Zu Risiken fragen Sie Ihren Hacker!

Der Kampf gegen Big Brother ist verloren, geht aber weiter. Zum 23. Mal fand der Chaos Communication Congress statt. von burkhard schröder

Die Drohne war die Attraktion beim dreitägigen 23. Chaos Communication Congress in Berlin: ein winziger Hubschrauber mit vier Rotoren, Kufen und einer Kamera mit Zoom, gesteuert per Laptop. Das »Unmanned Aerial Vehicle« schwebte über dem Auditorium, filmte es und konnte sich, schnell wie ein Rennrad, davonmachen. Es stand gleichzeitig für das Thema des Kongresses: Überwachung, Kontrolle, Informa­tions­krieg – und wie man sich angesichts des schon real existie­renden Big Brothers verhalten kann und muss. Das offizielle Motto des Kongresses »Who can you trust?« war nur rhetorisch ge­meint. Vertrauen ist gut, aber staatliche Kontrolle ist auch nicht besser.

Die meisten der rund 130 Vorträge auf höchstem technischen Niveau kreisten um Varianten einer Frage, die mit einem pessimistischen Unterton gestellt wurde: Kann das Individuum im 21. Jahrhundert sich noch informell selbst bestimmen? Frank Rieger, seit vielen Jahren im Chaos Computer Club (CCC), hat bereits resigniert: »We lost the war.« Als wollten die Teilnehmer die Frage selbstironisch beantworten, trugen viele einen Funkchip bei sich – das Chaos Positioning System, von seinen Erfindern Harald Weite und Milosch Meriac »Projekt Sputnik« getauft, überwachte die Bewegungen der Kongress­besucher.

Der Chaos Computer Club konnte sich in der Rückschau auf das Jahr 2006 zumindest einen politischen Erfolg auf die Fahnen schreiben: Er hat nachgewiesen, dass sich Wahlcomputer spurenlos manipulieren lassen. Bei der Wahl des Oberbürger­meisters in Cottbus, wo die Geräte zum Einsatz kamen, dokumentierten Beobachter des CCC, dass die Kontrollen, wie sie das Grundgesetz vorsieht, nicht garantiert waren. Die Petition des Clubs gegen Wahlcomputer unterzeichneten mehr als 45 000 Menschen; der Peti­tions­ausschuss des Bun­destags wird sich mit dem Thema befassen.

Die größte historische Leistung des Hackerclubs besteht zweifellos darin, sich vom linksalternativen Milieu seiner Gründerzeit emanzipiert zu haben. Sein Wahlspruch »Kabelsalat ist gesund« persifliert die Technikfeindlichkeit der Grünen in den achtziger Jahren, als Computer noch als Teufelszeug galten. Der Chaos Computer Club ist heute die einzige Organisation, die die Bürgerrechte im digitalen Zeitalter ernsthaft, mit Sachkenntnis und vor allem medienwirksam verteidigt. Spielerisch im Umgang mit der Technik und sich am Rande der Legalität bewegend, präsentiert er das Thema Bürgerrechte allemal unterhaltsamer als jeder mahnende und warnende Datenschutzbeauftragte.

Der CCC hat mitunter eine radikalere demokratische Überzeugung als alle politischen Parteien zusammen, ohne das explizit zu wollen. Die heutigen, weit reichenden Gesetze zur Über­wachung der Kom­munikation, von denen man im Ministerium der Staatssicherheit der DDR nur zu träumen wagte, wurden von den Grünen mitbeschlossen. Und die Wunschliste der Schnüffler wird immer länger: Vorratsdatenspeicherung, biometrischer Ausweis, Mautbrücken usw.

Nur wer die digitale Welt und ihre Technik so ein­gehend erforscht wie der vage bestimmte soziale Typus »Hacker«, kann mit guten Gründen so misstrauisch gegenüber dem Objekt seiner Begierde sein. Der Hacker konterkariert den blinden Glauben, dass das technisch Machbare auch gut für die Gesellschaft und sicher sei. Der CCC teilt den technischen Skeptizismus des inzwischen verstorbenen Autors der Science Fiction, Stanislaw Lem: Der Computer ist, wie alle Technik, eine Erfindung des Homo sapiens und daher – wie dieser – äußerst störanfällig. Den philosophischen Irrglauben, Tech­nik mache die Welt automatisch schöner und neuer, ersetzen die Hacker durch die Maxime, dass Technik an sich wertneutral ist und sowohl für das Böse als auch für das Gute eingesetzt werden kann.

Die Hacker sind daher, obzwar eher und mehrheitlich unpolitisch, unfreiwillig Gegner der Mächti­gen, insbesondere der Konzerne, die aus nachvollziehbarem ökonomischem Interesse alle Käufer aller Waren gern gläsern hätten. Der Kampf um Überwachung und Kontrolle ist aber auch ein Kampf um die Ware Information. Das Motiv für den Kampf ist ein erhoffter Vorteil im Kampf um gesellschaftliche Ressourcen. Die hackende Bürgerin und der auf Sicherheit bedachte surfende Bürger pochen aktiv auf ihr Recht, Wissens­hie­rar­chien in Frage zu stellen und die Herrschenden zu nerven.

Zensur und Überwachung sind Versuche, Informationen in den Händen der Herr­schen­­den zu monopolisieren. Das gilt ebenso für den bereits vorliegenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Verbot von Sicher­heitssoftware, den so genannten Hacker Tools. Was das eigentlich sein soll, wussten auch die Rechtsanwälte Peter Voigt und Marco Gercke, beide Referenten des Kongresses, nicht zu sagen. Wer die neue Fassung des Paragrafen 202c StGB ernst nimmt, müsste sogar das Computer-Betriebssystem Linux verbieten: Programme zum Testen der Sicherheit von Netzwerken sind dort »ab Werk« implementiert.

Die so genannte Hackerethik, das rührend naive Bekenntnis des Chaos Computer Clubs, suggeriert, dass Informationen zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen, Klassen, Schichten und Milieus frei fließen und ausgetauscht werden könnten, wenn es nur gewollt wäre. Der Hacker ist der Alternativtourist der digitalen Welt. Er befolgt eine Ethik, die ihm ein gutes Gewissen verschafft, weil er sich bewegt, ohne Datenschaden anzurichten. Aber das bleibt folgenlos. Geeks und Nerds stellen nicht die Machtfrage, sondern werfen aus unterschiedlichen Motiven Sand ins Getriebe. Der Chaos Computer Club machte bereits in der Vergangenheit immer auf die Risiken und Nebenwirkungen der jeweils neuesten technischen Errungenschaften aufmerksam, und gleichzeitig waren seine Mitglieder Trendsetter und Headhunter für die Unternehmen. Denn wer ein guter, also bekannter Hacker ist, findet garantiert, falls es ihm an sozialer Kompetenz nicht völlig mangelt, einen Job auf der »anderen Seite«. Der CCC kann den Script-Kiddies nur ansatzweise ein soziales Gewissen einpflanzen, etwa wie ein Fanprojekt für potenzielle digitale Hooligans.

»Open Source« und »Creative Commons Licenses«, die Lieblingsprojekte der Propheten der ­Geeks und Nerds vor allem in den USA, sind jedoch Graswurzel-Prinzipien, die den kapitalis­tischen Marktgesetzen zuwiderlaufen, daher so blauäugig wie die Idee einer »herrschaftsfreien Kommunikation«. Zündende Ideen, wie der dro­henden Totalüberwachung zu entgehen sei, wur­den auf dem Kongress nicht vorgestellt.

Der Chaos Computer Club ist ein typisch deutsches Produkt: Das Thema Bürgerrechte wird mittels der Technik in den Diskurs eingebracht. In den USA führen Hacker-Organisationen zwar ein Schattendasein, die mächtige American Civil Liberty Union lässt jedoch die Regierung häufig zittern und verhindert deren Gesetze, welche die Bürgerrechte einschränken. Dazu ist die Linke hierzulande, auch wegen ihrer obrigkeitsstaatlichen Tradition, kaum in der Lage. Aber vielleicht kann man vom Chaos Computer Club Techniken für den Kampf gegen Rechts lernen: Die Schlagzeile »Antifa-Drohnen über Sachsen und Brandenburg!« ließe die NPD vermutlich nicht mehr ruhig schlafen.