Im Namen von Freiheit und Gerechtigkeit

Frontex schottet im Auftrag der europäischen Union deren Außengrenzen ab. Wie dies genau geschieht, soll jedoch nicht an die Öffentlichkeit gelangen. von martin kröger

Die militärische Aufrüstung der so genannten EU-Grenzagentur Frontex gilt den EU-Justiz- und Innenministern inzwischen als Allheilmittel zur Abwehr von Flüchtlingen. Die »EU-Grenzagentur« müsse so schnell wie möglich unterstützt werden, um die zu erwartenden Menschen abzuwehren, die nach Euro­pa gelangen wollen, verlangte Franco Frattini vergangene Woche während des informellen EU-Innenministertreffens in Dresden. Der Justizkommissar und Vize­präsident der Europäischen Kommission forderte daher, für Frontex mehr Heli­kop­ter, Boote und Überwachungsflugzeuge bereitzustellen. »Wir müssen vor dem Frühling bereit sein, nicht später«, sagte er und warnte davor, »dass die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen für die EU-Grenz­agentur nicht mit der Entwicklung der Mas­senankunft von Immigranten an den Südküsten der EU« einhergehe. Frontex selber hatte mit einem Anschreiben an alle 27 EU-Mitgliedsstaaten ebenfalls eine Aufstockung der Mittel erbeten. Doch was verbirgt sich hinter der ominösen »Grenzschutzagentur«?

Der Name Frontex leitet sich von dem französischen Ausdruck für »Außengrenze«, »frontières extérieures«, ab. Im Beamtenjargon ausgeschrieben steht Frontex für »Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union«. Die Gemeinschaftsagentur geht auf eine Verordnung des europäischen Rats vom Oktober 2004 zurück. Frontex ist also das Ergebnis der Bemühungen der EU-Staaten, den »Grenzschutz« zu vereinheitlichen, was real bedeutet, die Grenzen gemeinschaftlich militärisch dicht zu machen.

Seit dem 1. Mai 2005 gibt es Frontex nicht mehr nur auf dem Papier. Die »Agentur« hat inzwischen ihr Hauptquartier in der polnischen Hauptstadt War­schau. Offiziell ist Frontex zwar eine Institution der EU, ihr wurde jedoch ein großes Maß an rechtlicher und finanzieller Unabhängigkeit eingeräumt. »Die Agentur sollte in technischen Fragen unabhängig und rechtlich, verwaltungstechnisch und finanziell autonom sein«, heißt es in der Gründungsverordnung. In der Öffentlichkeit tritt vor allem der Exekutivdirektor von Frontex, der Finne Ilkka Laitinen, auf. Er war früher Brigadegeneral bei den finnischen Grenztruppen, der sich in den neunziger Jah­ren einen Namen bei der Sicherung der finnischen Grenze zu Russland gemacht hat.

Nach der offiziellen Darstellung hat Fron­tex sechs Hauptaufgaben: »Die Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Bereich Außengrenzschutz, Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei verstärkten Kontrollen ihrer Außengren­zen, Durchführung von Risiko­analysen, Un­terstützung der Ausbildung von Grenzschutz­beamten, Verfolgung der für den Außengrenzschutz relevanten Forschung, Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Organisation gemeinsamer Abschiebeaktionen.« Was sich genau hinter diesem Aufgabenkanon verbirgt, versuchte die Grüne Bundestagsfraktion im vorigen Sommer mit einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung in Erfahrung zu bringen.

Mit Verweis auf das geltende EU-Recht verweigerte die Große Koalition jedoch die Beantwortung eines Großteils der Fragen: »Die Europäische Grenzschutzagentur hat somit eine eigene Informations- und Datenhoheit und steht gegenüber den Mitgliedsstaaten nicht in einer Informationspflicht«, hieß es lapidar.

Immerhin einige Daten enthielt die Antwort der Bundesregierung an die Grünen: Derzeit seien 60 Mitarbeiter aus ganz Europa an die Grenzschutzagentur abgestellt, da­von drei der deutschen Bundespolizei. Belief sich das vom EU-Haushalt bereitgestellte Budget im Jahr 2005 noch auf sechs Millionen Euro, stieg es im vergangenen Jahr auf 11,7 Millionen an. Für dieses Jahr war eine Steigerung auf rund 40 Millionen Euro vorgesehen – worin die Aufstockung, die von den Innenministern in Dresden gefordert wurde, noch nicht enthalten war. Ein geringerer Teil der Geldsumme werde der Antwort der Bundesregierung zufolge für Perso­nal- und Verwaltungskosten benötigt. Der Großteil des Budgets werde für »operative Einsätze« ausgegeben.

Welche Einsätze damit gemeint sind, darüber soll eigentlich ein Jahresbericht von Fron­tex an die europäische Kommission Aus­kunft geben. »In dem Jahresbericht sind die Aufführungen über operative Maßnahmen al­lerdings geschwärzt«, sagte Mark Holzber­ger, der Referent für Flüchtlings- und Migra­tionspolitik bei der Grünen Bundestagsfrak­tion, der Jungle World. Grüne und Linkspar­tei bemängeln, dass auch auf europäischer Ebene nur mangelhafte Möglichkeiten vorhanden seien, Frontex parlamentarisch zu kontrollieren.

Als Redaktionsmitglied der Zeitschift Bürgerrechte und Polizei/CILIP hat sich Holzberger auch publizistisch mit Frontex beschäftigt. In einem Ar­tikel für die Zeitschrift bezeichnet er die Warschau­er Agentur »als zweite europäische Polizeibehörde und kleinen Bruder von Europol«. Im Gegensatz zu Europol sei es bei Frontex jedoch inzwischen so, dass die Behörde bei der Koordinierung opera­tiver Einsätze eine deutlich aktivere Rolle spiele. Denn bei Frontex laufen nicht nur nachrichtendienstliche und polizeiliche Fäden zusammen, von Warschau aus werden auch die multinationalen Einsätze der europäischen Grenzbeamten koordiniert, geplant und ausgearbeitet. So hat Frontex sowohl bei den olympischen Spielen in Turin als auch bei der WM die Daten aller in die EU Einrei­senden kontrolliert und abgeglichen.

Wesentlich mehr Aufmerksamkeit erregten im vergangenen Jahr jedoch zwei operative Einsätze im Mittelmeerraum: Die so genannten Grenzschutzaktionen »Hera I und II« sowie »Jason I«, die alle von Warschau aus geleitet wurden. Die mit dem Codenamen »Hera« versehenen Aktionen bezeich­neten den Einsatz von multinationalen Grenzschutz­beamten im Gebiet der Kanaren, der Kapverden und vor dem Senegal. Allein an dieser Operation hatten sich sieben EU-Staaten auf Anfrage Spaniens beteiligt. Hinter der Bezeichnung »Jason« verbirgt sich der Einsatz von Grenzpolizisten im Mit­telmeergebiet um Malta und vor der Küste Griechenlands. Es geht also um die derzeitigen Haupt­routen von Migration aus Afrika nach Europa.

Solche Adhoc-Einsätze als »schnelle Eingreif­truppe«, die bei Bedarf von EU-Staaten angefordert werden können, sollen jetzt unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft häufiger stattfinden. Und genau dafür sollen die militärischen Mittel, die EU-Kommissar Frattini für Frontex gefordert hat, zur Verfügung stehen.

Um die Effizienz solcher Operationen zu steigern, bereitet die Europäische Kommission zudem bereits seit einem halben Jahr eine Verordnung vor, die die Erweiterung der exekutiven Befugnisse der Beamten bei solchen gemeinsamen grenz­polizeilichen Einsätzen ermöglichen soll. Bundespolizisten und Grenzbeamte dürften bei Auslandseinsätzen dann nicht mehr nur koordinieren und überwachen, sondern auch selber Personen kontrollieren, abschieben und festnehmen. Frei nach dem Motto von Frontex, das auf deren Logo vermerkt ist: Libertas, Securitas und Justitia – Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit.

Allein in der Nähe der Kanarischen Inseln sind unter den Augen der Frontex-Beamten 6 000 Menschen im vorigen Jahr ums Leben gekommen.