Dani Levys Aha-Erlebnis

Wie macht man sich über Hitler lustig? Der Film »Mein Führer« versucht es. von markus ströhlein

Das Entsetzen war groß. Im März 2006 wehten auf dem Gelände rund um den Berliner Dom große Hakenkreuzfahnen. Männer in SS-Uniformen marschierten auf. Und eine Menschenmenge hob mehrmals zum Gebrüll an: »Sieg Heil!« Touristen betrachteten irritiert die Szene. Eine Bekannte, die sich auch an Ort und Stelle befand, rief mich damals an und stammelte fassungslos ins Telefon: »Hier laufen Nazis in Uniform durch die Gegend. Und nirgends ist die Polizei zu sehen!« Was es mit dem Aufmarsch auf sich hatte, konnte man am nächsten Tag in der Presse lesen. Der Regisseur Dani Levy hatte am Berliner Dom mit 800 Komparsen und allerlei Brimborium eine Szene für seinen Film »Mein Führer« gedreht.

Für das erste Rumoren in den Medien war also recht frühzeitig gesorgt. Die Konkurrenz ist schließlich groß. Zwar soll »Mein Führer« nach Aussage des Regisseurs eine Antwort auf die zahllosen Produkte der vergangenen Jahre sein, die die »Hitlerindustrie« hervorgebracht hat. In die Reihe aus »Der Untergang«, »Napola«, »Sophie Scholl« oder »Der letzte Zug« wird Levys Film wohl dennoch eingeordnet werden.

Für den nötigen Distinktionsgewinn sorgt auch die Tatsache, dass sich Levy einen besonderen Hauptdarsteller ausgesucht hat: Helge Schneider als Adolf Hitler! Da horcht man natürlich auf. Außerdem hat der Film einen Untertitel: »Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler«. Er wollte keine Tragödie zeigen, die wie die Filme der vergangenen Jahre vorgebe, die historische Wahrheit abzubilden, sagt der Regisseur. Vielmehr habe er beabsichtigt, Hitler mit einer Komödie »vom Sockel historisch getreuer Dokumenta­tion« zu stoßen.

»Mein Führer« erzählt deshalb eine frei erfundene Geschichte: Hitler soll am Neujahrstag 1945 eine öffentliche Ansprache halten und die Massen trotz der ausweglosen Lage auf sich einschwören. Doch der Führer ist nicht in Form. Deprimiert und auf das Ende wartend, hockt er in der Reichskanzlei. Nur ein Mann kann ihn aufpäppeln: Adolf Grünbaum (Ulrich Mühe), ein jüdischer Schauspiellehrer, der Hit­ler bereits am Anfang seiner Karriere Schauspielunterricht gegeben hat, nun aber mit seiner Familie im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert ist.

Unter der Bedingung, mit seiner Frau und seinen Kindern in der Reichskanzlei wohnen zu dürfen, macht sich Grünbaum daran, seinen Schüler in einem tiefenpsychologisch fundierten und in die eigene Kindheit zurückführenden Method-Acting-Kurs wieder mit den alten, demagogischen Kräften zu versehen. Drum­herum werden die Nebenstränge der Handlung eröffnet: Joseph Goebbels (Sylvester Groth), Heinrich Himmler (Ulrich Noethen), Martin Bormann (Udo Kroschwald) und Albert Speer (Stefan Kurt) ergehen sich in Ränkespielen. Hitler feiert mit Eva Braun (Katja Riemann) in trauter Zweisamkeit Silvester. Grünbaum sieht sich den Vorwürfen seiner Familie ausgesetzt, er helfe dem Führer, anstatt ihn zu töten.

Trotz einiger Widrigkeiten erfüllt Grünbaum den Auftrag. Hitler scheint kuriert zu sein. Doch wie es sich für den Plot einer anstän­digen Komö­die gehört, kommt es noch zum finalen Durcheinander. Am Ende ist Grünbaum tot, Himmler steckt seine Pistole wieder ein, der Film ist aus.

Dann sitzt man im Kinosessel und fragt sich, ob Dani Levy seine Versprechen eingehalten hat. Er wollte die Nazigrößen und vor allem Adolf Hitler dem Gelächter preisgeben und »vom Sockel historisch getreuer Doku­menta­tion stoßen«. Und er hatte eine besondere Wirkung im Sinn, als er sich für eine Komödie entschieden hat: »Sie kann Dinge behaupten, die in einer authentisch abgebildeten Ernsthaftigkeit nicht möglich sind. Sie kann Verhältnisse krass und ungeschminkt zeigen und sie dadurch in ihrer Erbärmlichkeit entlarven.«

Der Führer in Levys Film pinkelt ins Bett, wird von Grünbaum bewusst­los geboxt, kriegt keinen hoch, trägt den ganzen Tag einen hässlichen Jogging-Anzug und kriecht wie ein Hünd­chen auf allen Vieren durch sein Büro. Er ist eine Lachnummer, ein Hanswurst. Der Hitler aus dem Film »Der Unter­gang«, der mit tragischer Größe durch die Szenen stapft, wird vollständig demontiert.

Schwierig wird es beim Lachen über die geschichtliche Figur. Die Aufnahmen aus »Mein Führer« wie auch die historischen Bilder im Allgemeinen, die den pathetischen, hysterischen und lächerlichen Hassprediger Hitler zeigen, sind ja nur so komisch, wenn man sie von den Bildern aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern trennt. Aus diesem Dilemma kann sich auch Levy nicht befreien. Und der Hitler, den Helge Schneider gibt, ist eben nicht nur eine Parodie auf Bruno Ganz in »Der Untergang«, sondern auch auf den echten Führer.

Vielmehr lässt Levy vor allem in der zweiten Hälfte seines Films keinen Zweifel daran, dass es ihm auch darum geht, eine Aussage über die historische Figur Adolf Hitler zu treffen. Hierzu hat er das Buch »Am Anfang war Erziehung« der Schweizer Psychoanalytikerin Alice Miller gelesen, das 1980 veröffentlicht wurde. Darin befasst sie sich mit einem autoritären Erziehungsstil, der die Bedürfnisse und Gefühle des Kindes ignoriert, herabsetzt oder gänzlich entwertet und so erhebliche psychische Verletzungen verursacht. In einem Fallbeispiel handelt Miller Hitler ab. Die Lektüre des Buchs nennt Levy ein »Aha-Erlebnis«. Was sich im Film von Millers Theorie wiederfindet, ist einfach: Hitler hat die Vernichtung der Juden angeordnet, weil er als Kind von seinem Vater geschlagen wurde.

Mit dieser recht schlichten Grundannahme begnügt sich Levy und wiederholt das psychologische Credo so oft, dass keine weiteren Fragen mehr aufkommen können. Der Nationalsozialismus war also das Ergebnis eines psychischen Defekts des Führers. Dass er ein politisches Programm war, das die deutsche Bevölkerung willig ausgeführt hat, fällt unter den Tisch.

Zu einer Schlussfolgerung kommt der Regisseur aber: Dem als Kind misshandelten Führer gebührt Mitleid. So ereignet sich die folgende Szene: Hitler geht nachts zum Bett der Grünbaums und jammert: »Ich bin so allein, der Jahreswechsel, die Weltlage, die vielen Toten.« Das Ehepaar lässt ihn unter die Decke kriechen. Elsa Grünbaum (Adriana Altaras) singt ihn auf Jiddisch in den Schlaf. Als sie ihn mit einem Kissen ersticken will, hindert sie ihr Mann daran mit den Worten: »Du machst dasselbe wie er: Du tötest einen wehrlosen Menschen.«

Und schon menschelt es schlimmer als in »Der Untergang«. Während der Hitler­gedächtnisfilm des Produzenten Bernd Eichinger in der ersten Hälfte von »Mein Führer« noch recht treffend demontiert wird, macht Levy ihm später ernsthaft Konkurrenz. Ginge es nach Helge Schneider, stünde die »menschliche Seite« Hitlers noch stärker im Vordergrund. Schneider hat sich noch vor dem Kinostart darüber beschwert, dass der Führer in der endgültigen Fassung nur als Schwächling dargestellt werde. »Ich wollte dieser Plastikpuppe Hitler Leben einhauchen, den Menschen darstellen und nicht nur die Witzfigur oder den Bösewicht«, sagt der Hauptdarsteller. Es hätte also schlimmer kommen können. Aber das ist ein schwacher Trost.

»Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler«. Regie: Dani Levy, Deutschland 2006, 89 Minuten, Start: 11.Januar