsprach, die auch die Grundlage für einen seiner be­rühmtesten Filme, nämlich »Short Cuts«, darstellten, orientierten sich die anderen zunehmend am großen epischen Gesellschaftsentwurf. Und wenn man den nun allerletzten Altman-Film über die gleichnamige Radioshow »A Prairie Home Com­pa­nion« sieht, dann ist darin trotz der handwerklichen Virtuosität dieselbe ungekünstelte Direktheit zu spüren, die auch seine Filme der siebziger Jahre ausmachte, mit denen er als sarkastischer Gesellschaftskritiker und Hollywood-Querulant bekannt wurde. Auch wenn sich darüber eine melan­cholische Schicht gelegt hat.

Unter der überwiegend sehr jungen New-Hollywood-Generation gehörte Robert Altman zu den Alten. Denn als ihm mit der Kriegssatire »M*A*S*H*« (1969) der Durchbruch gelang und er die Gol­dene Palme von Cannes gewann (vor ihm hatten vierzehn Regisseure den Stoff abgelehnt), hatte er mehr als die Hälfte seines Lebens schon hinter sich und blickte auf eine langjährige Erfahrung als Regisseur, Autor und Produzent zurück.

1925 in Kansas City geboren, ging er zu­nächst zur U.S. Air Force und wurde Bom­berpilot im Südpazifik. Einen ersten Versuch, in Hollywood Fuß zu fassen, unternahm er bereits 1945, zog aber schon bald darauf desillusioniert nach New York wei­ter und hielt sich dort mit Gelegen­heits­arbeiten über Wasser. Unter anderem soll er Hunde tätowiert haben. In seiner Heimatstadt arbeitete er schließlich bei einer Filmproduktion für industrielle Werbe­filme, bis er 1953 erneut nach Hol­ly­wood ging und dort seinen ersten Spielfilm drehte: »The Delinquents«, ein Abklatsch von Nicholas Rays »Rebel With­out a Cause«.

Altman brachte fast alle Kopien in Sicherheit, und es ist nahezu unmöglich, den Film heute noch zu sehen. Es folg­te »The James Dean Story«, dann arbei­te­te Altman für das Fernsehen und inszenierte unter anderem einige Folgen für die Serien »Alfred Hitchcock presents« und »Bonanza«. 1963 gründete er seine eigene Produktionsfirma Lion’s Gate Films und begann, kontinuierlich Filme zu machen.

In »M*A*S*H*« zeigten sich bereits Altmans Vorlieben, die für sein Kino stilbildend werden sollten: viele Fi­guren bzw. Schauspieler in einer Ge­schich­te zu vereinen und mit dem Genre gegen das Genre zu arbeiten. Der Film spielte während des Korea­kriegs und meinte natürlich Vietnam. Mit der komi­schen Darstellung eines Militärlazaretts, in dem Chaos und zotige Einfälle den Alltag beherrschen und verstümmelte Körper in Splatter-Manier von wenig Vertrauen erwecken­den Ärzten wieder zusammengeflickt werden, demontierte »M*A*S*H*« das Genre Kriegsfilm, setzte sich aber auch vom aufklärerischen Gestus der meisten Anti-Kriegsfilme ab.

Von Western, Science-Fiction, De­tek­tivgeschichte, Musical bis hin zum Thril­ler oder zum Psychodrama hat Altman so gut wie jedes Genre mal um­gegraben. »McCabe and Mrs. Miller« (1970/71) oder »Buffalo Bill« (1975/76) richteten sich gegen die Helden- und Erfolgsstory des Westerns, »The Long Goodbye« machte aus dem legendären Privatdetektiv Philip Marlowe eine etwas unbeholfene Figur, die sich sogar von der eigenen Katze tyrannisieren lässt.

Dabei richtete sich Altman nicht aus­schließlich gegen das klassische Erzähl­kino Hollywoods, sondern teilweise auch gegen die neuen Genres New Holly­woods wie beispielsweise die Gangsterballade, die Arthur Penn mit »Bonnie and Clyde« ins Leben gerufen hatte. »Thie­ves like us« (1973) teilte weder dessen kultisch-verklärende Sicht auf das Bankräuberdasein noch besaß er die mystisch-poetische Quali­tät von Terence Malicks »Badlands«, der ebenfalls 1973 entstand. Stattdessen erzählte Altman von einem gänzlich unheroischen und glanzlosen Alltag, wo der Banküberfall vorher mit den Kindern im Wohnzimmer auf klägliche Weise geprobt wird.

In »Nashville« (1974) arbeitete Altman erstmals mit einer episodischen Struktur, die er von »A Wedding« (1977/78) bis hin zu »Gosford Park« (2001) ver­wand­te und die zu seinem Markenzeichen wur­de. »Nashville« verzichtete auf einen kon­tinuierlichen Plot mit wenigen Hauptrollen zugunsten einer puzzle­artigen Struktur mit 24 Darstellern. Das dreistündige Portrait der Country-Musikindustrie und ihrer Hauptstadt war auch ein Kommentar zur amerikanischen Unterhaltungsindustrie mit all ihren Unaufrichtigkeiten und politischen Verstrickungen.

Das war eines von Altmans Lieblings­themen, da kannte er sich aus. Immerhin bestrafte Hollywood Altman aufgrund seiner Ablehnung einer stimmigen Figurenpsychologie, kausaler Bezüge und linearer Erzählungen häufig durch Miss­achtung und zeigte auch wenig Ver­ständ­nis für seinen eigenwilligen Einsatz von überlappenden Tonspuren. Nach der ge­floppten Cartoon-Verfilmung »Popeye«, einem Musical über einen spinatbesesse­nen Segler, folgte in den achtziger Jahren ein Misserfolg nach dem anderen. Erst 1992 kehrte Altman mit »The Player« zurück und verarbeitete mit der Figur des von Tim Robbins gespielten Filmproduzenten seine bitteren Hollywood-Erfahrungen, indem er diesen sogar ungestraft einen Autor ermorden ließ.

In »Short Cuts« perfektionierte Altman die Episodenerzählung noch weiter und verband kleine Geschichten zu einer langen Filmerzählung. Dieser mosaikartige Erzählstil hatte auf nachfolgende Regisseure großen Einfluss; unter anderem setzten Paul Thomas An­dersons »Magnolia« oder auch die fragmentierten Erzählungen des Mexikaners Alejandro González Iñárritu (»21 Gramm«) die Methode Altmans auf jeweils unterschiedliche Weise fort.

Auf seine meist ausbleibenden Happy-Ends angesprochen, antwortete der Filmemacher einmal: »Ich finde nicht, dass es überhaupt so etwas wie ein En­de gibt. Das ist auch meine grundsätz­liche Aussage. Oder Kritik. Ich weiß nicht, wie man einen Film aufhören lässt. Das einzige Ende, das ich kenne, ist der Tod.« Am 20. November ist Robert Altman im Alter von 81 Jahren in einem Krankenhaus in Los Angeles gestorben.