Die archaische Bejahung

Ideologie und Protest von carlos kunze

Eine gemeinsame Kampagne von Linken und Linksradikalen wie die zum G 8-Gipfel, ein halbes Jahr lang, das könnte eine prima Gelegenheit sein, die Instrumente der Kritik zu schärfen, damit die »herrschende Gesellschaft, die sich ihrer permanenten Modernisierung rühmt«, potenziell »ein Gegenüber findet, d.h. die modernisierte Negation, die sie selbst hervorbringt«, wie die Situationisten es formulierten.

Denn was ist nicht alles passiert im vorigen Jahr, was alte, in der Linken immer noch kursierende Mythen widerlegte? Die so genannten Schwellenländer, insbesondere China, Indien, Brasilien, sind zu Motoren des weltweiten Wachstums geworden, sie haben, wie es Jean-Marie Colombani in Le Monde in eher kapitalismusapologetischer Absicht formulierte, den Amerikanern und Europäern diverse Monopole entzogen: das auf Reichtum beispielsweise, wie sich an den ebenfalls auf Massenkonsum und -export fußenden jeweiligen Ökonomien zeigt oder daran, dass China bereits 2006 mehr Mittel für die Forschung aufbrachte als Japan. Oder das Monopol auf Mittelklassen, wie sich an den hunderten Millionen Menschen aus dem so genannten Trikont zeigt, deren Einkommen vergleichbar mit dem im »Norden« ist. Oder das Monopol auf »ökonomischen Imperialismus«, wie Colombani formuliert, denkt man etwa an Chinas Afrika-Politik, die aus dem Massenexport von Waren made in China besteht und der offenen Unterstützung diktatorischer Regimes wie im Sudan, wo eine massenmörderische Clique aus Islamisten und Militärs herrscht. Kurz: Das alte, dumme Schema Metropole – Peripherie ist endgültig ruiniert.

Aber all das interessiert in der Kampagne gegen den G 8-Gipfel nicht. Denn in Heiligendamm, das weiß man genau, treffen sich die »Führer der Welt«, um neue Schurkenstreiche auszuhecken, »Weltordnungskriege« beispielsweise. Dumm nur, dass dieses Begriffsmonstrum vor der Realität kapitalistischer Konkurrenz kapitulieren musste, kaum war es von Robert Kurz erfunden. Im Irak-Krieg nämlich, als das halluzinierte gemeinsame Interesse »des Westens« an kriegerischer Durchsetzung irgendeiner »Weltordnung« einem munteren Hickhack zwischen »Old Europe«, China, Russland einerseits und den USA, Großbritannien und »New Europe« auf der anderen Seite weichen musste. Seither braucht die Nato einen Herzschrittmacher.

Aber auch das interessiert nicht, weil bei dem alljährlichen Protest gegen die Sicherheitskonferenz in München, einem Meilenstein in der Mobilisierung gegen den G 8-Gipfel, eben die Nato als Quelle allen kriegerischen Übels im Zentrum der Kritik stehen muss. Vermutlich, weil sie in Afghanistan schurkenhaft noch verhindert, dass die Taliban erneut die Macht übernehmen. Und während die einen G 8-Bewegten im »Widerstand« gegen den Weltimperialismus mit den verbohrtesten Islamisten kooperieren und an jeder Ecke »Islamophobie« wittern, begrüßen andere in der Front gegen den G 8-Gipfel das christliche Gerümpel der »Befreiungstheologen«, die »für eindeutige Positionierung gegen die Politik der Reichen« eintreten. So sind sie sich zumindest im Respekt vor der »Gottespest« (Johann Most) einig.

Und damit auch nicht der leiseste Verdacht aufkommt, es könnte bei den Protesten gegen den G 8-Gipfel irgendwie um die Abschaffung der Lohnarbeit, des Kapitals, des Staats durch die Proletarisierten in aller Welt gehen, wird in Heiligendamm ein »Aktionstag Landwirtschaft« veranstaltet, um lauthals zu beklagen, dass die Bauern aus der Idio­tie des Landlebens freigesetzt werden, um Lohnarbeiter zu werden.

»Diese Leute dulden tatsächlich alles, weil sie sich untereinander dulden.« Das schrieben die Situationisten in einem anderen Zusammenhang. Aber hier passt das auch.