Leugnen ist auch eine Meinung

Die italienische Regierung wollte die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellen. Historiker verhinderten das im Namen der »Freiheit der Forschung«. von federica matteoni

Als Bundesjustizministerin Brigitte Zypries vor zwei Wochen das Vorhaben in Angriff nahm, die Leugnung des Holocaust europaweit unter Strafe zu stellen, gab sie sich zuversichtlich, dass die deutsche Ratspräsidentschaft im kommenden halben Jahr ein Ergebnis erzielen werde. Die Forderung von Zypries ist deutlich: Die Leugnung des Holocaust, die bereits in einigen Mitglieds­staaten unter Strafe steht, soll in allen 27 Ländern der Union mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden. Vor zwei Jahren hatte die Regierung von Silvio Berlusconi mit einem Veto das Vorhaben verhindert, Tatbestände wie Volksverhetzung und die Leugnung des Holocaust in ganz Europa zu verfolgen. Die neue Regierung von Romano Prodi wolle das nicht mehr verhindern, sagte die Ministerin Mitte Januar beim Treffen der europäischen Justizminister in Dresden.

Mit der Einführung von strafrecht­lichen Maßnahmen gegen die Leugnung des Holocaust hat die Regierung Prodi derzeit jedoch eher interne Schwierigkeiten.

In den vergangenen zwei Wochen drehte sich die politische Debatte um einen Gesetzesentwurf von Justizminister Clemente Mastella, der in seiner Originalfassung Strafen bis zu drei Jahren Haft für Holo­caustleugner und Personen, die zum Rassenhass aufrufen, vorsah. Der Entwurf, der nach wenigen Tagen ins Parlament zur Abstimmung kam, ist fast identisch mit dem Original, nur in einem Punkt wurde er verändert: Der explizite Bezug auf die Leugnung des Völkermords an den Juden ist verschwunden. Nach dem »leicht« modifizierten Gesetzesentwurf sollen das Propagieren von Rassenhass sowie diskriminierendes Handeln aus ethnischen, nationalistischen und religiösen Gründen oder wegen sexueller Orientierung mit Haftstrafen bis vier Jahre belegt werden. Ein Verbot des Schürens von Rassenhass, des Aufrufs zu rassistischer Gewalt sowie des Tragens von Hakenkreuzen oder des saluto romano (des Hitler­grußes, für den Mussolini das Copyright beanspruch­te) besteht in Italien seit 1993.

Über die Wirksamkeit dieses Gesetzes sagen die Sprüche auf Transparenten in italienischen Fußballstadien oder die Gesten, mit denen einige Spieler gelegentlich ihre Tore vor laufenden Kameras bejubeln, mehr aus als Statistiken über rechtsextreme Gewalt. Nun werden die Strafen verschärft, und ein Bezug auf die sexuelle Diskriminierung wird eingeführt.

Doch wie kam es, dass die Leugnung des Holocaust aus dem Text des Gesetzes verschwand? Das ist der aufgeregten Reaktion namhafter Historiker, Publizisten und Intellektueller zu verdanken, die genau in diesem Punkt eine »Einschränkung der Freiheit der historischen Forschung« sehen. Innerhalb kürzes­ter Zeit erreichten Vertreter des linksliberalen, katho­lischen sowie konservativen akademischen und intel­lektuellen Milieus einen Konsens gegen das Vorhaben des Ministers. Drei angesehene Historiker und bekannte Holocaust-Forscher, Enzo Traverso, Marcello Flores und Simon Levis Sullam, verfassten ein Manifest, dessen Überschrift lautete: »Gegen Negationismus, für die Freiheit der historischen Forschung«, der in der linkslibera­len Tageszeitung La Repubblica erschien und innerhalb von wenigen Tagen von etwa 200 angesehenen Historikern und Intellektuellen wie Carlo Ginzburg, Paul Ginsborg und Alessandro Portelli unterzeichnet wurde.

Die Verfasser zeigen sich besorgt über einen Gesetzesentwurf, der einen »kulturellen Kampf« durch die Drohung mit einer Gefängnisstrafe ersetze. Die Holocaustleugnung wird zu einem sozialen und kulturellen Phänomen erklärt, das nicht mit Repression, sondern mit »Aufklärung und Erziehung« bekämpft werden müsse. Ein Verbot, so wird argumen­tiert, würde Holocaustleugnern und ihren Theorien nur zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen und ihnen »die Möglichkeit geben, sich als Mär­tyrer der Meinungsfreiheit zu profilieren«.

Dass revisionistisches bzw. negationistisches Gedankengut in Italien auch ohne Verbotsgesetz viel Aufmerksamkeit erregt, dürfte den Verfassern und Unterzeichnern nicht entgangen sein. Gerade in Schulen – dort, wo nach Auffassung der Gegner des Entwurfs der »kulturelle Kampf« ausgetragen werden sollte – betreibt die Rechte derzeit eine offen revisionistische Strategie, mit dem Ziel, das angebliche linke »Monopol« im kollektiven Gedächtnis zu brechen und die Geschichte des Faschismus und des Kriegs aus der Sicht der »Besiegten« zu erzählen.

Das konnte man am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, in Rom be­obachten. Dort organisierten rechte Jugendorganisationen in mehreren Schulen Veranstaltungen über die »Gewalt der Partisanen« gegenüber ehemaligen Vertretern des faschistischen Regimes nach der Befreiung Italiens 1945 oder über faschistische Massaker, von denen eine »eigene Version« präsentiert wird. Diese Initiativen ausschließlich als kulturelles Phänomen zu betrachten, das engagierte Lehrer durch die Vorführung von Filmen wie Steven Spielbergs »Schindlers Liste« oder ähnliches bekämpfen sollten, verkennt die Tatsache, dass die Leugnung des Holocaust in europäischen Ländern zur Strategie von neonazistischen Gruppen gehört.

Die Leugung des Völkermords an den Juden unter Strafe zu stellen, lautet ein weiteres Argument der Verfasser des Manifests, stelle einen Versuch dar, historische Ereignisse zu »Staatswahrheiten« zu machen. Dies sei immer eine Spezialität totalitärer Regimes gewesen. Zudem untermauere ein solches Verbot »die These von der Singularität der Shoah«, die als solche eben nur eine »Meinung« sei und kein Fakt.

Kein Wunder, dass zahlreiche linke Gruppen an diesem Punkt anknüpften, um in Internet-Foren ihr Entsetzen über den Gesetzesentwurf zu verkünden: Die Leugnung des Völkermords an den Juden per Gesetz zu verbieten, stelle die endgültige Legitimierung der Politik Israels gegenüber der palästinensischen Bevölkerung dar. Israel sei sowieso ein Staat, dem aufgrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts »alles« erlaubt sei.

Der Frage, was ein Verbotsgesetz für die Aufarbeitung der Geschichte bringt bzw. ob es jener im Weg stehen kann, wurde von den Historikern in ihrem Dokument nicht nachgegangen. Unter den vielen »Befürchtungen«, mit denen sie ihre Kritik begründeten, fehlte ein wichtiger Punkt: Nicht die Faktizität der Shoah wird durch ein Verbot der Holocaustleugnung zur »Staatswahrheit« gemacht, da sie einfach ein Fakt ist. Vielmehr besteht die Gefahr, dass dadurch offiziell das reine Gewissen der Nation proklamiert und eine Legitimation geschaffen wird, mit der eigenen historischen Vergangenheit abzuschließen.