Bei Bolivar ging’s auch schief

Blüht Chávez dasselbe Schicksal wie dem »Libertador«? von marco sachs

Ginge es nach Simón Bolivar, wäre Venezuela gar nicht Venezuela, sondern Kolumbien. Groß-Kolumbien, um genau zu sein. Und wenn alles nach Plan gelaufen wäre, hätte eine unabhängige, vom Kolonialismus befreite Konföderation sogar den ganzen amerikanischen Südkontinent verbunden. So zumindest stellte es sich der »Libertador«, der »Befreier«, vor, als er den spanischen Kolonisatoren Anfang des 19. Jahrhunderts den Kampf ansagte. Letztlich kam vieles anders, als es sich der heute am meisten verehrte Unabhängigkeitsheld Südamerikas erhofft hatte.

Beinflusst von den Idealen der Französischen Revolution und angetan von Napoleons militärischem Geschick, kehrte der damals 24jährige im Jahr 1807 nach zwei Europareisen wieder in seine Geburtsstadt Caracas zurück. Wie sein späterer Verehrer Hugo Chávez schloss sich Bolivar konspirativen Zirkeln an, die allerdings gegen die spanische Krone kämpften. Nach Jahren des Krieges, der Siege, aber auch der Rückschläge und des Exils, rief der »Libertador« im Jahr 1821 die unabhängige Republik Groß-Kolumbien aus. Sie umfasste das heutige Gebiet von Ecuador, Panama, Venezuela und Kolumbien.

Mit Unterstützung des argentinischen Generals José de San Martín, der die Spanier aus Chile und Argentinien vertrieb, eroberten Bolivars Truppen Peru und später jene Region, die nach dem Namen des »Libertadors« benannt wurde: Bolivien. Es war die letzte Schlacht der Kolonisatoren. Mit dem Sieg der aufständischen Truppen im peruanischen Ayacucho im Dezember 1825 wurde das Ende der spanischen Kolonialzeit in Süd­amerika besiegelt.

So erfolgreich der Kampf gegen die Er­oberer endete, so schwierig gestaltete sich die Realisierung des Traums von der panamerikanischen Einheit. Wirtschaftliche Krisen und interne Machtkämpfe sorgten für Unsicherheit, Separatisten rangen um die Ablösung von Teilrepubliken. Der »Befreier« versuchte zu retten, was zu retten war. Er ging einen eigenwilligen Weg, der dem seines späteren Verehrers Chávez durchaus ähnlich ist. Er schlug die Übernahme einer bolivarianischen Verfassung vor, die es erlaubte, ihn zum Präsidenten auf Lebenszeit zu ernennen.

Seine Widersacher fanden die Idee nicht gut, und so erklärte sich Bolivar 1828 kurzerhand zum Alleinherrscher Groß-Kolumbiens. Wahrscheinlich war es dieser Schritt, der Karl Marx dazu verleitete, den »Libertador« als »feigsten, gemeinsten, elendsten Lump« zu beschimpfen. »Was Bolivar wirklich beabsichtigte, war die Vereinigung ganz Südamerikas zu einer föderativen Republik, deren Diktator er selbst sein wollte«, erklärte der Gründungsvater des Kommunismus.

Chávez, der sich unter anderem auf Marx beruft, stört solche Kritik nicht. Der venezolanische Präsident bezieht sich nicht nur aus inhaltlichen Gründen auf Bolivar, sondern weiß auch um dessen kulturelle Bedeutung. Fast jeder lateinamerikanische Politiker, ob links oder rechts, schmückt sich mit den Worten des Unabhängigkeitskämpfers.

Zwar zog sich der »Befreier« frustriert aus der Politik zurück, dennoch findet man zwischen Quito, Bogotá und Caracas keinen Ort, an dem nicht ein Gebäude, ein zentraler Platz oder eine Hauptstraße nach ihm benannt ist. So auch im kolumbianischen Karibikstädtchen Santa Marta. Dort erinnert eine zum Nationaldenkmal erklärte Hacienda an den »Libertador«. Auf diesem Anwesen starb Bolivar, verlassen von einstigen Kampfgefährten, am 17. Dezember 1830 auf dem Weg ins Exil an Tuberkulose. Kurz darauf zerfiel Groß-Kolumbien in vier einzelne Staaten.