»A bisserl Waffen«

Im bayerischen Rosenheim wurde ein umfangreiches Waffenlager von Neonazis ausgehoben. von jörg kronauer

Ich war schon überrascht«, gab Georg Huber zu. »In so einem beschaulichen Gebiet rechnet man nicht damit, dass da plötzlich 100, 200 Polizisten auftauchen.« Dabei sei gar nichts Besonderes passiert, sagte der Bürgermeister der oberbayerischen Gemeinde Samerberg dem Bayerischen Rundfunk. »Dass die a bisserl Waffen daheim haben oder dass die von Kindheit an a bisserl im Wald rumgeballert haben, das ist kein Geheimnis.« Von Huber hätte man auch ohne Großeinsatz der Polizei jederzeit erfahren können, dass in den Wäldern nahe Rosenheim Wehrübungen veranstaltet werden. »Das ist kein Grund, da jetzt irgendwelche Sorgen zu haben, dass da irgendwas schief geht momentan«, beschwichtigt er.

»A bisserl Waffen« fanden die 370 Polizisten, die an dem Großeinsatz Ende November beteiligt waren, nicht nur bei vier Samerbergern, sondern auch bei 13 Bewohnern Rosenheims und umliegender Dörfer. Mehr als 100 Kurz- und Langwaffen, darunter Gewehre, Revolver, Maschinenpistolen, Maschinengewehre, und Flak-Munition wurden in insgesamt 26 Gebäuden sichergestellt. Gleich reihenweise konfiszierten die Einsatzkräfte NS-Fahnen, Orden, Abzeichen und Hitler-Büsten. Acht Neonazis sitzen nach wie vor in Haft, die Ermittlungen gegen die gesamte Gruppe laufen weiter – wegen Verstößen gegen das Waffengesetz und wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.

»Wehrsportgruppe Wendelstein«, sagen Antifas, sei der Name der Neonaziclique, die bei der Razzia ausgehoben wurde. Ihre Mitglieder waren schon zuvor mit Hitlergrüßen, Hakenkreuzschmierereien und ähnlichen Glaubensbekenntnissen aufgefallen. Einiges deutet darauf hin, dass sie fest in das Dorfleben von Samerberg und andere Ortschaften integriert sind. Von der Polizei durchsucht wurden gewöhnliche Bauernhöfe und Scheunen, zu den Beschuldigten gehören zwei Väter mit ihren Söhnen. »Ich glaube, dass es das in jedem Dorf gibt«, meint Bürgermeister Huber.

Und die Waffen? Sind sie tatsächlich nur »Statussymbole«, wie das bayerische Landeskriminalamt behauptet? Oder muss man mit größeren terroristischen und bewaffneten Aktionen von Neonazis in Deutschland rechnen? Schließlich sind bereits im Frühjahr 2005 bei einer Razzia gegen Neonazis in Rosenheim und Umgebung Waffen gefunden worden, und nur eineinhalb Jahre zuvor hatte die Polizei ein Waffenlager der Münchner »Kameradschaft Süd« ausgehoben. Waffenfunde bei Neonazis sind nicht selten, und Befürworter eines bewaffneten Kampfs, der über den neonazistischen Alltagsterror hinausgeht, gab es in der extremen Rechten auch nach 1945 immer wieder.

Die spektakulärsten Beispiele stammen aus den achtziger Jahren. Am 26. September 1980 legte der Neonazi Gundolf Köhler auf dem Münchner Oktoberfest eine Rohrbombe; 13 Menschen wurden getötet, mehr als 200 verletzt. Köhler hatte sich zuvor in der »Wehrsportgruppe Hoffmann« betätigt, die mehr als 400 Mitglieder in der gesamten Bundesrepublik hatte. Nach ihrem Verbot am 30. Januar 1980 wurden in drei Bundesländern insgesamt 18 LKW-Ladungen mit Pistolen, Bajonetten, Karabinern, Muni­tion, Stahlhelmen und Handgranaten beschlagnahmt.

Im selben Zeitraum bombten unter anderem einer der bekanntesten deutschen Terroristen, der damalige NPD-Funktionär Peter Naumann, außer­dem die »Hepp-Kexel-Gruppe« und die »Deutschen Aktionsgruppen« von Manfred Roeder. Diese steckten u.a. ein Asylbewerberheim in Hamburg in Brand, die »Hepp-Kexel-Gruppe« jagte Autos von US-Soldaten in Deutschland in die Luft. Sie alle besaßen Kontakte zum Neonazi Heinz Lembke, der in der Lüneburger Heide 33 Waffendepots unterhielt – mit automatischen Waffen, 14 000 Schuss Munition, 50 Panzerfäusten, mehr als 150 Kilogramm Sprengstoff und über 250 Handgranaten.

»Auch Mitte der neunziger Jahre wurden Konzepte des bewaffneten Kampfs in der Szene offen diskutiert«, sagt Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (Apabiz) in Berlin. Mit Brief- und Rohrbomben trieben Neonazis vor allem in Österreich Terror; so ermordeten sie im Februar 1995 mit Sprengstoff vier Roma. Rohrbomben fanden Ermittler im März 1995 auch bei Peter Naumann. Zwei Jahre später schoss der Neonazi Kay Diesner in Berlin einen Buchhändler nieder und ermordete auf der Flucht einen Polizisten. Diesner hatte mehrere Jahre intensiver Wehrübungen hinter sich.

Heute dagegen spielt der bewaffnete Kampf in den Strategiedebatten der extremen Rech­ten keine nennenswerte Rolle, meint das Apabiz. Exemplarisch lässt sich dieser Wandel an Peter Naumann (Spitzname: »Bombenhirn«) nachvollziehen. Im August 1995 änderte der Sprengstoffbastler seine Strategie und verkündete eine »Offensive der kämpferischen Gewaltfreiheit«.

Zum Beweis dafür, dass er es ernst meinte, teilte er kurz darauf die Orte von 13 bis dahin unentdeckten Waffenlagern mit u.a. 27 Kilogramm TNT mit. Die Depots, die zu Beginn der achtziger Jahre angelegt worden sein sollen, werden wie die spektakulären Sammlungen Heinz Lembkes oftmals mit »Gladio« in Verbindung gebracht, einer von Nato-Staaten unterhaltenen Geheimorganisation militanter Antikommunisten, die im Falle eines sowjetischen Einmarschs den Kampf im Untergrund führen sollten.

Zurzeit setze man sich mit militanten Anschlägen nur der aufreibenden staatlichen Repression aus, verkündete Naumann 1995. Der Gedanke findet in der Szene inzwischen viel Anerkennung. Der neonazistische Alltagsterror auf der Straße hingegen geht unvermindert weiter, auch militantes Auftreten auf Demonstrationen ist ein viel diskutiertes Thema. Attentate aus dem bewaffneten Untergrund gelten gegenwärtig jedoch als wenig opportun.

Selbst »Bombenhirn« Peter Naumann betätigt sich auf parlamentarischer Ebene, als Mitarbeiter der sächsischen Landtagsfraktion der NPD. Das Waffenarsenal, das Razzien wie die jüngste in Rosenheim regelmäßig offenlegen, ist zwar bedrohlich, aber wohl eher für zukünftige Phasen neonazistischer Militanz gedacht.