Drei Liter tun’s nicht

Der UN-Klimabericht bietet Anschauungsmaterial für eine Kritik der politischen Ökonomie, die eine politische Ökologie einschließt. von peter bierl

Ein Mercedes der S-Klasse verbraucht auf 100 Kilometern über 14 Liter Super Plus und bläst 3,4 Kilogramm Kohlendioxid in die Luft. Wegen solchen Benzinfressern und Dreckschleudern haben die Bundesregierung und die deutschen Automobilkonzerne der EU-Kommission Druck gemacht. Diese wagt es nicht, den Konzernen Motoren vorzuschreiben, die weniger Benzin verbrauchen. Umweltverbände wie der Bund protestieren, für radikale Linke scheint das kein Thema zu sein. In der vergangenen Woche sah es so aus, als würde sich EU-Umweltkommissar Stavros Dimas dem deutschen Druck beugen und die Absicht aufgeben, für alle Autos einheitliche Obergrenzen beim Kohlendioxidausstoß zu beschließen. Profitieren würden davon Autohersteller wie Mercedes, BMW und Volkswagen, die Geländewagen und Großraumlimousinen bauen.

Anstatt das Drei-Liter-Auto zur Norm zu erheben, wollen der deutsche EU-Industriekommissar Günther Verheugen und die Konzerne lieber den Anteil von Biosprit steigern. Das wird der Mineralölindustrie nicht gefallen, die schon heftig, aber vergeblich gegen die Biospritquote protestierte, die der Bundestag im Oktober beschlossen hat. Seit 1. Januar müssen in Benzin 1,2 Prozent Bioethanol und in Diesel 4,4 Prozent Biodiesel enthalten sein. Das Ziel der Regierung ist es, den Anteil von Biokraftstoffen bis zum Jahr 2015 auf zehn Prozent zu steigern. Es geht nicht um Umweltschutz, sondern »um knallharte industriepolitische Interessen«, hat es Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) im Streit mit der EU treffend formuliert.

Das gilt auch für Biokraftstoffe. Die Zwangsquote bescherte Herstellern wie Biopetrol, EOP Biodiesel, Verbio und Cropenergies – einem Tochterunternehmen von Südzucker – Kursgewinne an den Börsen. Dabei sind Biokraftstoffe keineswegs unproblematisch. In Malaysia und Indonesien werden für den Bau von Plantagen für Ölpalmen, aus denen Palmöl gewonnen wird, Regenwälder abgeholzt, was sich bekanntlich auf das Klima auswirkt. Das Soja für Biodiesel stammt größtenteils aus Bra­silien, wo für den Anbau von Nahrungsmitteln Nutzflächen fehlen. Die Herstellung von Biosprit erfordert einen großflächigen Anbau, was wiederum die Tendenz zu landwirtschaftlichen Monokulturen verstärkt, mitsamt den bekannten Folgen: Erosion der Böden, Vergiftung des Grundwassers durch Dünger und Pestizide.

Der UN-Klimarat prognostiziert in seinem neuen Bericht einen durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg von maximal 5,8 Grad bis 2100. Wüsten werden sich ausdehnen und Landschaften werden versteppen, und der steigende Meeresspiegel wird kleinere Inseln und große Küstengebiete überfluten. Hierzulande drohen Orkane, sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen sowie Trockenheit.

Diese Voraussagen sind, um es vorsichtig zu formulieren, in der Tat besorgniserregend. Kein Wunder, dass sich Politiker in aller Welt nach der Veröffentlichung des Berichts bemühten, sich besorgt zu zeigen. Doch ob sie die notwendigen Konse­quenzen daraus ziehen werden und ziehen können, ist fraglich. Sicher ist nur, dass Angela Merkel und andere Befürworter der Atomenergie den Bericht für ihre Zwecke zu nutzen versuchen werden.

Andererseits finden Umweltschützer einen Bündnispartner, wo sie ihn vielleicht nicht unbedingt vermutet hätten: in der Versicherungswirtschaft. Diese warnt schon seit Jahren vor den Folgen des Klimawandels und fordert Gegenmaßnahmen, um ihre absehbaren Verluste zu minimieren. So bietet der Streit um Automotoren und der neue UN-Klimabericht Anschauungsmaterial für eine Kritik der politischen Ökonomie, die eine politische Ökologie einschließt: Unternehmen müssen unter Konkurrenzbedingungen maximal Kapital anhäufen, Branchen kämpfen um ihre Anteile am Profit, der Staat versucht, die Interessen verschiedener Kapitalfraktionen zu vermitteln, und Deutschland macht einmal mehr seine Vormacht in der EU geltend.

Die fortschreitende ökologische Zerstörung, die daraus resultiert und zu der der Klima­wandel beiträgt, widerspricht den Interessen der Menschen an einem gesunden und langen Leben. Millionen werden an den Folgen der klimatischen Veränderungen ster­ben. Einen Vorgeschmack darauf gab der heiße Sommer des Jahres 2003, der allein in Europa Tausende Menschen mit Herz- und Kreislaufschwächen das Leben kostete.

Von Ausnahmen abgesehen, greift die radikale Linke diesen Widerspruch nicht auf. Es gibt immer noch Ignoranten, die einer Entfesselung der Produktivkräfte das Wort reden, oder gar Friedensbewegte und Antiimperialisten, die ein Völkerrecht auf Atom­energie propagieren, seitdem die Klerikalfaschisten in Teheran die Vernichtung Israels vorbereiten.

Dabei ist selbst eine »zivile Nutzung« von Atomenergie – die nicht von einer militärischen getrennt werden kann – vom Abbau des Urans über den unfallfreien Normalbetrieb bis hin zum Atommüll für Menschen gefährlich, weil Radioaktivität freigesetzt wird. Die Linke überlässt den Umweltschutz bürgerlichen Verbänden und Institutionen. Allenfalls die globalisierungskritische Szene befasst sich damit. Aber wer Papiere von Attac liest, fühlt sich an die grünen »Umbauprogramme« der achtziger Jahre erinnert, mit denen die Partei schon ihre Bereitschaft anzeigte, »Regierungsverantwortung« zu übernehmen.

Die großen Umweltverbände leisten punktuell sinnvolle Arbeit, wenn sie etwa gegen einzelne AKW oder Flughafenbauten protestieren, sich gegen die landwirtschaftliche Nutzung der Gentechnik einsetzen oder wenn sie die Verwendung von Solarstrom und Windkraft propagieren. Aber sie lassen sich von den Regierungen einbinden, wie der Rummel um den Umweltgipfel von Rio de Janeiro 1992 und die »Agenda 21« gezeigt haben, die den weiteren Anstieg von Schadstoffen nicht verhindern, sondern zu einem Ablasshandel mit Emissionszertifikaten geführt haben. Diese Verbände begleiten eine staatliche Politik, die bescheidene, kosmetische Maßnahmen wie Katalysatoren und bleifreies Benzin durchsetzen konnte, aber die zerstörerische Gesamttendenz nicht unterbricht. Noch immer sind die Automobil-, die Chemie-, die Mineralöl- und die Atomindus­trie für die Kapitalakkumulation zu wichtig.

Als radikale Ökologen sind in den vergangenen Jahren die Tierrechtler und die Umweltkrieger von »Earth First« aufgetreten. Sie bekämpfen jedoch einen so genannten Anthropozentrismus, den manche auch als Erbe der jüdischen Religion schmähen. Sie wenden sich damit gegen einen universalistischen Humanismus, dem der Mensch als Maß aller Dinge gilt.

Ein solcher Humanismus hingegen müsste im Zentrum einer linken Beschäftigung mit der Öko­logie stehen. Das Gerede von ewigen »natürlichen Ordnungen« und »geschlossenen Naturkreis­läu­fen«, die es nicht gibt, ist reaktionär. Die Stubenfliege spricht von geordneten Umweltverhältnissen, wenn die Katze unter das Sofa kotzt, meinte der Biologe Ludwig Trepl einmal. Hätte der Kli­ma­wandel keine weiteren Folgen, als dass in Groß­bri­tannien der Anbau von Wein möglich wird, wäre dagegen nichts einzuwenden. Es geht nämlich um dem Menschen gemäße ökologische Verhältnisse.

Verschwinden diese in weiten Teilen der Erde, kann die Linke alle Hoffnung auf Emanzipation fahren lassen. Umgekehrt kann dieser zerstörerische Prozess nur aufgehalten werden, wenn die Menschheit ein System überwindet oder zumindest stark beschränkt, dessen Sinn und Zweck die Anhäufung von Kapital und die Maximierung des Profits sind. Dafür wird man Mobilität in einer anderen Form organisieren und nicht nur auf 15-Liter-Wagen für jedermann verzichten müssen, sondern wohl auch auf das Drei-Liter-Auto.