Hotel Mamma

Wohnungsnot in Italien

Eine der meistbesuchten Internetseiten für Leute, die in einer italienischen Stadt eine Wohngemeinschaft suchen, heißt www.postoletto.com. Das ist eine Internetbörse, auf der vor allem Studenten eine Unterkunft suchen. Posto letto heißt übersetzt jedoch nicht »WG-Zimmer«, sondern »Schlafplatz«. In der Regel bedeutet dies, sich für mehrere hundert Euro ein Schlaf­zimmer mit einem oder zwei anderen Mitbewohnern teilen zu müssen. Ein posto letto kann aber auch einfach ein Esszimmer sein, das mit einem Schlaf­sofa von Ikea ausgestattet ist. Und das kann unter Umständen bereits als Einzelzimmer gelten und dementsprechend teuer sein.

Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, richtige Einzelzimmer zu bekommen, die man sich nicht mit Menschen und Bio-Mülleimern teilen muss. Sie sind begehrt, vor allem bei Leuten, die aus dem Ausland kommen. Von Studenten aus nord­europäischen Ländern etwa, die nicht mal als kleine Kinder ihr Schlafzimmer mit den Geschwistern teilen mussten. Sie sind in Italien dafür berüchtigt, dass sie mit dem Verzicht auf jegliche Form von Privatsphäre anfangs nicht zurechtkommen, weil sie bereits mit Anfang Zwanzig von Zuhause weggezogen sind.

Es ist aber meistens nur eine Frage der Zeit, bis der Kulturschock überwunden ist und auch sie in einer Zweizimmerwohnung enden, die noch von mindestens drei anderen Leuten bewohnt wird. Auch für sie finden sich auf postoletto.com Angebote. Ein Beispiel (auf Englisch, denn es sind insbesondere Ausländer, die damit angelockt werden sollen): »Single room, without window, in apartment, at about ten minutes to downtown, 300 Euro monthly. Deposit 200 Euro.«

Eine Abstellkammer als »Einzelzimmer« zu bezeichnen, dafür irrsinnig viel Geld und sogar eine Kaution zu verlangen, das machen italienische Vermieter gern. Einer der wichtigsten Faktoren, die die Mieten bestimmen, sind die Studenten in der Stadt. Für einen Schlafplatz in einer Wohnung, die in der Nähe einer Universität liegt, können in Rom, Mailand, aber auch in kleineren Städten wie Bologna und Venedig ohne weiteres 400 Euro verlangt werden. Ein regulärer Mietvertrag ist eher eine Ausnahme.

Angesichts der hohen Mieten und der immer prekärer werdenden Lebensverhältnisse für immer größere Schichten der Bevölkerung gibt es in den meisten Fällen nur eine Alternative: Hotel Mamma. Dass es längst kein rein italienisches Phänomen mehr ist, belegen die europäischen Statistiken der vergangenen Jahre. Auch in Deutschland leben immer mehr Leute Ende Zwanzig noch bei den Eltern, zwölf Prozent nach den jüngsten Umfragen.

Völlig anders stellen sich die Verhältnisse in Italien dar. Eine Befragung des nationalen Statistikamtes ergab im Oktober, dass 47 Prozent der Italiener im Alter zwischen 25 und 34 Jahren noch zu Hause leben. Wenn sie ausziehen, etwa weil sie selbst eine Familie gründen, leben zwölf Prozent von ihnen höchstens einen Kilometer vom Haus der Eltern entfernt.

Die famiglia war schon immer die beliebteste unter den verschiedenen Formen des Zusammenlebens. Aber was tun, wenn keine vorhanden oder erwünscht ist? Die italienische Hauptstadt zeigt einen neuen Trend: Es werden wieder Häuser besetzt. Die neuen Hausbesetzer sind Studenten, Arbeitslose, Migranten – und Familien. Ihnen geht es nicht darum, alternative Lebensformen zu entwickeln, sondern schlicht um das Überleben.

federica matteoni