Germany’s Left Top Model

Reichtum lässt sich teilen. Schönheit nicht. Uschi Obermaiers Revolte und die Exklusion des Hässlichen. von jürgen kiontke

Eins vorweg: Der Film »Das wilde Leben«, die Verfilmung des Lebens von Germany’s left top model Uschi Obermaier, hat – bis auf den einfallslosen Titel – all die Schwächen nicht, die sonst am deutschen Film kleben: Er ist nicht langweilig, nicht artifiziell, autoritätshuldigend oder gar bescheuert konstruiert und schleimig rührselig.

Der Regisseur hat sich auch an keiner Stelle eingebildet, er sei klüger als seine Figuren. Statt sich um sich selbst zu drehen, steckt Spielfilm-Debütant Achim Bornhak viel Arbeit in Ausstattung und Atmosphäre und ins Casting: Alle Rollen sind genial besetzt. Jeder Darsteller leistet das Beste. Großartige Ideen, rasante Action, prima Dialoge, aufwühlende Szenen.

Es gibt genug zu lachen, zu weinen und unumstößliche Wahrheiten zu begutachten. So wie diese: Die radikalste Sau im linken Projekt ist immer noch vom Verfassungsschutz – meistens ist’s der mit der Brille.

Damit hat Uschi Obermaier wieder Glück gehabt. Zum gerade durchgewunkenen 60. Geburtstag ist sie präsent wie 1968, sei es in Form eines Buches – die Biografie »High ­Times« wurde in Bild vorabgedruckt – oder der Verfilmung desselben.

Im Prinzip hätte sie sich selbst spielen können: Als sie von der Hauptdarstellerin Natalia Avelon in Los Angeles aufgesucht wurde, sei ihr erst mal die Klappe runtergefallen. Sie habe gedacht, sie stehe selbst in der Tür. Dann haben sie sich was zu essen gekauft. Obermaier: »Der Kartoffelhändler sagte, ich hätte wohl Besuch von meiner Schwester.« Avelon ist 26.

Dass der Kartoffelmann trotzdem nicht »Tochter« gesagt hat, ist ihr ohne weiteres zu glauben. Das Alter hat bei Uschi Obermaier offensichtlich keine Chance. Wie irgendwelche anderen Naturgesetze – Eltern, Arbeit, Drogensucht – auch nicht.

Sendlingen bei München in den sechziger Jahren. Foto-Retuscheurin Uschi geht der »ewige Totensonntag« auf die Nerven. Besser wird’s, wenn sie Beatles und Rolling Stones hört. Aber: »Mit Musik allein komme ich aber hier nicht raus!«

Uschi braucht Spaß, gerade hat sie entdeckt, dass Sex Spaß macht, also will Uschi Sex. Ihre Einstiegsdroge sind langhaarige Musiker, und während die noch auf der Gitarre zupfen, baut Dirigentin Uschi ihr Orchester auf. Bald stellt sich heraus: Langhaarig sind die Jungs deshalb, damit Uschi deren Locken sammeln kann. »Bist du Musiker?« fragt sie die Jungs. »Klar«, sagen die, »jeder ist ein Musiker.«

Aber da ist Uschi Obermaier schon von zu Hause fortgelaufen und zu Amon Düül in den verlausten VW-Bus gestiegen. »In Kalifornien tuns nackt rumrenna, hier regens sich auf, wenn man mal lächelt.«

Die nächsten Typen, die sie nach ihrem Musikerstatus fragt, sind von der Kommune 1 und leben in Berlin. Ihren neuen Freund könnte man auch als Musiker bezeichnen, erstens weil er lange Haare hat, zweitens weil er so schön Interviews singen kann: Rainer Langhans. Schon bald aber mag das bayrische Glückskind und Titelblatt-Accessoire in der linken WG nicht richtig glücklich sein. Die Leute dort wirken im Film wie auch sonst auf Frau Obermaier zwar okay, aber emotional verkümmert. Als linke Ikone wird sie dennoch berühmt – 1968, das ist nicht nur der Spätsommer der Revolte, sondern auch die große Liebe zwischen linker Politik und Popkultur – ein Flirt, wie er in Deutschland eher selten erlebt wurde.

Da sexuelle Befreiung und Widerstand hier eine kurze Zeit gemeinsam spazieren gehen, kann Obermaier es auf den Punkt bringen: Das Seite 1-Mädchen geht gegen Springer auf die Straße und mit Langhans in den Bau. Die Vorgänge in der Kommune 1 – kein Privateigentum, dafür Partnertausch, Drogen, politische Debatten – scheinen Bornhak nicht Einladung genug gewesen zu sein, die linken Vögel lächerlich zu machen. Jeder handelt vielmehr, wie er handeln kann: Es gibt gute Gründe, Radikalfeministin zu sein. Es gibt gute Gründe für die Abschaffung des Privateigentums. Es gibt gute Gründe für Promiskuität und genauso gute dagegen. Und es gibt gute Gründe, Uschi Obermaier rauszuschmeißen. »Als Frauen müssen wir patriarchale Strukturen aufbrechen«, erklärt ihr die WG-Genossin beim gemeinsamen Bad-Besuch. »Bist nur eifersüchtig, alte Gurke«, bayrischt es zurück. Was soll man sagen: Beide haben recht.

Eigentlich weiß Uschi genau, was sie will. Sie selbst sein. Was sollte sie auch anderes wollen, da ihr, egal wo sie auftaucht, die Leute zu Füßen liegen? Warum sollte sie in einer linken Kommune kämpfen, wo es so viel schönere Dinge gibt?

Denn die Musikerjagd setzt sie bald an der Weltspitze fort: Die Rolling Stones Jagger und Richards, dessen Name zunächst nicht so richtig über ihre Sendlinger Lippen (»der Kuith steht vor der Tür«) kommen mag, haben sich beide auf Besuch angesagt. Und jetzt streiten sie sich in Uschis WG-Zimmer, wer dableiben darf und wer nicht. Derweil rollt der Rubel aus verschiedenen Fotosessions, bei denen sie das tut, was sie am liebsten tut: sich ausziehen, ausziehen, ausziehen.

Bald soll sie sogar aus dieser Welt ausziehen – als Erfinderin der privaten Busweltreise. Unsterblich verliebt in den Hamburger Filou Dieter Bockhorn – zwar kein Musiker, aber das schleift sich eh ab –, wird sie sechs Jahre um die Welt lieben und kann sein, was sie will: verliebt und schön. Über die Visionen linker Politik nicht nur jener Zeit gibt »Das wilde Leben« gern Auskunft. Für die erfolgreiche Schönheit, die im Kern so gesund ist, dass sie jeden Selbstversuch übersteht, scheint diese Welt wie gemacht. Aber für die vielen anderen eben nicht. Die fragen sich bis heute: Ist die Freiheit des Einzelnen links oder Anpassung ans Kollektiv? Müssen die Linken die Popkultur wieder in den Griff kriegen? Müssen sie sich nicht viel eher um die Rentenversicherung kümmern? Wie kriegt man dröge Themen hip? Soll ich ausflippen?

Leuten wie Uschi Obermeier geht es materiell so gut, dass sie sich weiter keinen Kopf machen müssen, wenn sie am Strand von Bali rumhängen. Eine gemeinsame Vision – Liebe & Freiheit – haben sie auch. Aber diese Welt basiert auf der Exklusion der Hässlichen. Die bebrillten Typen und die radikalen Frauen, sie dürfen da – auch ein Naturgesetz – nicht mitmachen und rächen sich. So findet die erste und einzige Prügelei in der Kommune 1 ohne Polizeibeteiligung statt: Kleinbürgertum entsteht, wo Eigentum nicht teilbar ist. Also wegen Uschi Obermaier. Langhans will wegen ihr »jede Revolution verraten«. Fremdgegangen ist er trotzdem.

Eine Filmstunde später, als bei Uschi dann doch noch das Unglück antanzt, gibt sie uns den Satz »Freiheit bedeutet Einsamkeit« mit nach Hause. Und mit der will umgegangen werden. Sie kann das. Viele können das nicht. »Freiheit macht arm« soll später ein Buch heißen. Ein linkes Buch. Freiheit, steht da drin, dazu braucht man das nötige Kleingeld.

Die echte Obermaier, die heute als Schmuckdesignerin bei Los Angeles lebt, hat die Einsamkeit mehr als Erkenntnis mitgenommen. »Ich glaube, mich kriegt nichts wirklich unter«, sagt sie. »Ich denke auch, mir kann niemand wirklich ein Herz brechen. Anknacksen, zerrupfen, alles, aber für richtig brechen, nein – dazu hab’ ich zu viel Selbstliebe.«

Auch schön: Auf der Suche nach Liebe findet man noch mehr Liebe.

Das wilde Leben. D 2006. R: Achim Bornhak. Start: 1. Februar. Uschi Obermaier: High ­Times. Mein wildes Leben. Heyne, München 2007. 220 S., 14 Euro