Sammelbecken des Ungehorsams

In Griechenland wurden mehrere hundert Universitäten besetzt. Grund ist die geplante Hochschulreform der konservativen Regierung. von ralf dreis

Über 300 Hochschulfakultäten waren vergangene Woche in ganz Griechenland besetzt. Zehntausende Demonstranten legten den Verkehr in den Großstädten lahm und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Ein Transpa­rent am geschichtsträchtigen Tor des Polytechnikums in Athen verkündete: »Nein zur Änderung des Artikels 16, Hochschulasyl bleibt!«

Der Anlass der größten studentischen Proteste seit dem Wintersemester 1990/91 ist die geplante Hochschulreform der Bildungsministerin Marietta Gianna­kou-Koutsikou, die unter anderem die Abschaffung des staatlichen Bildungsmonopols und die Einführung privater Hochschulen anstrebt. Da Privat­uni­ver­si­tä­ten nach Artikel 16 der griechischen Verfassung verboten sind, soll dieser geändert werden, was von vielen Studierenden und der Gewerkschaft der Hoch­schulpädagogen strikt abgelehnt wird. Sie kritisieren die angestrebte »Zwei-Klassen-Bildung«, die Kinder reicher Familien begünstige und die Finanzmisere staatlicher Universitäten weiter vergrößere. Daher werden die Rücknahme des Gesetzesentwurfs sowie die drastische Aufstockung der Finanzmittel für Bildung und die Einstellung neuer Lehrkräfte gefordert.

Nur 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden nach Gewerkschaftsangaben für die Bildung verwendet. Mindestens fünf Prozent seien aber notwendig, um an den drastisch unterfinanzierten Hochschulen die angemessene Infrastruktur zu schaffen. Es fehlt an Gebäuden, Laboren, Bibliotheken, Wohnheimen und Geld für die Forschung, jeder vierte Dozent unterrichtet ohne Festanstellung und muss bis zu einem Jahr auf die Überweisung des mageren Gehalts war­ten. Die auch in der Bundesrepublik bekannten Rezepte zur Behebung der Misere, also die Verkürzung der Regelstudienzeit, ein System zur Bewertung der Lehrenden und die stärkere Ausrichtung der Forschung an Wirtschaftsinteressen sind Teil des Gesetzesentwurfs.

Darüber hinaus beinhaltet der Entwurf die vehement von der Polizei geforderte Abschaffung des Hochschulasyls – einer griechischen Besonderheit mit geschichtlichem Hintergrund. Am 17. November 1973 schlug die damals herrschende Obristen-Junta den so genannten Studentenaufstand im Athener Polytechnikum mit Panzern nieder. Noch heute wird an diesem Tag, der mitt­lerweile ein staatlicher Feiertag ist, der Toten des Aufstands gedacht. Die erste linke griechische Regierung in der Geschichte, die nicht durch einen Putsch gestürzt wurde – die Pasok-Regierung 1981 –, erließ vor diesem Hintergrund ein Gesetz, das es der Polizei nur mit Zustim­mung eines Hochschulgremiums, in dem auch Studierende sitzen, erlaubt, Universitätsgelände zu betreten, was einem Verbot gleichkommt.

Das Gesetz sei »nicht mehr zeitgemäß«, da sich die Universitäten zu »Sammelbecken des Ungehorsams« entwickelt hätten, erklärte ein Sprecher der Polizeiführung. Tatsächlich spielen die Hochschulen eine wichtige Rolle in gesellschaftlichen Kämpfen und sind beliebte Rückzugsorte bei Straßenschlachten mit der Polizei.

Die unter Druck stehende konservative Regierung begründet die geplante Reform mit den Anforderungen des so genannten Bologna-Prozesses, der zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums bis zum Jahr 2010 führen soll. Die Reform gehöre zu gesetzlichen Maßnahmen zur »Harmonisierung« der griechischen mit der EU-Gesetzgebung. So gelang es zwar, die sozialdemokratische Pasok einzubinden, die außerparlamentarischen Proteste wurden jedoch nicht schwächer.

Der Regierung sollte es auch zu denken geben, wie erfolgreich die militanten Massenproteste im Winter 1990/91 waren: Sie führten zur Rücknahme einer geplanten Bildungsreform und leiteten das Ende der damaligen konservativen Regierung ein.