Die Zeit der Inquisitoren

Die konservative Volkspartei nutzt den Anschlag der Eta, um eine Rückkehr zur Politik der Repression zu fordern. Ministerpräsident Zapatero gibt sich gelassen. von gaston kirsche

Das hätte in keinem anderen Land der Welt passieren können, noch nicht einmal in der Sowjetunion unter Stalin«, erregte sich Mariano Rajoy, der Vorsitzende der konservativen spanischen Volkspartei (PP), am Donnerstag vori­ger Woche. »Es ist totalitär und undemokratisch, dass die An­träge der PP nicht in den Cortes debat­tiert werden.« Am Tag zuvor hatte der PP im spanischen Parlament, den Cortes, erfolglos fünf Anträge zur Bekämpfung der Eta eingereicht, die alle auf eine Verschärfung der Repression abzielten. Der PP sieht sich als wahren Verteidiger der spanischen Nation, gegen eine Politik der Weichheit, des Zurückweichens vor dem regionalen Nationa­lismus, wie sie die regierenden Sozialdemokraten (Psoe) betreiben. Rajoy machte während der Parlamentsdebatte am Montag vergangener Woche sehr deutlich, was er vom Vorgehen von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero hält: »Sie in Ihrer Politik gegenüber dem Terrorismus zu unterstützen, wäre Selbstmord.«

Seit dem Anschlag der Eta am 30. Dezember in Madrid, bei dem zwei Menschen getötet wurden (Jungle World, 02/07), beherrscht der Streit zwischen den beiden großen Parteien, wie der Kampf gegen die Guerilla am effektivsten geführt werden könne, die innenpolitische Debatte. In der Parlamentsdebatte Anfang vergangener Woche kam es zwischen Rajoy und Zapatero zu einer Auseinandersetzung. Der PP fordert seit dem Attentat der Eta unermüdlich, der Psoe solle endlich das komplette Scheitern seiner Anti-Terrorismus-Strategie zugeben und sich zum bewährten reinen Repres­sionskurs des PP bekennen.

Hingegen sagte der Sprecher der Vereinigten Lin­ken (IU), Gaspar Llamazares: »Dies kann nicht die Stunde von Torquemada oder von Vorwürfen sein.« Tomás de Torquemada war ein führender Vertreter der spanischen Inquisition. Die IU hat zwar ansons­ten zum Thema Terrorismusbekämpfung wenig beizutragen, sie unterstützt den Psoe, aber ein linkes Profil jenseits der nationalen Polarisierung »Spanier kontra Basken« ist nicht vorhanden. Aber der Vorwurf, der PP benütze den Anschlag der Eta zu einem medialen Inquisitionstribunal gegen Zapatero, traf ins Schwarze.

Der Ministerpräsident begann die Parlamentsdebatte mit einer Selbstkritik: Er habe einen Fehler ge­macht, als er in seiner Neujahrsansprache erklärte, der Friedensprozess und der Dialog mit der Eta ver­liefen gut. Unmittelbar nach dem Attentat hatte Za­patero den Dialog mit der Eta für »ausgesetzt« erklärt, allerdings nicht für »beendet«. Dies wurde ihm in nahezu allen Medien als Unentschiedenheit angekreidet. Nun sah er sich gezwungen, deutlicher zu werden: »Die politischen Parteien müssen sich heute und für die Zukunft der Einheit im Kampf ge­gen das Terrornetz versichern. Der am 22. März be­gonnene Friedensprozess hat nicht funktioniert, die Eta hat mit diesem Attentat seinen Schlusspunkt ge­setzt. Mit Gewalttätern kann es keinen Dialog geben.«

Vergangenes Jahr hatte die Regierung mit Zustimmung aller Parteien – bis auf den PP – Ver­hand­­lungen mit der Eta über ein Ende des bewaffneten Kampfes aufgenommen. Ermöglicht hatte die Guerilla diesen Dialog durch die Ausrufung eines einseitigen Waffenstillstandes am 22. März 2006. Die Volkspartei hat seit März zusammen mit der AVT, der Vereinigung der Opfer des Terrorismus, mehrere nationale Großdemonstrationen veranstaltet. Mehrere hunderttausend Menschen nahmen daran teil und beklagten die vermeintliche Nachgiebigkeit gegenüber der Eta und den Verrat an Spanien.

Der Fraktion des PP reichte die Selbstkritik Zapateros nicht aus: »Zurücktreten!« »Lügner!« »Sie unterstützen die Eta!« riefen Abgeordnete ihm zu. Der versicherte ungerührt, Batasuna sei nach dem Parteiengesetz weiterhin verboten und natür­lich werde die Partei nicht zur Wahl zugelassen. Er betonte zudem, dass die polizeiliche und juristische Verfolgung von Mitgliedern der Eta auch in den vergangenen Monaten weitergegangen sei. So wurde die fällige Haft­entlassung von 14 Gefangenen der Guerilla mit Hilfe neu konstruierter Anklagen verhindert. Im Bekennerschreiben der Eta zum Attentat muss unter anderem die Repression als Grund für den Anschlag herhalten: »Sie haben mehr als 100 Veranstaltungen verboten, begleitet von Geldstrafen, Verhaftungen und körperlichen Übergriffen. Es wird weiter gefoltert, über 100 Verhaftungen wurden wegen der Beteiligung an Eta-Aktionen von verschiedenen Polizeibehörden vorgenommen, seitdem die Eta ihre Aktionen eingestellt hat.«

Die Abgeordneten des PP reagieren unter anderem so heftig auf Zapatero, weil sie und ihr rechtes, nationalistisches Umfeld es bis heute nicht verwunden haben, dass die Partei infolge ihrer Instrumentalisierung der islamis­tischen Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid abgewählt wurde. Der Verlust der Regierung schmerzt die Rechten auch deshalb, weil der PP und der Psoe im Dezember 2000 den »Pakt gegen den Terrorismus« geschlossen hatten. Die beiden Parteien beschlossen damals, den Kampf gegen die Eta aus dem Par­teien­streit herauszuhalten: Die Partei in der Opposition sollte sich in Sachen Terrorismusbekämpfung immer der jeweils regierenden Partei unterordnen.

Das ging so lange gut, solange der PP regierte und der Psoe ihm brav staatsmännisch folgte. Der PP verfolgte den Kurs, alle politisch aktiven Menschen im Baskenland zu bekämpfen, die der Sympathie für die Eta und deren Streben nach einem eigenen Staat verdächtig wurden. Der seit März 2004 regierende Psoe setzte diesen Kurs der stetigen Verschärfung von Gesetzen und der Propaganda nicht fort, sondern bemühte sich auch um Verhandlungen. So trafen sich Sozialdemokraten aus der Region regelmäßig mit dem früher offiziellen, inzwischen inoffiziellen Sprecher der verbotenen baskisch-linksnationalen Partei Batasuna, Arnaldo Otegi, und sprachen über eine mögliche Wiederzulassung der Partei. Als Voraussetzung dafür galt immer das Ende des bewaffneten Kampfes der Eta.

Im Mai finden in der autonomen Region Baskenland Kommunalwahlen statt. Der PP will um jeden Preis verhindern, dass dort eine Partei kandidiert, die sich nicht von der Eta distanziert. Es gibt allerdings zurzeit sowieso niemanden, der mit der Eta verhandeln will. Trinidad Jiménez, Staatsekretärin für Lateinamerika in der Psoe-­Regierung, war die einzige, die vergangene Woche die Feststellung wagte, dass »die Möglichkeit zum Dialog immer offen sei«. Jede Regierung müsse die Wege suchen, die zum Frieden führten. Eduardo Zaplana, Sprecher des PP, sagte dazu, in Spanien herrsche Frieden, es fehle nur die Freiheit, nicht von Terroristen verfolgt zu werden. Deshalb könne es nicht um Friedensverhandlungen gehen, sondern nur um verfolgen, verhaften und verurteilen.