Die Unsichtbaren

Die Antifa in Russland tritt kaum öffentlich auf. Die Gruppen sind isoliert und existieren erst seit kurzem. Osterweiterung III. von vera bredova

Es musste erst zu einem Mord kommen, um dem Thema die nötige Aufmerksamkeit zu verschaffen. Im November 2005 wurde in St. Petersburg der junge Antifaschist Timur Katscharawa von Neonazis erstochen. Seither weiß auch eine größere Öffentlichkeit vom Problem des Rechtsextremismus in Russland, aber auch von der existierenden antifaschistischen Gegenbewegung. Bis dahin galt der Antifaschismus in Russland eher als Betätigungs­feld einiger weniger Nichtregierungsorganisationen jüdischer Herkunft oder mit dem Arbeitsschwerpunkt Menschenrechte.

In den neunziger Jahren verbreitete sich der Mythos der deutschen Antifabewegung in Russland rasant. Gleichzeitig griffen rechte Fußballhooligans immer wieder russische Antifas an, obwohl von einer Antifabewegung streng genommen damals noch gar nicht zu sprechen war. Erst im Jahr 2001 formierte sich in Moskau die erste aktive Gruppe organisierter Redskins.

»Uns jungen Antifas wird manchmal vorgeworfen, wenn es uns nicht gäbe, hätten sich die Nazis schon längst beruhigt und es gäbe keine rechte Gewalt mehr auf den Stra­ßen«, erzählt der 20jährige Tigran aus Moskau, einer der Gründer der Website antifa.ru. »Aber es ist doch genau umgekehrt. Die Antifa hat lange gebraucht, bis sie entstanden ist, und der Grund dafür war, dass sich die Nazigewalt immer weiter ausgebreitet hat.«

Antifaschistische Gruppen bildeten sich in den neunziger Jahren vor allem in drei Bereichen. Anarchistische Aktivisten eiferten den westlichen Vorbildern nach und begannen, gezielt Skinheads an deren Treffpunkten anzugreifen. Gleichzeitg wandelte sich die Fankultur rund um den Fußball. Vor und nach den Spielen kam es regelmäßig nicht mehr nur zu Schlägereien zwischen den Fans unterschiedlicher Clubs, sondern auch zu Angriffen auf Dritte. Bald machte sich unter Fußballfans Unmut über diese Entwicklung breit. Viele Fans traten offen gegen den wachsenden Nationalismus in der Fankultur auf. Dabei bauten bestimmte Communities, wie beispielsweise die Armenier, eigene Strukturen auf. Fußballfans machen wohl den größten Teil der Antifas aus.

Die dritte Gruppe, nämlich Angehörige musikalischer Subkulturen, hier vor allem der politisierten Hardcorepunkszene, kam zu ihrer antifaschistischen Überzeugung auf­grund der ständigen Übergriffe der Skinheads auf ihren Konzerten. Es galt, eine effektive Gegenwehr zu organisieren. »Die Nazis haben uns zu Antifaschisten gemacht«, erläutert Tigran.

Infolge der engen Verbindungen zwischen den Hardcorepunkszenen in Moskau und Petersburg und teils auch zwischen anarchis­tischen Gruppen entwickelte sich in beiden Städten eine ähnliche Dynamik. Einen wich­tigen Einfluss auf die Punks in Moskau übte sicherlich auch die Szene im benachbarten Weißrussland aus, zu der man gute Kontakte pflegte. Dort begannen Antifas sich wesentlich früher als in Russland zu organisieren. Zum einen macht sich dort die geografische Nähe zu Polen bemerkbar, zum anderen erhöhen die verschärften politischen Verhältnisse den Anpassungsdruck und den Hang zum Konformismus, oder aber sie provozieren die Bereitschaft zu radikaleren Handlungen.

Tatsächlich kam die neue Generation der russischen Antifaschisten gut mit der jahrelangen Ignoranz der Medien zurecht. Die Antifas sahen ihre Chance in der Isolation und zogen es vor, unbemerkt und ungestört im Klandestinen zu agieren. Ziel war und ist es, die Anwesenheit der Rechtsextremen auf den Straßen zu bekämpfen. Diese Rechnung ging jedoch nur vorübergehend auf.

Nach ersten Erfolgen dieser Strategie, die neben einem entsprechend gewählten taktischen Vorgehen vor allem auf Über­rasch­ungs­effekten beruhte, folgten herbe Niederlagen. Petersburger Antifas beklagen inzwischen eine größer gewordene Bruta­lität auf beiden Seiten. Sie haben bislang unbekannte Nachahmer gefunden, die wesentlich härter gegen Naziskins vorgingen als sie selbst, und das bleibe nicht ohne Folgen.

Und längst beschränkt sich die Anti-Antifa nicht mehr nur auf Messerstechereien. Am 22. De­zember fand Tigran in seinem Hauseingang in Moskau eine Bombe mit einem Hakenkreuz vor, die offensichtlich ihm galt. Beim Versuch, diese zu entschärfen, explodierte der Sprengsatz, und einige Milizionäre mussten mit mittleren und schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Mit Sympathien in der Öffentlichkeit kann die russische Antifa dennoch nicht rechnen. Ihr wird seit einer Reihe von Aktionen gegen Rechtsextreme vom vergangenen Herbst, über die von den Medien ausführlich berichtet wurde, vorgeworfen, sie wende die gleichen gewaltsamen Mittel an wie die Rechten. Die Beschränkung auf Aktionen auf der Straße und der nahezu völlige Verzicht darauf, die politischen Hin­tergründe und Ziele der Öffentlichkeit mit geeigneten Mitteln mitzuteilen, stellen ein existenzielles Defizit der russischen Antifa dar.

Außerdem werden Antifas immer öfter auch von der Miliz und der Staatsanwaltschaft be­obach­tet. In Peters­burg etwa steht derzeit ein Prozess an. Antifas hatten sich im September an einer Aktion gegen eine Kundgebung beteiligt, auf der Rechtsextreme gegen illegale Immigration hetzten. Inzwischen wurden deshalb weitere Strafverfahren eingeleitet.

Tigran jedenfalls ist davon überzeugt, dass sich die rechte Gewalt auf der Straßen auf Dauer nicht allein mit der Gegenwehr der Antifa eindämmen lasse. »Wenn sie keine Haftstrafen bekommen, fangen diese Naziidioten, aus dem Gefühl heraus, für alles unbestraft zu bleiben, wieder alles mögliche an. Auf ihren internen Internetforen diskutieren sie schon lange über Terrorakte auf Märkten und sogar gegen staatliche Behörden. Sie sind lediglich noch unentschieden, ob sie die Verantwor­tung auf Ausländer schieben oder auf die eigene Kappe nehmen sollen.«