Viele Facetten einer Regierung

Während die katholische Familienliga in Polen Probleme mit Kontakten ihrer Minister zu Neonazis hat, schlägt sich die Bauernpartei mit einem Sexskandal herum. von oliver hinz

Zwei neue Skandale haben der rechtspopulistischen Regierung Polens stark zugesetzt. Die Opposition fordert inzwischen Neuwahlen. Auch die wichtigste polnische Zeitung, die linksliberale Gazeta Wyborcza, erschien am Freitag mit der Schlagzeile auf dem Titelblatt: »Beendet diese Koalition«. In fast allen anderen Medien wurde zumindest die Entlassung von Ministern der zwei kleinen Koalitionsparteien, der rechtsex­tremen Liga Polnischer Familien (LPR) und der populistischen Bauernpartei Samoobrona (Selbstverteidigung), verlangt.

Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski zögert jedoch mit Entscheidungen. Der Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit will zunächst die Er­mitt­lungen der Staatsanwaltschaft abwarten, die in beiden Fällen von der Regierung eingeschaltet wurde.

So beschuldigt eine ehemalige Kommunalpolitikerin der Bauernpartei, Aneta Kraw­czyk, den derzeitigen stellvertretenden Ministerpräsidenten Andrzej Lepper (Samoobrona), ihr im Jahr 2001 nur im Austausch gegen Sex eine Stelle als Büroleiterin bei der Partei gegeben zu haben. Krawczyk zufolge ist zudem der stellvertretende Vorsitzende der Partei, Stanislaw Lyzwinski, der Vater ihres dritten Kindes. Der verheiratete Politiker habe sie immer wieder zu Sex genötigt. Als sie schwanger geworden sei, habe er von ihr verlangt, das Kind abzutreiben.

Im Fall der LPR gibt es hingegen ein entlarvendes Video. Es zeigt den stellvertretenden Parteivorsitzen­den Wojciech Wierzejski auf einem Fest von polnischen Neonazis im Sommer 2004 in Schlesien. Zu sehen sind brennende Fackeln, die in Form eines Hakenkreuzes aufgestellt wurden, und junge Männer und Frauen, die die rechte Hand zum Hitlergruß heben und »Sieg Heil!« brüllen. Zu ihnen gehörte auch Leo­kadia Wiacek. Die heute 20jährige arbeitet für den Europa-Abgeordneten der LPR, Maciej Giertych.

Veröffentlicht hat das Video die dem Axel-Springer-Verlag gehörende Boulevardblatt Dziennik auf ihrer Internetseite. Nach Recherchen von mehreren Zeitungen beteiligte sich an der Neo­nazi-Feier auch die Allpolnische Jugend, die Jugendorganisation der LPR. Die Organisation bestreitet dies. Wiacek sei erst später dort Mitglied geworden und sei, nachdem das Video bekannt geworden war, ausgeschlossen worden.

Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Fotos von Politikern der LPR und der Allpolnischen Jugend in Neonazi-Posen. Bereits im Oktober 2005 hatte Dziennik ein Bild abgedruckt, auf dem ein LPR-Abgeordneter und weitere Mitglieder der Partei in einer Kneipe den Hitlergruß zeigen. Als Ausrede führte der Abgeordnete damals an, sie hätten lediglich Bier bestellt.

Der Vorsitzende der Warschauer Helsinki-Stiftung für Menschenrechte, Andrzej Rzeplinski, forderte nun, die LPR-Jugendorganisation solle verboten werden. Zumindest solle sie bis zur Klärung des Vorfalls kein Geld vom Staat mehr bekommen. Doch über die Allpolnische Jugend hält Erziehungsminister Roman Giertych, der Sohn des Europa-Abgeordneten Maciej Giertych, seine schützende Hand. Er gründete die Allpolnische Jugend im Dezember 1989 in Poznan nach dem Vorbild der gleichnamigen rechtsex­tremen und antisemitischen Organisation der Zwischenkriegszeit, wurde ihr erster Vorsitzender und blieb es für viele Jahre. Mittlerweile ist Giertych Junior ihr Ehrenvorsitzender und Parteivorsitzender der LPR.

Der Allpolnischen Jugend gehören neben Giertych zwölf LPR-Abgeordnete und drei Staatssekretäre an. Ministerpräsident Kaczynski erklärte, er wolle wissen, ob auch Personen, die derzeit in der Regierung sind, in die Ereignisse mit neonazistischem Hintergrund verwickelt seien.

Bereits im Sommer hatte Israel als erstes und bisher einziges Land beschlossen, die beiden LPR-Minister zu boykottieren. Die Partei verfolge eine »antisemitische Ideologie«, hieß es zur Begründung. Mit Meereswirtschaftsminister Rafal Wiechecki musste die israelische Regierung bisher noch nicht zusammenarbeiten, allerdings mit dem Bildungsministerium. Dieses war anfangs für die Reisen von jährlich 25 000 israelischen Jugendlichen nach Polen zuständig. Auf Bitten der israelischen Botschaft übertrug die polnische Regierung diese Aufgabe der Kanzlei des Premierministers.

Trotz ihrer Neonazitradition sind LPR und Allpolnische Jugend gegen Deutschland gerichtet. Die LPR behauptet etwa, der Springer-Konzern sei mit dem deutschen Geheimdienst verbunden. Der Geheimdienstausschuss des polnischen Parlaments solle deshalb untersuchen, ob deutsche Verlage von deutschen Agenten »gelenkt« würden.