Fußmacht Weltball

Ob Sport mit Politik etwas zu tun habe, ist eine absurde Frage: Der Fußballweltverband verfügt mittlerweile über eine Macht, vor der auch reiche Industriestaaten kuschen. von martin krauss

Wenn plötzlich der ADAC seinen Mitgliedern untersagte, bei Verkehrsunfällen die Polizei zu rufen, da alles über ein ADAC-Schiedsgericht geregelt würde, und außerdem Auto­fahrer aus Ländern, in denen der Staat die alleinige Zuständigkeit des ADAC für alle Belange des Straßenverkehrs nicht anerkennt, ihren Führerschein abgeben müssten, mutete das vermutlich sehr absurd an.

Es sei denn, der ADAC heißt Fifa. Anfang Dezember schloss der Weltfußballverband den Iran für unbestimmte Zeit von allen internationalen Wettbewer­ben aus. Der Iran hat nämlich, sagt die Fifa, gegen Artikel 61 der Statuten des Verbandes verstoßen. Der regelt, zumindest nach Lesart der Fifa, dass Sport und Politik, also Fußball und Staat, nichts miteinander zu tun haben dürfen.

Staaten müssen sich aus dem Fußball heraushalten, dekretiert der Weltverband. Im Iran aber hat die Regierung nach dem enttäuschenden Auftritt der Nationalmann­schaft bei der Fußball-WM in Deutsch­land in diesem Sommer den Verbandspräsidenten Mohammad Dadgan abgesetzt. Die Fifa sieht Dadgan noch im Amt und fordert vom iranischen Fußballverband, dass er sich von der Fifa exakt vorformulierte neue Statuten gibt und schließlich unter der Aufsicht der Fifa einen neuen Präsidenten wählt.

Dieser jüngste Fall mag unspektakulär, vielleicht gar nicht ganz unsympathisch erscheinen. Aber er zeigt zum wiederholten Mal, dass sich der Weltfußballverband über staatliches Recht stellen möchte: unangreifbar und omnipotent, im Grunde eine Art Weltstaat.

Als der italienische Rekordmeister Juventus Turin in diesem Sommer gegen seinen Zwangsabstieg in die zweite Liga, verursacht durch fortgesetzte Manipulationen der Meisterschaft, Klage bei einem staatlichen Gericht einreichen wollte, drohte die Fifa, alle italienischen Vereine und auch die soeben Weltmeister gewordene Nationalmannschaft würden im August international gesperrt, wenn es dem Fußballverband nicht gelänge, diese Klage zu verhindern. Diese Lesart des Sportrechts, das über jedem anderen Recht steht, teilte Fifa-Präsident Sepp Blatter nicht nur dem italienischen Fußballverband, sondern auch dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Italiens mit. Der Konflikt eskalierte nicht, weil Juventus letztlich die Klage zurückzog.

Wenige Wochen später geschah in Portugal ähnliches: Der FC Gil Vicente musste zwangsweise aus der ersten Liga absteigen, weil der sportlich eigentlich abgestiegene Konkurrenzklub Belenenses Lissabon behauptete, Gil Vicente habe einen angolanischen Stürmer ohne Vertrag spielen lassen; eine Sicht, der sich der Verband anschloss. Gil Vicente wollte sich vor einem ordentlichen Gericht wehren. Die Fifa reagierte prompt und räumte dem portugiesischen Fußballverband zehn Tage Zeit ein, dafür zu sorgen, dass Gil Vicente die Klage zurückzieht. Dies gelang dem Verband innerhalb der gesetzten Frist gerade noch.

Auch gegen den amtierenden Europameister Griechenland ging die Fifa vor. Im Juli dieses Jahres wurde das Land kurzfristig von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen, weil der nationale Fußballverband HFF »nicht den Grundsätzen der Fifa-Statuten bezüglich Autonomie von Mitgliedsverbänden und unabhängiger Entscheidungsprozesse der Fußballinstanzen« entsprach, wie es in der Begründung hieß. Der konservative Sportminister Giorgios Orfanos wollte nämlich per Erlass dafür sorgen, dass der Verbandspräsident künftig von den Mitgliedern gewählt wird. Sepp Blatter sonnte sich in seiner weltpolitischen Bedeutung und sprach explizit von einem »Warnsignal an die griechische Regierung«.

Auch der Wortlaut des Fifa-Beschlusses beweist, dass der Fußballverband für sich eine höhere Stellung als das griechische Parlament reklamiert: »Trotz wiederholter Warnungen sowohl der Fifa als auch der Uefa hat die griechische Regierung ihr Versprechen, das Sportgesetz so zu ändern, dass einzig der HFF und seine untergeordneten Fußballinstanzen über Fußballbelange entscheiden können, nicht eingelöst.« Griechenland wurde am 3. Juli suspendiert; kurz darauf beugte sich die Regierung.

Eine halbwegs realistische Möglichkeit, sich gegen die Fifa zu wehren und dennoch weiter Fußball zu spielen, gibt es nicht. Die Fifa verfügt, was die Beschränkung nationalstaatlicher Souveränität angeht, mittlerweile über größere Macht als der Uno-Sicherheitsrat. Diese Macht wuchs mit der gestiegenen Bedeutung, die den Fußballweltmeisterschaften als zentralem Vermarktungsobjekt der Fifa in den letzten Jahrzehnten zukam.

Dass ein Sportverband auf Parlamente und Gesetz­gebungen Zwang ausübt, war vor 20 Jahren noch undenkbar. Erste Schritte zu einer besonderen politischen Bedeutung unternahm die Fifa 1996. Da wurde das kleine Albanien suspendiert, weil sich die Regierung in fußballerische Belange eingemischt hatte. Mit dem internationalen Echo konnte die Fifa zufrieden sein: Wer überhaupt die Strafaktion eines Sportverbandes gegen ein Land wahrnahm, lobte diese meist als Beitrag zur Demokratisierung der albanischen Sportstrukturen.

Anders liegt der Fall in Namibia. Die Fifa verlangte im Sommer, sogar mit einem Ultimatum, dass der Verband den Posten eines technischen Direktors schaffen müsse. Dem zwischen Professionalisierern und der alten Verbandsspitze zerstrittenen Verband gelang es nicht, den Posten zu besetzen – im August schaltete sich Sportminister John Mutorwa ein, um die Querelen zu schlichten. Was Politikwissenschaftler als klassische Staatsaufgabe ansehen, reklamiert aber die Fifa für sich. Sie verpasste dem namibischen Verband eine »Roadmap«: Nach einem detaillierten Zeitplan müssen Wahlen abgehalten und von der Fifa verlangte Posten besetzt werden.

Eher kurios hingegen wurden die angedrohten Sanktionen gegen die Nationalmannschaft Kameruns begründet. Die war beim Afrika-Cup 2004 mit einteiliger Sportkleidung, die von ihrem Ausstatter Puma entwickelt worden war, angetreten. Das ist gegen das Reglement, daher wollte die Fifa Kamerun von allen internationalen Wettbewerben ausschließen. Allerdings reichte Puma eine Klage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1,5 Millionen Euro gegen die Fifa ein. Es kam zum Vergleich: Kamerun mottete seine Einteiler ein und zahlte ein Bußgeld in Höhe von umgerechnet circa 120 000 Euro. Die Fifa verzichtete auf den Bann.

Während die Sanktionen gegen Kamerun noch dadurch verhindert wurden, dass sich ein Weltkonzern in den Streit einmischte – außerdem lag ja selbst bei wüstester Interpretation des Sachverhalts keine Intervention des Staats vor –, geht die Fifa in Kenia weniger kompromissbereit vor. Grund für den im Oktober dieses Jahres verkündeten Ausschluss ist, dass nach Darstellung der Fifa so etwas droht: »Abspaltung der Topklubs und die Perspektive zweier parallel laufender Ligen in Kenia«. Also ziemlich genau das, was seit zehn Jahren in Europa diskutiert wird.

Wo sie mit solchen Strafaktionen aktiv wird, versucht sich die Fifa als Quasistaat, der gesellschaftliche Entwicklungen reguliert, untersagt, juristisch verfolgt und gegebenenfalls Kompromisse organisiert.

Zur Selbstinszenierung der Fifa passt auch die für jede staatliche Repräsentation so wichtige Ebene der Symbole. Zur Fußball-WM in diesem Sommer in Deutschland bestand Fifa-Präsident Sepp Blatter darauf, dass die Präsidentensuite des Berliner Hotels Adlon, in der im Jahr 2002 noch der US-Präsident George W. Bush gewohnt hatte, umgebaut wird: Sie sei nicht groß, nicht luxuriös und nicht sicher genug.

Wie weltpolitisch wichtig die Fifa sich nicht nur wähnt, sondern real ist, lässt sich anhand der WM in Deutschland gut studieren: Der öffentliche Raum wurde vom Fußballverband in einer bislang nicht gekannten Weise umstrukturiert. In von der Fifa definierten Bannmeilen durften keine Demonstrationen stattfinden und keine Werbebanner von Nicht-Fifa-Sponsoren gezeigt werden. Von der öffentlichen Hand finanzierte Bahnhöfe und Stadien wurden für die Dauer der WM in »Fifa-WM-Stadien« und »Fifa-WM-Bahnhöfe« umgetauft, auch die Straßenschilder mussten geändert werden. Die Liste der Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens ist lang. Noch länger dürfte sie 2010 bei der WM in Südafrika werden, wenn die Fifa es mit einem im Vergleich zu Deutschland schwächeren Staat und einer schwächeren Volkswirtschaft zu tun hat.

Auf der Ebene nationalstaatlicher Politik lässt sich bislang nur ein Land finden, das sich der Fifa widersetzt: Libyen. Dessen Diktator Muammar al-Gaddafi verkündet auf seiner Website: »Die Fifa reaktivierte das Sklavensystem.« Sie sei von den reichen Staaten dominiert, man müsse sie reformieren oder abschaffen. Als Kopf der reformwilligen Kräfte macht Gaddafi ausgerechnet Sepp Blatter aus. Anfang Dezember drohte die nach Gaddafis Ansicht »ehrbare Persönlichkeit« Blatter Brasilien, das faktisch schon den Zuschlag für die WM 2014 hat, wenn es sich politisch nicht wohl verhalte, »dann würden wir logischerweise nach Norden ziehen«.

Die Fifa hat jüngst die Sanktionen gegen den Iran, zwischenzeitlich unterbrochen, noch einmal bestätigt, ebenso die gegen Kenia. Und zur Überprüfung der Situation in Polen, Albanien und Peru hat die Fifa Kommissionen gegründet.

Der Siegeszug des Fußballs schreitet voran. Da kann der ADAC ja folgen.