Himmelfahrt in Slow Motion

Eine Hommage an Kurt Cobain: Gus van Sant schildert die letzten Tage eines drogensüchtigen Rockstars. von esther buss

Ein junger Typ schlurft durch einen Wald, stolpert hin und wieder und grummelt Unverständliches vor sich hin. Mit seinem nachlässigen Look, den ausgeleierten Klamotten und den langen, blonden und verwuschelten Haaren sieht er aus wie Kurt Cobain. Als es Nacht wird, macht er ein Feuer, am nächsten Morgen kehrt er in sein abgelegenes Anwesen zurück, das er mit vier anderen untätigen Leuten bewohnt, vor denen er aber meistens flüchtet.

In den nächsten Tagen passiert nichts Bemerkenswertes. Der Rockstar (Michael Pitt), er heißt Blake, streunt rastlos in der Natur und seinem Haus umher. Er macht sich eine Schüssel Rice Crispies und schüttet eine Menge Zucker dazu, er zieht ein schwarzes Negligé an, schminkt sich mit Eyeliner, hantiert mit einer Schrotflinte; er schläft, raucht, murmelt und summt, er starrt in einen Fernseher, auf dem gerade ein »Boys II Men«-Musikvideo läuft, und bricht plötzlich davor zusammen. Manchmal kommen Leute vorbei, ein Vertreter der Gelben Seiten, zwei junge Mormonenmissionare, Blakes Managerin (Kim Gordon), die sein Leben ein »Rock’n’Roll-Klischee« nennt. Nichts erreicht ihn. Es verstreichen noch ein paar Tage, aber Blake ist schon längst nicht mehr unter den Lebenden.

Nach »Elephant« und »Gerry« hat Gus van Sant erneut einen Film über das Sterben gemacht, über die Einsamkeit, die dem Tod vorausgeht. »Last Days« ist dabei alles andere als ein Versuch, das Leben Kurt Cobains biografisch nachzuerzählen. Aber so oder so ähnlich könnten die letzten Tage ausgesehen haben, bevor sich der Sänger der Band Nirvana im April 1994 mit einer Schrotflinte in seiner Garage erschoss. Dennoch widerspricht der Film der großen dramatischen Pose, die Cobain in seinem Abschiedsbrief eingenommen hat: »It’s better to burn out than to fade away.« Dieser Blake entfernt sich immer mehr, wird immer weniger, verschwindet unmerklich.

Van Sants Film beschreibt keine Entwicklung, eher einen Zustand, der anhält und sich festgesetzt hat. Das klassische Rockstar-Biopic ist dagegen von zwei Bewegungen bestimmt, dem Aufstieg und dem Fall, dem höchsten Höhenflug und dem größten, wenn nicht gar ultimativen Zusammenbruch. Es gehört zu den dramaturgischen Gesetzen dieses Genres, dass es darin kein Verharren geben darf, keine Ereignislosigkeit und Langeweile. Das ist so in James Mangolds Johnny-Cash-Verfilmung »Walk the Line«, in Oliver Stones »The Doors« und wird wahrscheinlich auch in den vielen Musikfilmen, die gerade oder demnächst gemacht werden, nicht anders sein (über Janis Joplin, Nico, Ian Curtis, Elton John) – mit Ausnahme vielleicht von Todd Haynes Bob-Dylan-Film. »Last Days« ist in seiner introvertierten und spannungslosen Schluffigkeit absolut Anti-Rock, Anti-Grunge. Denn der Film widerspricht der Vorstellung von Leid als einem intensiven, fast opulenten Gefühl, das sich mitteilen will.

Das Tempo des Films ist langsam, dem minimalistischen, naturalistischen Stil entspricht, dass die Szenen jeweils nur aus einer Perspektive aufgenommen wurden. Die Kamera folgt den Figuren in sehr, sehr langen Einstellungen, ohne Schnitte. Sie fängt zunächst den Raum ein, in dem sich die Figuren dann wie in einem abgegrenzten, tableauartigen Rahmen bewegen. Wie schon in »Elephant« gibt es Ellipsen und zeitliche Verschiebungen, eine Szene wird aus mehreren Perspektiven erzählt, Ton und Bild stimmen oft nicht überein. Wenn Blake durch den Wald geht, hört man etwa Türenschlagen und Autolärm. Durch das Nebeneinander und Übereinander verschiedener Wirklichkeiten bekommt die Erzählung etwas Surreales, die Schmucklosigkeit und Langeweile der Beobachtung verwandelt sich in einen lyrischen, fast hypnotischen Realismus.

Es könnte immer so weitergehen, es könnten fünf Tage sein, fünfzig oder auch nur ein paar Stunden. Man weiß nicht viel über diesen Blake und rückt ihm doch allmählich näher, auch körperlich. Gus van Sant zeigt wie in seinen letzten beiden Filmen ein besonderes Gespür dafür, den Zuschauer mit nur einer Figur durch die Erzählung zu führen. Nach einer Weile eignet man sich ihren Rhythmus, ihre Geschwindigkeit an.

Blakes Haus ist ebenso geisterhaft wie sein Bewohner. Zwar ist es großzügig und stattlich, aber heruntergekommen und ruinös – eine schlossähnliche Bastion mit altem, schwerem Mobiliar und dicken, staubigen Teppichen. Der Ort erinnert an längst vergangene Zeiten, an ein verlassenes, düsteres Schloss in einer Gothic Novel. Es ist kalt in den Räumen, die Leute tragen schwere Schuhe, Jacken und dicke Wollmützen, und es ist immer ein bisschen zu dunkel. Ab und zu bricht die Außenwelt in das Haus ein – in Form von obskuren Besuchern oder der Telefonanrufe des Managements, das Blake zu einer Welttournee bewegen möchte.

»Last Days« ist natürlich auch ein Film über Drogen. Einmal gräbt Blake im Garten ein Päckchen aus, und man denkt, es kann eigentlich nur Heroin sein. Später erfährt man, dass er aus einer Drogenklinik geflohen ist, seine wirren Streifzüge und seine Isolation sind Teil eines Trips, aus dessen Wirklichkeit der Zuschauer ausgeschlossen ist.

Ausgeschlossen sind auch die Leute, die mit Blake in dem Haus wohnen. Es sind Bandmitglieder oder Groupies (u.a. Asia Argento), so ganz klar wird das nicht. Van Sant hat diese Entourage in einem Interview einmal »Kaninchen« genannt, weil sie ersetzbar seien, scheu und außerdem alle mit allen Sex hätten. Tatsächlich schleichen sie wie kleine Tierchen umher, sie wollen etwas von Blake, Aufmerksamkeit und Geld, doch er nimmt sie überhaupt nicht wahr, geht förmlich durch sie hindurch. In einer Szene versammeln sich die Leute im Wohnzimmer und hören den Velvet-Underground-Song »Venus in Furs«, einige tanzen schwerfällig und stilisiert. Das Setting erinnert nicht zufällig an die Filme Andy Warhols, in denen Leute herumhängen, die so gut wie gar nichts tun, und es ist unglaublich banal und außergewöhnlich gleichzeitig.

Ein einziges Mal nur erlebt man, wie Blake Musik macht. Als er zur Gitarre greift, kann man sich kaum vorstellen, dass er es fertigbringt, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen. Dann aber singt er »Death to Birth«, das wie ein nicht veröffentlichtes Cobain-Stück klingt, in Wirklichkeit aber von dem Schauspieler und Musiker Michael Pitt ist. Blake fängt verhuscht und nuschelnd an und schreit den Song dann unvermutet verzweifelt heraus. Danach fällt er wieder wie ein elendes Häufchen in sich zusammen.

Am Ende ist Blake tot. Verstehen kann man das nicht, und man soll es auch gar nicht. Aber einfach so liegenlassen möchte Gus van Sant ihn dann aber auch nicht. So steigt Blake aus seinem Körper wie aus einer abgenutzten Hülle und klettert nach oben, wohl in den Himmel.

»Last Days« (USA 2005) R: Gus van Sant. D: Michael Pitt, Lukas Haas, Asia Argento, Scott Green, Kim Gordon, Andy Friberg. Start: 11. Januar