Freunde gesucht

Ein Gespräch mit der palästinensischen Politikerin hanan ashrawi

Die frühere Anglistikprofessorin Hanan Ashrawi gehörte Ende der achtziger Jahre zum politischen Komitee der Intifada und war Sprecherin der palästinensischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in Madrid. Zwischen 1996 und 1998 war sie Bildungsministerin, bis sie ihr Amt aus Protest gegen die Korruption der Arafat-Regierung niederlegte. Sie gründete die »Palästinensische Initiative zur Förderung von globalem Dialog und Demokratie« (Miftah) und vertritt die Liste »Der Dritte Weg« im Palästinensischen Legislativrat.

Was sind die Gründe für die Gewalt zwischen der Fatah und der Hamas?

Es geht um politische und ideologische Differenzen, um die unterschiedlichen Auffassungen darüber, wie die israelische Besatzung beendet werden kann. Und es geht schlicht um die Frage, wer in Gaza die Macht hat. Ein besonderes Problem ist dabei, dass die Sicherheitskräfte so stark politisiert sind, dass sie selbst in den Auseinandersetzungen Partei ergreifen, anstatt sie zu beenden. Der Konflikt ist eng mit dem gesellschaftlichen und politischen System Palästinas verbunden, aber auch äußere Faktoren spielen eine Rolle, allen voran die Besatzung.

Aus dem Gaza-Streifen haben sich die Israelis zurückgezogen. Machen es sich palästinensische Politiker nicht zu einfach, wenn sie immer Israel für alle Probleme verantwortlich machen?

Das mache ich doch überhaupt nicht. Ich betone nur, dass man die Probleme der palästinensischen Politik nicht völlig losgelöst von der Besatzung betrachten kann. Israel hat mit seiner Politik der vergangenen Jahre zur Stärkung der Hamas beigetragen, auch durch den einseitigen Rückzug aus dem Gaza-Streifen, der ja, wie wir gesehen haben, nicht dauerhaft war. Mahmoud Abbas wollte, dass sich die Israelis infolge einer Verhandlungslösung zurückziehen, aber weil Israel diesen Schritt einseitig vollzogen hat, konnte die Hamas den Rückzug als Erfolg ihres Kampfes darstellen.

Natürlich hat der Machtkampf in Gaza auch interne Gründe. Die Hamas ist der Auffassung, dass sie mit ihrem Wahlsieg die absolute Macht errungen hat und die Geschichte nach ihrem Belieben bestimmen kann; dass die Geschichte mit dem Tag ihres Wahlsieges von neuem begonnen hat. Auf der anderen Seite steht die Fatah noch immer unter dem Schock ihrer Niederlage, die sie nicht zu akzeptieren bereit ist. Dennoch hoffe ich, dass die Gewalt nun ein Ende findet.

Worauf stützen Sie diese Hoffnung? Bereits in den vergangenen Wochen wurde mehrmals ein Waffenstillstand verkündet, der aber keinen Bestand hatte. Und haben die Führungen der Hamas und der Fatah ihre Organisationen überhaupt unter Kontrolle?

Das wird sich zeigen. Immerhin hat das Abkommen die Gewalt sofort beendet. Jetzt kommt es darauf an, ob in der Folge des Abkommens ein neuer demokratischer Prozess und eine Atmosphäre der Zusammenarbeit entsteht. Es geht darum, Worte in Taten zu übersetzen.

Waren auch die Anhänger der beiden Organisa­tionen an den Auseinandersetzungen beteiligt?

Gewollt und geführt wurden die Kämpfe vor allem von den örtlichen politischen und militärischen Führern. Die Leute hingegen, auch an der Basis der Fatah und der Hamas, sind zornig, viele fühlen sich von beiden Seiten abgestoßen. Ich glaube, dass der Konflikt beiden Parteien geschadet hat.

Eine Patrone für ein Maschinengewehr soll in Gaza acht Dollar kosten …

Ich habe keine Ahnung, was eine Patrone kostet.

Jedenfalls scheint es dafür nicht an Geld zu mangeln. Woher kommt dieses Geld?

Woher die Waffen und die Munition kommen, auf welchem Weg sie ins Land geschmuggelt werden und wer das finanziert, kann ich Ihnen nicht mit Sicherheit sagen. Aber angesichts der Not, an der viele Palästinenser leiden, vor allem in Gaza, wo es den meisten Menschen am allernötigsten fehlt, ist es tragisch, dass die Organisationen so viel Geld für Waffen ausgeben.

Die Hamas wurde auch deshalb gewählt, weil viele Palästinenser die Korruption der Fatah leid waren. Hat die Hamas die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen können?

Ich sehe keine Fortschritte. Auch unter der Hamas ist die Korruption ein großes Problem, noch immer werden öffentliche Ämter nach politischen Kriterien besetzt, noch immer fehlt es an Transparenz und an einer verantwortungsbewussten Politik. Die Situation ist nicht besser geworden, sondern nur komplizierter.

Was erwarten Sie von der gemeinsamen Regierung, die die Fatah und die Hamas zu bilden gedenken?

Sagen wir: Es gibt ein Versprechen. Wir müssen abwarten, ob dieses Versprechen erfüllt wird. Aber bevor wir diese Regierung beurteilen können, müssen wir sie bei der Arbeit sehen, müssen wir abwarten, ob sie ein Programm vorlegt, das den Bedürfnissen der palästinensischen Bevölkerung gerecht wird, und ob sie dazu in der Lage ist, das Programm auch Realität werden zu lassen.

Welche Punkte müsste ein solches Programm enthalten?

Wir müssen das palästinensische nation building voranbringen. Wir müssen funktionierende staatliche Institutionen aufbauen, rechtsstaatliche Strukturen schaffen, die Sicherheitskräfte reformieren und einen Ausweg aus dem ökonomischen Chaos finden. Und natürlich eine Politik entwickeln, die den Anforderungen der internationalen Gemeinschaft gerecht wird. Nichts davon ist einfach, aber eine Regierung der Nationalen Einheit wird sich daran messen lassen müssen, ob sie in diesen Punkten Fortschritte erzielt.

Es ist kaum vorstellbar, dass diese Regierung zum Frieden beitragen kann, solange ein Teil von ihr, nämlich die Hamas, Israel nicht anerkennt.

Die entscheidenden Verhandlungen geführt und die Abkommen unterzeichnet hat bislang die PLO, nicht die palästinensische Regierung. Grundsätzlich glaube ich jedoch, dass die Hamas zu einer pragmatischeren Politik finden kann. Dafür müsste allerdings auch die israelische Seite ihren Beitrag leisten. Denn als den Israelis mit Abbas ein verhandlungswilliger Partner gegenüberstand, haben sie nicht verhandelt, sondern auf eine einseitige Politik vertraut. Das war fatal. Denn aus einer Position der Stärke zu versuchen, den dauerhaften Status zu diktieren, ist ein Weg, der direkt ins Desaster führt.

Sind Verhandlungen unmöglich, solange die Terroranschläge fortdauern?

Das ist die israelische Ansicht, aber sie ist kurzsichtig. Sie können die Gewalt nur beenden, wenn Sie ihre Ursachen beenden. Nicht stärkere Repression und einseitige Maßnahmen werden die Gewalt verringern, sondern glaubhafte Fortschritte im Friedensprozess.

Der wachsende Einfluss des Iran auf die Hamas spricht eher für eine Radikalisierung denn für eine Mäßigung.

Ich denke, dass dies auch eine Folge der Politik der internationalen Gemeinschaft ist. Zugleich denke ich, dass Palästina keiner internationalen Achse angehören und keine Einmischungen von außen zulassen sollte. Um die palästinensische Frage zu lösen, brauchen wir so viele Freunde in der Welt wie möglich. Wir brauchen gute Beziehungen ins Ausland, aber keine engen Bündnisse, die uns schaden können.

Brauchen Sie auch Freunde in Teheran?

Ich sage doch: Palästina darf keiner interna­tionalen Achse angehören, am wenigsten dieser.

interview: deniz yücel