Dies ist keine Fußball-WM

Trotz aller Kritik verspricht die Handball-WM, ganz ohne public viewing zu einem aufregenden Ereignis zu werden. von elke wittich

Noch bevor die ersten Teilnehmer zur Handball-WM in Deutschland angereist waren, stand fest, dass das große Ereignis ein komplettes Desaster werden würde. In fast jedem Vorschau-Artikel wurde erwähnt, dass sich der ehemalige RTL- und Sony-Manager Peter Hoenisch, derzeit im Aufsichtsrat der deutschen Handball-Bundes­liga (DHB), entsetzt über die dilettantische Ver­mark­tung der Weltmeisterschaft geäußert habe. Es sei ein Skandal, »was die Funktionäre aus der Handball-WM nicht gemacht haben«, wurde er zitiert. »Eine große Chance ist vertan worden.«

Eine gleichzeitig veröffentlichte Untersuchung, wonach noch Anfang Januar 70 Prozent der Deutschen keine Ahnung hatten, dass vom 19. Januar bis zum 4. Februar im eigenen Land die Weltmeisterschaft ausgetragen wird, verstärkte den Eindruck, dass ein Haufen Dilettanten das Großereignis zum Flop des Jahres gemacht hatte.

Das viel beschworene öffentliche Desinteresse gibt es allerdings schlichtweg nicht: Mehr als 95 Prozent der 300 000 Eintrittskarten für die Spiele in Berlin, Bremen, Dortmund, Halle, Hamburg, Kiel, Lemgo, Magdeburg, Stuttgart, Wetzlar und Köln waren bereits vor dem Anpfiff verkauft, mittlerweile sind nur noch wenige Tickets erhältlich. Bei Ebay, deinem Gradmesser für die Attraktivität von Angeboten, wurden am Wochenende insgesamt mehr als 100 Karten angeboten, zwei Top-Plätze für das Finale am 4. Februar in Köln sind nicht unter 600 Euro zu haben.

Die WM findet allerdings nicht nur in den Stadien und damit unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Kurz vor dem Eröffnungsspiel meldete der Handball-Bund eine »verbesserte TV-Regelung«. 30 der 90 Partien sind nun im Free-TV zu sehen, während ARD und ZDF alle Spiele der deutschen Nationalmannschaft zeigen, wird das DSF 19 weitere Spiele, zum Teil in Konferenzschaltung, übertragen.

Und trotzdem hielt sich weiterhin hartnäckig der Eindruck, dass die Weltmeisterschaft niemanden weiter interessiere.

Die Internationale Handball-Föderation (IHF) hatte in Ermangelung eigener Marketing-Experten mehrere Agenturen mit der Suche nach Sponsoren und Werbepartnern für die WM beauftragt. Vielleicht hatten die meisten wirklich, wie der DHB-Aufsichtsrat Peter Hoenisch, das »Gefühl, exklusiv beauftragt« worden zu sein, so dass manche große Unternehmen tatsächlich, wie Boenisch behauptet, gleich von mehreren Agenturen besucht wurden und wegen des Kompetenzwirrwarrs verärgert ihr geplantes Engagement gleich ganz einstellten. Die offizielle Homepage der WM, ­handball-­wm2007.de, zeigt allerdings auch, dass durchaus Werbepartner gefunden wurden. »Die IHF hat gute Sponsoren bekommen, aber die Verträge sind allesamt sehr spät abgeschlossen worden«, erklärte Frank Bohmann, Geschäftsführer der Handball-Bundesliga, lapidar.

Vielleicht sind manche Kritiker aber einfach auch nur beleidigt, weil sie sich unzureichend eingebunden fühlen. Der ehemalige Nationalspieler Stefan Kretzschmar beklagte in einem Interview »verpasste Chancen« und führte als ein Beispiel für die mangelhafte Professionalität an, dass »drum herum nichts stattfindet«; so habe etwa lediglich der Austragungsort Magdeburg »eine Plakataktion gestartet«, »aber durch die Stadt, nicht durch den Deutschen Handballbund«. Seine Agentur hätte gern das WM-Marketing übernommen, sagte der Sportler, aber nach Gesprächen mit den Verantwortlichen sei ihm klar geworden, dass man nur an seiner Person interessiert gewesen sei. »Dafür bin ich nicht zu haben. Man wird ja oft gern vor den Karren gespannt, wenn man einen einigermaßen populären Namen hat. Sobald man aber nicht selbst Kompetenzen bekommt und auch ernst genommen wird, rieche ich so was schnell und lehne das ab.«

Kretzschmar gibt zu: »Dass alle Hallen ausverkauft sein werden, ist bisher unerreicht«, um gleich im nächsten Satz zu bemängeln: »Dass man hätte mehr daraus machen können, ist eine andere Sache.«

Was dieses »mehr daraus machen« nun konkret sein soll, erklärte Kretzschmar jedoch nicht. Was daran liegen könnte, dass Handball einfach eine Randsportart ist, deren Weltmeisterschaft nun im Winter stattfindet, was zwar in Anlehnung an die Fußball-WM 2006 den schönen Slogan »Deutsch­land, ein Wintermärchen« erlaubt, aber eben alles, was das Fußballereignis zur großen Party machte, schlichtweg ausschließt.

Selbst der feierfreudigste Handball-Fan käme schließlich nicht auf die Idee, sich bei Matschwetter und Windböen auf irgendeinem öffentlichen Platz vor eine Riesenleinwand zu stellen und sich, sein Bier und seine Bratwurst nass regnen zu lassen. Dazu kommt, dass Handball eben keine Massensportart ist. Der Deutsche Handballbund hat zwar mehr als 840 000 Mitglieder, die meisten Fans konzen­trieren sich allerdings auf die Bundesligahochburgen, wo »außer Handball nix los ist«, wie sie selber zugeben. Entsprechend setzten die WM-Veranstalter bei ihrer Werbung auf Regionalität, zwei Monate lang, von Oktober bis Dezember, tourte eine Roadshow mit dem Handball-Bundestrainer Heiner Brand und den Aktiven sowie einem mobilen Handball-Museum durch die Austragungs­orte, wo dann an den Schulen öffentliche Trainingstunden stattfanden.

Dass nun die WM vor ausverkauften Tribünen stattfindet, ist für eine Sportart, in der das Heimteam nicht unbedingt zu den aussichtsreichsten Teilnehmern zählt, ein Erfolg. Denn während die Bundesliga-Mannschaften in den internationalen Wettbewerben durchaus dauerhaft oben mitspielen, gelang der Nationalmannschaft der damaligen BRD 1978 unter Trainer Vlado Stenzel zum ersten und bisher einzigen Mal der Gewinn der Weltmeisterschaft. Jetzt hofft man auf den Heimvorteil und auf eine Überraschung. Das Eröffnungsspiel gegen Brasilien wurde zwar mit 27:22 gewonnen, allerdings führte der Erwartungsdruck auch dazu, dass die deutschen Handballer übernervös waren. Die mehr als vier Millionen deutschen Fernsehzuschauer wird das wohl nicht so sehr gestört haben, schließlich verlief die Partie durchaus spannend. Vier Millionen Zuschauer? Keine schlechte Einschaltquote, trotzdem war die Berichterstattung unvermindert kritisch: »Bei der Fußball-WM 2006 war das Interesse der TV-Zuschauer mindestens fünf Mal so groß.«

Immerhin hatte man es aber gleich mit dem ersten Spiel geschafft, eine dieser Human-Touch-Stories zu präsentieren, die es in alle Zeitungen schaffen. Die Zuschauer in der Berliner Max-Schmeling-Halle waren vor dem Anpfiff aufgestanden und hatten ein Geburtstagslied für Joa­chim Deckarm gesungen, der nach einem Sportunfall während eines Handball-Länderspiels lange im Koma gelegen hatte. Sein damaliger Gegenspieler, der an dem Zusammenprall völlig schuldlose Lajos Panovics, ist heute sein bester Freund.

Während der Fußball-WM hätte eine solche Geschichte ebenfalls zu den Highlights gehört, insofern scheinen die Handball-Organisatoren durchaus zu wissen, wie man das Interesse der Medien weckt. Nun hofft man auf gute sportliche Leistungen der deutschen Mannschaft, um aus dem Interesse Begeisterung zu machen.

Die Favoriten sind allerdings andere: Titelverteidiger Spanien, Europameister Frankreich und Olympiasieger Kroatien werden von Experten als zukünftige Weltmeister genannt. Aber vielleicht lernen die deutschen Fernsehzuschauer ja am Beispiel der Handball-WM ein für alle Mal, dass Sportarten, in denen andere gewinnen, durchaus ihren Reiz haben.