Mauthausen is’ no’ net untaganga!

Die Dokumentation »KZ« porträtiert das idyllische Städtchen an der Donau, das bekannt ist als Ort eines Konzentrationslagers. von thomas blum

Österreich ist ein schönes Land, das klare Flüsse, rauschende Wälder, pittoreske Städt­chen und gut funktionierende Konzentrationslager hat. Moment, Moment! Stopp … ! Das war früher so. Heute ist das anders.

Also …  noch mal von vorn: Österreich ist ein schönes Land, das klare Flüsse, rauschende Wälder, pittoreske Städtchen und gut funktionierende Einwohner mit einem drolligen Dialekt hat. Einige von ihnen, die in Mauthausen leben, treten vor die Kamera und erzählen davon, wie »traumhaft« schön Mauthausen sei, ganz so, als handle es sich bei ihrem Wohnort um eine zur Realität gewordene Heimatfilmkulisse.

»Das hab’n früher die Häftlinge machen müssen«, sagt ein Anwohner, grinsend eine Schubkarre durch den Vorgarten seines Hauses schiebend. Die Obszönität seiner Bemerkung ist ihm offensichtlich nicht klar. Seine Frau erwähnt, dass die ältere Generation in Mauthausen nicht über die Vergangenheit sprechen möchte. »Und das kann ich verstehen«, sagt sie, ganz so, als handle es sich bei den Nazis um traumatisierte Opfer. Ein ande­res Ehepaar wird danach gefragt, ob es von ihm als Belastung empfunden werde, in einem Haus zu woh­nen, in dem einst hochrangige SS-Offiziere lebten. Es folgt ein unsicheres Gelächter und Herum­drucksen der Befragten. Nein, das sei »überhaupt keine« Belastung, nur der »Bekanntenkreis« habe zuweilen »Sprüche« gemacht. Der Regisseur fragt nach, welche Art Bemerkungen das gewesen seien. Darauf folgt abermals albernes Lachen des Ehepaars: »Ob man so ein SS-Haus überhaupt heizen kann ohne Gas.« Neuerliches Grinsen des Paars. »Man war immer für einen Witz gut, sozusagen«, erklärt lächelnd der Ehemann. Es sind ganz normale Menschen.

Harald Brachner ist ein nicht ganz so gewöhnlicher Mensch. Seit Jahren führt er täglich Besuchergruppen durch die KZ-Gedenkstätte Mauthausen, die einst Österreichs größtes Konzentrationslager war, in dem »Vernichtung durch Arbeit« betrieben wurde. Von 1938 bis zum Mai 1945 wurden dort und in den Nebenlagern über 100 000 Menschen gefoltert und ermordet. Es war das Konzentrations­lager, das zur Zeit des Nationalsozialismus am längs­ten in Betrieb war. Brachner gibt an, infolge seiner unentwegten, obsessiven Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus zum Alkoholiker geworden und auf Psychopharmaka angewiesen zu sein. Auch jedes Gespräch, das er privat mit Leuten führe, sagt er, münde früher oder später beim Thema Mauthausen.

Doch er ist auch ein zwiespältiger Mensch. Umgeben von seinem Besucherpublikum in der Gedenkstätte spricht er jovial, dramatische Pausen in seiner Rede setzend und mit grausamen Details aus dem Lageralltag nicht sparend, mit dem sichtlichen Willen, die Leute zu beeindrucken. Wie ein Laiendarsteller auf einer kleinen Bühne wirkt er dann zuweilen. »Ich hab’ früher zu mir g’sagt, ich bin der Beste.« Sein Publikum, sagt er nicht ohne Ehrgeiz, wolle er »bekommen«, er will es anrühren, zum Weinen bringen, das sei »ein tolles Feeling«.

Einmal steht er vor der Gastwirtschaft »Frellerhof«, dem ehemaligen Stammlokal der Lager-SS und der Bewachungs­mannschaften, das noch immer existiert und das sich unweit des ehemaligen Kon­zentrationslagers befindet, und muss unwillkürlich darüber lachen, dass von den bei­den Ortsschildern neben ihm, die beide in dieselbe Richtung zeigen, eines zur »Moststub’n«, das andere zur »Gedenkstätte Mauthausen« weist. »Irgendwie komisch« sei das. Er gehe heute nicht mehr gern in den Gasthof. Brachner ist einer der sympathischen Menschen, die in diesem Film gezeigt werden.

Mesut, ein Besucher der Gedenkstätte, steht mit seiner kleinen Tochter vor den Öfen, in denen die Leichen der Häftlinge verbrannt worden sind. Später sieht man ihn etwas ins Gästebuch schreiben. Auch seine Tochter will etwas hineinschreiben: »Frieden«. Die Kamera zeigt dann die Einträge, die beide im Gästebuch hinterlassen haben: »Hey, Söhne Israels, empfindet ihr keine Scham angesichts des Leids, das ihr heute den Palästinensern und Kurden zufügt? Mesut.« »Frieden. Delah.«

Rex Bloomstein, der als Dokumentarfilmer zu historischen und politischen Themen fürs Fernsehen arbeitet, führt uns in seiner mehrfach auf Filmfestivals ausgezeichneten, unkommentierten Dokumentation über das Städtchen Mauthausen eine Bevölkerung vor Augen, die starrsinnig die Beschäftigung mit dem Leid der Opfer des Nationalsozialismus ablehnt. Er zeigt uns, wie hilflos jeder Versuch der Erinnerung an den Holocaust scheitern muss in einem Land wie Österreich, das sich bis heute als erstes Opfer des Nationalsozialismus betrachtet. Eine Nazirentnerin beschwert sich über das Leid der Österreicher: »Wir hab’n nur den Tod vor Augen g’habt. Und das KZ. Den Geruch dazu. Wenn sie s’ verbrannt hab’n, ganz Mauthausen hat verbrannt g’stunken.«

Bereits zu Beginn des Films sehen wir ins Antlitz einer properen, gut genährten Matrone, deren kompakter Nacherzählung der Geschichte man besser nicht widerspricht: »Mir hab’n d’ Franzosen dag’habt, mir hab’n d’ Türken dag’habt, mir hab’n d’ Bauernkriege dag’habt. Also … .(sie macht eine Pause, zögert, hebt die Arme, schnauft, lässt sie wieder auf den Tisch zurücksinken) Mauthausen is’ no’ net unta­ganga! Die sin’ allweil so Stehaufmandl (Stehaufmännchen) g’wes’n. Irgendwo sind’s imma wieda durchkomma!« Die NS-Vergangen­heit des Ortes, in dem sich einst Österreichs größtes KZ befand, liegt irgendwo zwischen dem Anheben der Arme und dem Schnaufen.

Am Ende des Films sind einige Bilder, die uns der Regisseur zeigt, umso besser zu verstehen für den, der begriffen hat, dass Österreich als durchgehend geöffnetes Freilichtmuseum für eine bis heute nicht stattgefundene Beschäftigung mit der Vergangenheit wahrgenommen werden muss, in dem der Kleinbürger sich selbst und allen anderen vorsimuliert, alles sei in Ord­nung: das Schild, das ebenso den Weg zur »Most­stub’n« wie zur KZ-Gedenkstätte weist, das Autobahnschild, das auf »Mauthausen« hinweist und auf dem die Reklame für eine Schnellrestaurantkette prangt, eine Horde Schuhplattler und Volkstänzer, die unter Applaus im ehemaligen Lieblingslokal der örtlichen SS feixend und brüllend Volkstumsquatsch aufführen, und ein Musikantentrio, das allen Ernstes und zur Erbauung und Belustigung der Anwesenden Folgendes singt: »Die Moststub’n heroben beim KZ / Die ist wirklich herrlich und nett / Da kehr’n heut’ die Leut’ gern ein (…) / A knackig Würschtel vom Rost / Und dazu ein’ traumhaften Most … « etc.

Das Konzentrationslager als folkloristisches Requisit in einem Kneipenlied. Wie ignorant, wie selbstgerecht, wie abgestumpft, wie resistent gegen jedes Denken muss eine Bevölkerung sein, die zu einer solchen Obszönität ihren Most schlürft?

Die NS-Vergangenheit ist in Österreich heute vor allem zweierlei, eine Touristenattraktion und eine schöne Erinnerung. Wie sagt eine der alten Damen aus der aufgekratzten Rentnerinnenrunde so freimütig und erglühend vor Nostalgie, als sie von ihrem SS-Ehemann erzählt? »Im Lager oben hab’ ich g’heiratet. Das war eine schöne Hochzeit! Die Musik hat leise g’spielt, und links und rechts sind die SSler g’standen.«

Von allem anderen, was in Mauthausen und anderswo geschah, soll hier nicht gesprochen werden. Das tut ja schon der Herr Brachner.

»KZ« (GB 2005), R: Rex Bloomstein. Start: 1.Februar