»Sie glorifizieren den Tod im Namen des Islam«

Daniel J. Goldhagen

Der US-amerikanische Politologe Daniel Jonah Goldhagen, der Geschichte an der Harvard University in Cambridge lehrt, löste vor zehn Jahren mit seinem Buch »Hitlers willige Vollstrecker« hitzige Debatten in Deutschland aus. Auch seine neuen Thesen zum politischen Islam sorgen für Aufregung. Über die Gemeinsamkeiten von Nationalismus und politischem Islam und darüber, warum die Europäer beim Kampf gegen diese Gefahr wenig Initiative zeigen, sprach mit ihm Kerstin Eschrich.

Sie vergleichen den politischen Islam mit dem Nationalsozialismus. Worin bestehen die Ähnlichkeiten?

Zum einen bedienen sich die politischen Islamisten der Sprache von Massenmördern. Sowohl ihre politischen als auch religiösen Führer heißen ausdrücklich den Genozid gut: Sie drohen Israel mit Vernichtung, sie sprechen davon, Millionen von Menschen, Millionen von Amerikanern zu töten. Das ist eine Gemeinsamkeit mit den Nationalsozialisten. Allerdings sprechen die politischen Islamisten offener und deutlicher aus, dass es ihr Wunsch ist, Menschen abzuschlachten. An diesem Punkt sind sie mehr Nazis als die Nazis. Zweitens werden die Vertreter des politischen Islam von einem Todeskult angetrieben, sie glorifizieren den Tod, das Töten und das Sterben im Namen des Islam. Dieser Kult hat keine Entsprechung in anderen bedeutenden politischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts, nur im Nationalsozialismus und im kaiserlichen Japan.

Augenfällig ist auch, wie sehr der Antisemitismus der politischen Islamisten dem der Nationalsozialisten gleicht. In der Hamas-Charta etwa stehen Dinge, die direkt aus Nazi-Lehrbüchern stammen könnten. Ich war immer sehr vorsichtig dabei, den Begriff »Nationalsozialismus« für andere politische Bewegungen zu verwenden, aber ich bin davon überzeugt, dies ist der richtige Begriff für den politischen Islam.

Was verstehen Sie unter politischem Islam?

Es ist sehr wichtig, eine strikte Unterscheidung zwischen dem politischen Islam, der eine politische Bewegung ist, und andererseits dem Islam als Religion und Menschen, die Muslime sind, zu treffen. Es gibt viele Muslime, die die demokratischen Werte anerkennen. Sie betrachten ihren eigenen Glauben als private Angelegenheit. Die Vertreter des politischen Islam schicken sich dagegen an, ihr fundamentalistisches Verständnis des Islam anderen Menschen und Ländern aufzuzwingen. Sie beseitigen die Unterschiede zwischen Politik und Religion. Daher sprechen wir von einer politischen Bewegung, die ihrem Wesen nach totalitär ist und extrem radikal. Es handelt sich um eine politische Angelegenheit und nicht um ein soziales Problem.

Islamkritiker betonen, grausame Praktiken seien bereits im Koran angelegt.

Religionen können von den Menschen auf unterschiedliche Weise interpretiert werden. Wenn politische Islamisten den Islam so verstehen, dass er Massenmord vorschreibt, dann ist das ihr Verständnis. Wir sollten daher nicht davon ausgehen, dass dies dem Islam wirklich entspricht. Aber es ist zweifellos so, dass es im Islam und im Koran selbst Vorschriften gibt, die Beschreibungen liefern, wie Ungläubige gewalttätig behandelt werden sollten. Aber das ist nicht die Diskussion, an der ich interessiert bin. Denn ich glaube, wir machen einen großen Fehler, wenn wir uns auf den Islam konzentrieren und dadurch alle Muslime in ein Problem mit einbeziehen, an dem viele von ihnen keinen Anteil haben.

Alle Religionen sind fähig, sich selbst zu erneuern – auch das Christentum hat sich in den vergangenen Jahrhunderten enorm verändert. Und wir sollten solche Erneuerungen anregen, aber das ist eine andere Sache als die große Gefahr, die vom politischen Islam ausgeht.

Inwiefern wird diese Gefahr in Europa und den USA unterschiedlich wahrgenommen?

Es ist zunächst einmal wichtig zu betonen, dass die Vorstellung, es gebe einen »Clash of Civilisations«, falsch ist. Der Unterschied zwischen Europa und den USA besteht darin, dass viel mehr Amerikaner begreifen, dass es die politischen Islamisten sind, die sie in einen »Clash of Civilisations« hineinziehen wollen, dass sie es sind, die etwas derartiges heraufbeschwören. Sie wollen den Westen zurückdrängen und Israel zerstören, das sie als einen Außenposten des Westens, der europäischen und westlichen Zivilisation begreifen. Es gibt viel weniger Menschen in Europa, die erkennen, dass die politischen Islamisten nicht prinzipiell Israel zu ihrem Feind auserkoren haben, sondern den Westen, inklusive Europa.

Woran liegt es, dass in Europa diese Gefahr sehr viel distanzierter betrachtet wird?

Ich glaube, dass der politische Islam sehr geschickt darin ist, die Europäer davon zu überzeugen, dass sich seine Abneigung vor allem gegen die Existenz Israels richte, dass dies die Ursache der Wut sei. Es gibt viel mehr Menschen in Europa als in den USA, die dies als Erklärung akzeptieren. Das liegt daran, dass es in Europa mehr Feindschaft gegenüber Israel gibt und auch mehr Antisemitismus. Es ist außerdem zweifellos so, dass viele Europäer und die europäischen Regierungen Trittbrettfahrer der US-amerikanischen Sicherheitspolitik sind. Manchmal helfen sie den USA, Probleme zu beseitigen, aber oft verlassen sie sich darauf, dass die Amerikaner die Sache richten werden. Es gefällt ihnen häufig nicht, was die Amerikaner machen, aber im allgemeinen verlassen sie sich darauf und profitieren davon.

Wenn man davon ausgeht, dass der politische Islam mit dem Nationalsozialismus auf einer Stufe steht, welche Konsequenzen beinhaltet dies?

Ein Regime wie im Iran ist zu gefährlich, um Atomwaffen zu besitzen. Jetzt regiert dort Mahmoud Ahmadinejad, vor ihm war der angeblich moderate Hashemi Rafsanjani Präsident. Dieser hat gedroht, eine Atombombe auf Israel zu werfen. Er sagte, dies sei eine rationale Überlegung, denn mit einer einzigen Bombe werde Israel völlig zerstört, die arabische Welt aber höchstens verletzt. Ich denke, wenn der Iran Nuklearwaffen hätte, würde das Regime sie wahrscheinlich auch benutzen. Daher muss alles getan werden, um dies zu verhindern.

Außerdem müssen die Europäer begreifen, dass sich die Drohungen der politischen Islamisten auch gegen sie richten. Die Affären um die Mohammed-Karikaturen und die Rede von Papst Benedikt XVI. hatten rein gar nichts mit Israel oder den USA zu tun. Es waren die Dänen und der Papst, die überall bedroht wurden.

Die Europäer müssen einerseits die muslimischen Europäer integrieren und als Teil der deutschen und europäischen Gesellschaft akzeptieren. Andererseits müssen sie aber politische Islamisten in jeder Beziehung und zu jeder Zeit in Europa und in der Welt strikt zurückweisen.

Wie sollte das aber in Europa aussehen?

Man darf doch auch ansonsten nicht einfach jemanden bedrohen oder attackieren. Gegen die politischen Islamisten müssen die bestehenden Gesetze mit zero tolerance angewendet werden. Muslime und Nicht-Muslime müssen den politischen Islamisten klarmachen, dass die Mehrheitsgesellschaft nicht bereit ist, ihr Vorgehen zu tolerieren.

Zugleich müssen wir klarstellen, dass es sich nicht um einen Kampf mit dem Islam handelt oder mit Muslimen, sondern dass es nur um die politischen Islamisten geht, die die Werte der demokratischen Gesellschaft zerstören wollen und den Untergang des Westens anstreben. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die europäischen Staaten auf diese Weise mit dem Problem spielend fertig werden könnten. Das ist nicht so schwer.