Laufburschen der Nazis

Der Fall des RCDS in Gießen zeigt die bisweilen enge Verstrickung von Rechtsextremen, Burschenschaften und dem konservativen Studentenbund. von sören maier

Öffentlichkeitsarbeit für eine rechtsextreme Burschenschaft, Organisation von Vorträgen mit Funktionären der NPD und Rechts­terroristen, Teilnahme an Neonazi-Demonstratio­nen: All dies reicht offenbar nicht aus, um ein Neo­nazi zu sein. So sieht es zumindest das Landgericht Heidelberg.

In der vergangenen Woche fand dort die Berufungsverhandlung gegen einen Antifa statt, dem vorgeworfen wurde, auf Plakaten den 25jährigen Studenten Matthias Müller als Neonazi bezeichnet zu haben. Auf den Plakaten, die im vorigen Jahr an der Universität Heidelberg geklebt worden waren, war unter der Überschrift »Vorsicht: Neonazi an der Uni« ein Foto von Müller zu sehen, der bei einer NPD-Demonstration am 1. Mai im pfälzischen Frankenthal mitmarschiert. Nachdem der Angeklagte in erster Instanz vom Amtsgericht Hei­delberg vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen worden war, sah die Richterin am Landgericht die Bezeichnung »Neonazi« nicht als legal an. Der Antifa muss Schadensersatz zahlen.

Dabei war Müller gerade erst in die Schlagzeilen geraten. Die Frankfurter Rundschau hatte berichtet, dass der stellvertretende Vorsitzende des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) in Gießen eben dieser Matthias Müller sei. Neben seiner Funktion als Sprecher der extrem rechten Burschenschaft »Dresdensia Rugia« in Gießen ist er in der Tat Vorsitzender der Regionalgruppe Süd-West der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) und außerdem als Autor für die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit tätig.

Zudem war Müller, der auch Reserveoffizier der Bundeswehr ist, oft auf Aufmärschen und Veranstaltungen der NPD anzutreffen. Seinen größten Auftritt hatte er im Sommer vergangenen Jahres, als er an einem Wochen­seminar der »Dresdner Schule«, einer intellektuellen Kaderschmiede der NPD, teilnahm und dem ZDF-Maga­zin »Frontal 21« dabei ein Interview gab.

Der CDU-nahe RCDS versuchte schnell, den Schaden zu begrenzen, und trat wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe geschlossen zurück. Verständlicherweise versuchen der RCDS und die CDU den Fall als Ausnahme darzustellen; über Müllers rechtsextreme Aktivitäten habe man nichts gewusst, heißt es. Doch wenn ein neues Mit­glied nur wenige Wochen nach seinem Beitritt zum stellvertretenden Vorsitzenden des RCDS gewählt wird, ist es schwer zu glauben, dass dies »in absoluter Unwissenheit über seine politische Vorgeschichte und Mit­gliedschaften sowie seine politische Grundeinstellung« geschieht, wie es der Gießener RCDS in einer Stellungnahme behauptete. Auch Müller widerspricht dieser Darstellung: »Es ist nicht richtig, dass der RCDS Gießen nicht wusste, wie ich politisch eingestellt bin«, sagte er vor dem Landgericht.

In einer aktuellen Stunde im hessischen Land­tag sprach der Landtagsabgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) von einer »Unterwanderung« der Burschenschaften durch die NPD. Zusammen mit Jürgen Frömmrich von den Grünen forderte er die CDU zu einer »klaren Grenzziehung zu Rechtsextremisten« auf. Das Problem ist jedoch, dass die Partei wahrschein­lich selbst nicht weiss, wo diese Grenze verläuft. Der Gießener Fall ist ein Zeichen dafür, wie groß die Überschneidungen sind.

Vor seinem Wechsel nach Gießen studierte Müller in Heidelberg Politik und Geschichte. An der dortigen Universität fand er ein für ihn günstiges Klima vor. In den Villen unterhalb des Schlosses haben dutzende Studentenverbin­dungen ihr Zuhause. Müller fand dort schnell Freunde und zog in das Haus der Burschenschaft Normannia, für die er im Sommersemester 2004 als Sprecher auftrat.

Die Burschenschaft hatte auch schon vor Müllers Mitgliedschaft aus ihren politischen Ansichten keinen Hehl gemacht. Sie verteilte nach Informationen des Arbeitskreises Antifa an der Universität Flugblätter gegen das »jüdische Finanzkapital« oder mit der antisemitischen Rede des ehemaligen CDU-Abgeordneten Martin Hohmann und veranstaltete Vorträge mit bekannten Rechtsextremisten. Im Mai 2004 etwa referierten Erhart Hartung und Peter Kienesberger im Normannen-Haus über den »Südtiroler Freiheitskampf in den 1960er Jahren«. Beide waren Anfang der siebziger Jahre von einem italienischen Gericht wegen eines Bombenanschlags in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Im Sommer sollte dann ein ganztägiges Seminar bei der Normannia stattfinden, maßgeblich von Müller initiiert. Zu den »l. Heidelberger Gesprächen unter dem Schloss« waren bekannte NPD-Funktio­näre und der österreichische antisemitische Verschwörungstheoretiker Gerhoch Reisegger eingeladen worden. Nachdem in der Lokalpresse ein Artikel dazu erschienen und es zu Proteste von antifaschistischen Gruppen gekommen war, konnte die Tagung nicht stattfinden. In der Folge beschloss die Normannia, vor allem auf Druck verschiedener Alter Herren, sich von Müller zu trennen. Wie in dem aktuellen Fall in Gießen wurde auch hier behauptet, man wolle mit Neonazis nichts zu tun haben.

Nach Ansicht von Björn Clemens, dem Verteidiger von Müller, gibt es jedoch gar keine Neonazis. »Neonazi ist der Kampfbegriff, der ausschließlich benutzt wird, um eine Person gesellschaftlich zu vernichten«, sagte er vor Gericht. Der Anwalt ist stellvertretender Parteivorsitzender der Repu­bli­kaner und vertrat auch den NPD-Abgeordneten Jürgen Gansel, der im vorigen Jahr im sächsischen Landtag mit seiner Rede vom »Bomben-Holocaust in Dresden« für Empörung gesorgt hatte. Gansel wiederum war in der Gießener Burschenschaft »Dres­densia Rugia« aktiv.

Die Verbindungen der Normannia ins konservative Lager sind nicht neu. Vor Müller war Andreas Berg als Sprecher der Normannia tätig, der gleichzeitig im Vorstand der Jungen Union Bensheim saß. Auch der Vertriebenenfunktionär der CSU, Hannes Kaschkat, ist ein Alter Herr der Burschen­schaft.

Erst vor einem Jahr wurde bekannt, dass mit Thomas Hartenfels ein aktiver Neonazi für den RCDS im Kölner Asta aktiv war. In Düsseldorf soll nach Informationen des Marxistischen StudentInnenbunds derzeit ebenfalls ein Mitglied der extrem rechten Burschenschaft Rhenania-Salingia als Vertreter des RCDS im Studierendenparlament sitzen. Wenn also der Gießener Vorstand des RCDS behauptet, Müller habe »zu keinem Zeitpunkt rechtsradikale oder demokratiefeindliche Meinungen im Kreis des RCDS geäußert«, könnte das auch viel über den Konsens in der Gruppe aussagen. Müller besteht ja ebenfalls darauf, kein Neo­nazi zu sein.