Zu kurzer Prozess

Die eilige Hinrichtung Saddam Husseins verhindert die juristische Aufarbeitung seiner Verbrechen. Die Umstände lassen die Exekution als schiitische Racheaktion erscheinen. von thomas von der osten-sacken

Die Szene erinnerte unangenehm an Videobotschaften von Entführern aus dem Irak: Vermummte Gestalten, die in einem garagenähnlichen Raum den zum Tode Verurteilten beschimpfen, filmen und schließlich exekutieren. Mit dem Pathos der Hinrichtung eines rechtmäßig verurteilten Tyrannen hatte diese Aktion jedenfalls nichts gemein. Vielmehr ist es der irakischen Regierung, wie so oft in vergangener Zeit, gelungen, so ungefähr alles falsch zu machen, was in den paar Minuten, in denen Saddam Hussein sich in ihrer Obhut befand, falsch gemacht werden konnte.

Der gestürzte Diktator starb am Morgen des Eid al-Adha, des islamischen Opferfestes, das die Sunniten einen Tag früher begehen als die Schiiten. Selbst Kommentatoren wie Tariq Alhomayed, der in der Tageszeitung al-Sharq al-Awsat das Urteil gegen Saddam Hussein generell befürwortete, empfand das Timing als Schlag ins Gesicht aller Sunniten. Wie viele andere Beobachter kritisierte er Art und Zeitpunkt der Hinrichtung als schiitischen Racheakt, der sich dezidiert gegen Kurden und arabische Sunniten richtete.

Saddam Hussein wurde nämlich während eines laufenden Verfahrens hingerichtet, in dem die Verbrechen des Ba’ath-Regimes gegen die kurdische Zivilbevölkerung verhandelt wurden. Entsprechend scharf fiel, trotz aller Erleichterung darüber, dass der Diktator nicht mehr unter ihnen weilt, die Kritik vieler Kurden aus. Die vorschnelle Exekution sei nicht nur eine sektiererische Aktion gewisser schiitischer Parteien gewesen, sie mache die Aufarbeitung der an den Kurden begangenen Verbrechen ebenso unmöglich wie die Beantwortung der Frage nach der internationalen Unterstützung des Regimes vor allem durch Frankreich, Deutschland und Russland.

Die schäbige, von Rufen wie »Lang lebe Muqtada al-Sadr« begleitete Hinrichtung erschien so weit mehr als Racheakt schiitischer Gruppierungen denn als legitime Reaktion auf den Terror des Saddam-Regimes, der sich nicht nur gegen einzelne Gruppen richtete, sondern gegen jeden, ungeachtet religiöser und ethnischer Zugehörigkeit, der der totalitären Vision des panarabischen Ba’athismus im Wege stand.

Mit dem Verfahren gegen die ehemaligen Herrscher des Irak war auch die Hoffnung verbunden, die Funktionsweise des Ba’athismus klären und den unzähligen Opfern die Möglichkeit geben zu können, öffentlich Zeugnis von ihrem Leid abzulegen. Längst aber erscheint der ba’athistische Terror als Herrschaft einer sunnitischen Minderheit gegen Kurden und Schiiten und nährt so im Nachhinein sektiererische Ressentiments bestimmter Gruppen.

Das beste Beispiel sind jene schiitisch-islamistischen Milizen Muqtada al-Sadrs, dessen Anhänger offenbar bei der Hinrichtung anwesend waren. Größtenteils rekrutieren sie sich aus den Eliteeinheiten des alten Regimes, ihre Reihen sind aufgefüllt von aus dem Iran zurückgekehrten Exilanten. Von allen Gruppierungen und Parteien im Irak dürften sie die wenigsten Opfer zu beklagen haben, und so führen sie sich auch auf: Die Exekution des Diktators war ihnen vornehmlich eine Gelegenheit für billige Propaganda.

Auch wenn im Irak an diesem Tag überwiegend Freude über das Ende des Diktators herrschte, waren es doch vornehmlich Sadristen, die jubelnd durch die Straßen zogen. Andere Iraker begingen den Tag ohne derartige Demonstrationen, erleichtert einerseits, und doch, wie ein kurdischer Bekannter meinte, mit einem Gefühl der Leere. Denn der Tod Saddam Husseins mache keinen der Toten wieder lebendig, heile keine Wunden der Gefolterten und gebe niemandem die verlorenen Jahre wieder. Auch wenn die überwältigende Mehrheit aller Irakis sich für die Todesstrafe für Saddam ausgesprochen hatte, erwartete sie offenbar die »standesgemäße« Hinrichtung eines Tyrannen.

Lahm wirkten deshalb auch die Erklärungen von Premierminister Nuri al-Maliki, man habe eine spektakuläre Befreiungsaktion von bewaffneten Anhängern Saddam Husseins erwartet und deshalb den Hinrichtungstermin vorgezogen. Nicht einmal die eigentlich erforderliche Unterschrift des irakischen Präsidenten Jalal Ta­la­ba­ni hat er zuvor eingeholt. Dieser hat im vergangenen Jahr öffentlich seine Ablehnung der Todesstrafe bekundet.

Für die meisten Iraker zählte am Ende Saddam Husseins Tod mehr als die Umstände seiner Hinrichtung. Die befürchteten Unruhen unter seinen Anhängern blieben weitgehend aus. Abgesehen von ein paar Tausend Demonstranten in Tikrit, seiner Heimatstadt, protestierte kaum jemand gegen die Exekution, obwohl angesichts von Ort und Zeit der Exekution dieses eine Mal die arabischen Sunniten nachvollziehbare Gründe gehabt hätten, ihrer Empörung freien Lauf zu lassen.

Schließlich haben, was oft in Vergessenheit gerät, auch arabische Sunniten unter dem ba’athistischen Terror gelitten. Und trotz der Umstände seiner Exekution sind sich irakische Publizisten bewusst, dass am 30. Dezember erstmals seit Jahrzehnten ein Tyrann im Nahen Osten nach einem relativ fairen Verfahren hingerichtet wurde.

Diese Stimmung dürfte Ali al-Zahid in einem Gastkommentar für die österreichische Presse treffend zum Ausdruck gebracht haben: »Das weltweite Interesse am Schicksal Saddam Husseins und die Empörung über die Hinrichtung sind blanker Hohn für das irakische Volk. (…) Wenn es aber etwas im Irak gibt, das wir, die dieses blutige Regime überlebt haben, unseren Lieben, die diese Diktatur nicht überlebt haben, voller Stolz zeigen wollten, dann war es diese Gerichtsverhandlung, in der sich der Diktator und seine Schergen verantworten mussten.«

Erstaunlicherweise äußerten sich die arabischen Regierungen, mit Ausnahme von Libyen, wo Muammar al-Gaddafi Staatstrauer verhängen ließ, äußerst zurückhaltend. So wurde meist lediglich der Zeitpunkt, nicht aber die Hinrichtung selbst kritisiert. Auch wenn viele arabische Medien vor Wut schäumten, fanden sich erstaunlich viele Stimmen, die die Exekution des Diktators sogar verteidigten. Auf arabischen Weblogs und in Internetforen, wo weniger Zensur herrscht, begrüßten viele das Ende Saddam Husseins ausdrücklich und wünschten anderen Diktatoren ein ähnliches Schicksal.

Anders in Europa, wo Politiker und Kommentatoren sich förmlich überschlugen, um die Hinrichtung Saddam Husseins als »Schande, Niederlage und verpasste Chance« (Werner Hoyer, FDP), »tragische Nachricht« (der Vatikan) oder »Symbol von Rache und Gewalt« (Volker Beck, Grüne) zu bezeichnen. Derartig bigotte Reaktionen sind selbst für erklärte Gegner der Todesstrafe, die den irakischen Diktator lieber in lebenslanger Haft gesehen hätten, nur ein weiteres Zeichen, dass die Irakis, sei es als Opfer der Ba’ath-Diktatur oder bei dem Versuch, ihr zerstörtes Land wieder aufzubauen, mit Unterstützung aus Europa oder nur ein wenig Mitgefühl nicht rechnen können.