14.02.2007

Mara Kogoj

Über die Gegenwart der NS-Vergangenheit in Kärnten. Ein Auszug aus dem gleichnamigen Roman von Kevin Vennemann.

Aufgetaucht und zum dritten Mal aufgetaucht sprang Mara Kogoj an mir vorbei aus der Bürotür in den Flur eines Frühmorgens, kaum dass ich eingetreten war, auf meinem Schreibtisch ein Papier Kogojs Einladung zu einem zweiten Besuch: Setz dich zu mir zum diesjährigen Treffen unter dem Stahlkreuz am siebzehnten neunten schon: zwei zusätzliche Stimmen. Mara Kogoj neben mir im harten Herbstmorgenlicht auf ihrer Terrasse unter einer Decke sie wandte sich ab stand auf, berührte im Gehen mit der Hand meinen Hinterkopf, ging durch die Terrassentür in die Wohnung, die sich öffnende Kühlschranktür und Mara Kogoj: Kaffee einschüttend, Mara Kogoj mit einer Haarsträhne vor ihrem Gesicht an einer Zigarettenschachtel nestelnd, Mara Kogoj ohne Antwort, ich nun als einziger von uns beiden: ohne jede Bedenken verblieben vermutlich ein trostloses Bild und Mara Kogojs so sehr genaue Beschäftigung seit Jahrzehnten offensichtlich schon mit dem, was geschieht unter dem Stahlkreuz Jahr für Jahr, gewusst hatte ich davon nichts, im Gegenteil: Niemals hätte ich damit gerechnet.

Mara Kogoj, die Haarsträhne aus ihrem Gesicht streichend erklärte mir, was sie vorhatte warum sie da war anstatt irgendwo anders und ich es neben ihr sein sollte und längst hätte müssen, Mara Kogoj: Jedes Jahr und einmal im Jahr dasselbe von Jahr zu Jahr mit deinen Worten: der Klang schneller und schneller wieder erkennbar die ewig selbe Melodie unter dem Stahlkreuz aus den ewig gleich berechneten verlogenen Botschaften: Militärkommandant von Kärnten Anton Holzinger zum Beispiel, der schon am vierten Oktober neunzehnhundertneunundfünfzig sicher war, dass die Tragik des österreichischen Soldaten sei, dass ihm trotz zweier großer Kriege nur wenig gedankt worden sei. Oder Hauptmann außer Dienst Abwehrkämpfer Karl Fritz, der am zweiten Oktober neunzehnhundertsechzig feststellen konnte, dass der Abwehrkampf neunzehnhundertzwanzig die Abstimmung mit den Stimmzetteln erzwungen habe, was uns Heutigen ein Trost sein möchte, denn Ideen mit Wahrheitsgehalt setzten sich immer durch. Oder Bürgermeister und zugleich Bundesminister für Landesverteidigung Doktor Karl Schleinzer, der am sechsten Oktober neunzehnhundertdreiundsechzig inbrünstig darauf hoffte, dass: Gott uns davor schützen möge, dass es im Ernstfall zu wenig Männer gibt, die bereit sind, für das Vaterland einzutreten.

Oder der Kärntner Landesrat Herbert Bacher, der am vierten zehnten neunzehnhunderteinundachtzig befand, es sei unverständlich, dass Teilnehmer an solchen Dank- und Totengedenkfeiern immer wieder von linksextremen Organisationen, die selbst der Humanität mit ihrer Faust ins Gesicht schlügen, als Faschisten und Neonazis bezeichnet würden, denn gerade die Heimkehrer seien es doch gewesen, die zuerst mit Spott bedacht worden und dennoch als erste darangegangen seien, unsere Heimat wiederaufzubauen und die Grundlagen für unsere heutige Demokratie zu schaffen. Ihre Arbeit habe Anerkennung bei den Siegermächten gefunden durch die Anerkennung des Staatsvertrags. Gehorsam, Pflichterfüllung und Korrektheit seien die Leitlinien dieser ehemaligen Soldaten und Heimkehrer, die bei ihnen im Gegensatz zu den linken Brüdern auch heute noch Geltung hätten.

Der Ulrichsberg

Oder Georg Schmayer Junior, der am dritten zehnten neunzehnhundertzweiundachtzig darauf hinwies, dass: wir Jungen die Aufgabe hätten, an dem vereinten Eu­ropa weiterzubauen, dessen Grundstein jene gelegt hätten, derer auf dem Ulrichsberg gedacht würde, und das Erbe zu übernehmen und zu bewahren und es weiter zu tragen, und Nationalsratsabgeordneter außer Dienst und Präsident des österreichischen Kameradschaftsbundes Otto Keiml, der am sechsten zehnten neunzehnhundertsechsundneunzig davon sprach, dass man die Gedenkstätte im neunundfünfziger Jahr eingeweiht habe, zu einer Zeit: in der freie demokratische Staaten des Westens von den waffenstarrenden kommunistischen Mächten mit dem erklärten Ziel der Weltherrschaft bedroht worden seien.

Stellenweise leichte Auflockerungen während der vergangenen Jahre, erklärte Kogoj: Wenn auch mit der Einladung an den umtriebigen Obmann des KAB in diesem Jahr ein Signal gegen jede Auflockerung gesetzt und damit ein weiterer passender Faden in den über die Jahrzehnte dicht gewobenen Klangteppich gesponnen worden sein soll: verknüpft mit sich unter dem Jahr jeweils nur leicht tagesaktuell und je nach Bedarf entwickelnden Strophen der ewig selben Melodie: die übergroße Liebe zur Kärntner Heimat und zum Kärntner Lied, hier sucht und findet sich beides: Hand in Hand den Weg zu einer Hymne zu gehen, die so lange gesungen werden muss, bis niemand mehr ihre Melodie vergisst verwechselt oder gar etwas anderes zu singen sich traut, und Kogoj: Was ich weiß aus der Musik: Dass durch die autoritäre Wiederholung einer nicht existenten Wahrheit die Hörenden zum Narren gehalten werden. Sie sollen sich identifizieren. Zugleich aber belehre sie das stampfende Ganze eines Schlechteren, der Unabänderlichkeit.

Sie müssen sich fügen, und solch gemeinschaftliches Singen und Lügen als: kollektiver Verdrängungsmechanismus, und: zwei große Gefahren für dich und uns als Tonbänder und Stille, die ganz gut fahren, solange sie sich nicht im geringsten bewusst sind und Stille ganz allein, wo nichts passiert, Kogoj: Das hättest auch du ein wenig mehr als einfach nur wissen können. Mara mit demjenigen so direkt vor Augen, was geschehen könnte währenddessen gesagt werden könnte im selben Moment uns gegenüber in der Ferne beim: Heimkehrertreffen unter dem Stahlkreuz, wir saßen daneben und in Decken gehüllt taten- und hilflos gegen das Singen im heimattreuen Chorgestühl sahen zu beobachteten von Kogojs Terrasse aus, nichts weiter, und Kogoj: Sprich es doch aus, sagt sie: SS- und Waffen-SS- sowie Wehrmachtssoldatenveteranen- anstatt einfach nur: Heimkehrertreffen, die einen sagen zwar dies, die anderen wie immer das, richtig wäre: mit dem: Ehrenschutz der Landesregierung sowie im ideellen Beisein bis vor gar nicht allzu langer Zeit nachweislich jährlich breitester Bevölkerungsschichten, den Schutz großer Teile der Landespolitik hat es nach wie vor sicher, lange Zeit auch denjenigen der überregionalen Bundespolitik, womöglich noch heute, September zweitausendsechs: Wer weiß das schon, was ich nun sicher zu glauben weiß: Rudolf Gallob, Präsident der Ulrichsberggemeinschaft, sozialdemokratischer Landeshauptmann-Stellvertreter außer Dienst, der zur, sehr vorsichtig gesagt: ansatzweise umsichtigen Festrede des Landesrats Doktor Josef Martinz am achtzehnten neunten zweitausendfünf Zeugenberichten zufolge etwas nachzutragen hatte, nachdem schon während der Rede große Teile derjenigen Besucher, die sich über Martinz’ allzu reflektierte Worte empörten, das Festzelt verlassen hatten.

Nachzutragen soll Gallob gehabt haben, dass er: namens der Ulrichsberggemeinschaft eine Erklärung abgeben wolle, weil man: in einem ganz kurzen Bereich des Referates des Festredners im Widerspruch zu ihm stehe, dieser Widerspruch war angeblich, erklärt Kogoj, du kannst es dir denken: der Grund, warum die hinteren Besucherreihen das Zelt verlassen hatten. Anders als Martinz mache man nämlich zwischen der Totenkopf-SS und den Soldaten der Waffen-SS einen Unterschied, was jetzt kein Vorwurf sei, sondern nur eine Klarstellung, weil: die ehemaligen Teilnehmer der Waffen-SS seien Soldaten und sie seien am Ulrichsberg gerne willkommen, Kogoj: Zu diesem Zeitpunkt vermutlich vor dem Festzelt versammelt, Kogoj: Warum sprichst du es nicht aus. Zu Lebonjas Überraschung befreie ich mich seit Jahrzehnten schon in noch jedem Jahr wenn möglich und nötig an diesem einen Tag sowohl von der Arbeit als auch allen sonstigen in eine andere, an diesem Tag vernachlässigbare Richtung weisenden Verpflichtungen, damit sie nicht abgelenkt sei, erklärte Mara Kogoj: Von und mit ganz anderen Dingen, um konzentrierter und überhaupt einmal konzentriert zu sein auf das, was vor sich geht: an diesem Tag auf dieses Treffen allein und auf all das, was es bedeutet, Kogoj: An dem sie nicht teilnehme und teilnehme schon weil und indem sie nur da sei oder ganz woanders, Kogoj: Keineswegs ausschließlich als wie stark und bewusst nun auch immer sich identifizierende Nachfahre einer kärntner­slowenischen Familie.

Was interessiere sie das schon, habe sie weiter oben etwa von unweigerlich verpflichtenden Gebürtigkeiten geredet, Kogoj: Habe ich das. Ich nehme es zurück so ein Quatsch, eine Erfindung, vielmehr: An dem ich notwendig teilnehme auf die ein oder andere mehr oder weniger abstrakte Weise mein gesamtes Leben lang schon aufgrund bloßer Anwesenheit, so einfach: du ganz genauso. Ob du es nun willst oder lediglich ahnst oder keines von beidem, einundsechzig Jahre in deinem Fall, seit zweiundsechzig Jahren in jenem Kogojs in der: Ahnung, dass keine einzige Verbesserung eines Zustandes vermeintlich vergangene: Schimpflichkeiten, selbst wenn durch Belehrung und Einsicht inzwischen geschwunden, jemals loslassen hingegen immerzu festhalten und durch Fortbestehen der Worte jederzeit wieder möglich machen wird. Solange die Sprache unverändert ist und der Blick, ausnahmsweise zurück, nichts anderes sieht als immer sich selber, der Blick zum Berg hinauf als ein einzelnes Beispiel unter so vielen anderen auch nach Jahrzehnten nichts weiter entdeckt als eine Ruine einen hellgrauen Fleck, ein wunderschönes Ausflugsziel in der Ferne, Umrisse allenfalls, unsere Vorstellung von Stahlkreuz Kapelle Ehrenhain Schatten und Schwärze, Schemen, das Stahlkreuz vielleicht aus dem Hörensagenwissen, dass es da ist, Kogoj: Aber Ahnen und Wissen. Zufällig Schemen nur auszumachen und Details zu erkennen, erkennen zu wollen: sind so sehr verschiedene Dinge.

Die Details

Neu daher jetzt: Nicht länger Aussage und Abbild, sondern ein Verhalten zur Realität: aus den Schemen Details werden und bleiben zu lassen, damit uns die Ereignisse nicht entgleiten, wenn wir schon nicht verkraften, sie abzuschaffen zu versuchen, sie sah mich an: Versteifungen also, um ein vollständiges Entgleiten nach Möglichkeit zu verhindern, die mich angesichts dessen, was noch immer geschieht und geschehen kann, in jedem Oktober völlig einnehmen, soweit ich zurückdenken kann, das wusstest du noch nicht, und das hier ebenso wenig: seit zweitausendvier nun gerne auch schon im September, wenn es denn sein muss, so dass ich die vollkommen Desinteressierte nur mit größter Anstrengung spielen kann einen Monat lang die scheinbar Unberührte, um momentweise zu entkrampfen, vier Wochen lang.

In diesem Jahr hat es nicht funktioniert. Mein Rückzug ansonsten über die Jahre das jeweils restliche Jahr: keineswegs freiwillig, sondern im Wissen um Verkrampfung Lähmung Ohnmacht bei zu großer Nähe einerseits: Was nützt der Blick zurück, wenn Empathie das einzig Abrufbare bleibt und Empathie auch niemals etwas anderes sein soll: um den Blick zurück zu sichern, damit er vorzeigbar wird und jedwede Konsequenz aus Belehrung und Einsicht zu verhindern: um das Fortbestehen jedes einzelnen Worts zu gewährleisten, denn dieselben Worte werden auch weiterhin benötigt, wie wir wissen: Heutzutage läuft alles auf die Empfehlung heraus, durchs Vermeiden der Reflexion eben jenen traditionell vorgegebenen Stoffen und Formkategorien sich zu beugen, welche dahin sind, Kogoj: Heißt es im Rahmen einiger in vielerlei Hinsicht gewinnbringender sozialforschender Überlegungen zur Musik, wo wir schon einmal dabei sind, die solltest du mal lesen, ich brauche nichts sonst, aber Kogoj: Dahin sein sollten, müsste man vielleicht korrigieren, aber niemals sind.

Worum es mir bisher gegangen ist: das Wagnis einmal wenigstens im Jahr einen Monat lang mit größtmöglicher Distanz nah genug dran zu sein, dabei nicht zugrunde zu gehen und mir trotzdem bewusst zu bleiben. Aber solche Versteifungen über nur einen Monat, das ist auf ewig zu wenig: eine Erkenntnis aus dem Dezember und den Umwegen seitdem: schon immer zu wenig gewesen, und Kogoj: Das wird jetzt anders, weil wir da sind auch und gerade als immerzu reglos Anwesende, und das muss auch so sein, Kogoj: Schon weil wir nebeneinander dasitzen, frühstücken in aller Ruhe und das auch mit grundsätzlich bestem Recht, um die Schemen längst wissen um einige Andeutungen. Über Schemen allerdings und Andeutungen lässt sich so einfach hinwegsehen, Mara Kogoj: Hier die Details nur für dich, damit endlich auch du weißt jenseits deiner Begriffe, womit du es hier wirklich zu tun hast.

Darunter nicht eine einzige Erkenntnis, die nicht schon längst bekannt wäre nahezu überall und täglich wiederholt wird immer wieder, wer kann nun all das schon noch hören, Kogoj: Aber wird es deshalb je weniger wichtig. Kogoj: Hier die Details: Das Innere der Kapelle ist, das wissen wir schon, für Privatpersonen heute unter dem Jahr nicht mehr zu betreten, während der Oktober, inzwischen Septemberfeierlichkeiten offenbart es sich: unter dem zu Teilen noch erhaltenen Kuppeldach ein schlichtes Birkenkreuz als Altar vor einem stilisierten Soldatengrab, der Rückraum ist mit einigen Tafeln ausgekleidet, in die die Opferzahlen der drei grandiosesten Daten der heldenhaften Verteidigung von Heimat und Liedgut gegen den blutrünstigen Rest der Welt eingraviert sind: des Abwehrkampfes neunzehnhundertneunzehn sowie des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Über dem Eingang des nach oben offenen Längsschiffs der selbstverständlich unverstellte Blick auf das Relief: Kameraden, eine Arbeit des andernorts frisch entproblematisierten: Reichsstukkateurs Arno Breker, Mara Kogoj: Ein grässlich viel sagendes Prachtexemplar nationalsozialistischer Widerästhetik, der Großteil des übrigen Platzes an den Wänden ist mit Tafeln und Gruß, Gedenk- und Freundschaftsbotschaften etlicher zwielichtiger, teilweise an die Ulrichsberggemeinschaft angeschlossener beziehungsweise mit ihr kooperierender Organisationen belegt.

Sie liefern in summa eine Art Subtext: die eigentliche Aussage dessen, was in den Festreden und Pressemitteilungen immer wieder nur halb so drastisch wenn auch so schon ausreichend ekelhaft klingt. Was bei den Treffen wirklich gesagt wird, woran man hier oben wirklich ist, vor welchem Hintergrund noch jede einzelne der Reden gesehen werden muss, ohne welchen Hintergrund die Reden hoffnungslos unvollständig sind, nachdem man sie für den Rundfunk und die Zeitungen so gerade eben in einen legalen Rahmen gequetscht hat, ist zu erfahren, wenn man etwas genauer hin- und sich die Tafeln ansieht.

Die Details. Dass es sie gibt und noch immer geben kann, sagt vermutlich das meiste über den Zustand eines Konsensgedächtnisses, das für Details und Genauigkeit und Beweise und Tiefe nicht viel übrig hat, Mara Kogoj: Für Mythologie und Lügen hingegen: alles, Kogoj: Ich habe ein wenig recherchiert, Tübinger Methode: oberflächlich, zugegeben: ungenau, Kogoj: Ich habe nicht einmal lange suchen müssen und der Methode entsprechend nur auf ein Ziel hin gesucht und natürlich nur das gefunden, was zum Ziel passt, nichts weiter, und Kogoj: Ich habe gesucht nach dem, was man wissen muss über die Absender, um einen Eindruck von der Art ihrer Grußbotschaften zu erhalten, von dem zugleich, was in den Reden nun eigentlich geschrieben steht, und Kogoj: Ohne jede Gewähr, sie erklärte: Die Widmungstafel der Kameradschaft IV erinnere an eine rechtsextreme Veteranenorganisation ehemaliger Waffen-SSler, die die Waffen-SS zum vierten Wehrmachtsteil und damit für vermeintlich unbedenklich erklärt, Kogoj: Erneut das Wissen also immerhin um die eigene Bedenklichkeit, Kogoj: Daher auch der Name, dennoch: wiederholte Glorifizierung der SS, Verharmlosung des Nationalsozialismus im schon erwähnten vereinseigenen Heft: Die Kameradschaft, Mitbegründung der Ulrichsberggemeinschaft und Organisation des traditionellen Krumpendorfer Treffens am Tag vor den Ulrichsbergfeiern, bei dem der rhetorische Filter aus, die eigentlichen Aussagen unvermittelt angeschaltet werden dürfen vor prominenten Politikern und: Rechtsextremen aus ganz Europa, die gerne immer wieder herkämen, der bis heute und gerade eben erst wieder Schlagzeilen machende ehemalige Däne Søren Kam als vielleicht bekanntestes Beispiel, der als längst bereits bundesdeutscher Staatsbürger nicht ausgeliefert und sich daher wohl nie mehr für seine Morde als SSler vor Gericht zu verantworten haben wird,

Kogoj: Auf der östlichen Längsseite eindeutig, auch wenn hier die SS-Runen fehlen: die Widmungstafel der anscheinend ungestört den Ulrichsberg besuchenden ehemaligen Angehörigen der SS-ärztlichen Akademie Berlin-Graz, Kogoj: Aus deren Korrespondenz mit der Administration des Konzentrationslagers Mauthausen soll hervorgehen, dass die Akademie an ermordeten Mauthausener KZ-Häftlingen: geforscht habe, Kogoj: Das hier ist der Brief dazu, hör gut zu: In der Anlage übersende ich zwölf Photographien des Juden, dessen Skelett Sie jetzt besitzen. Ich bitte, diese Photographien absolut vertraulich zu behandeln. Beiliegende Rechnung bitte ich, unmittelbar erledigen zu wollen. Mauthausen, einundzwanzigster Juli neunzehnhundertdreiundvierzig, Kogoj: Mit der: Lettischen Tafel und dem lettischen SS-Abzeichen wolle an sechzigtausend gefallene lettische SS-Mitglieder erinnert werden, die die Shoah in Lettland mit vorangetrieben haben, der mehr als neunzig Prozent der dortigen jüdischen Bevölkerung zum Opfer gefallen waren. Auch heute noch sollen sich jährlich im März Angehörige der Legion treffen, um durch Riga zu marschieren.

Eine Tafel des KAB natürlich, inzwischen endgültig nur noch aus Nachgeborenen bestehend: Der letzte originale Abwehrkämpfer soll im letzten Jahr verstorben sein. Sowohl der KAB als auch der Kärntner Heimatdienst (KHD), Österreichs: größte parteifreie patriotische Bürgerinitiative, werden vom: Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus als: rechtsextrem eingestuft, zwei gute Beispiele dafür, wie weit mit beiden Organisationen verbundene Anliegen in unbestreitbar bürgerlichdemokratische Rahmenkonstrukte eingebettet sind und von dort aus die Begriffe gründlich durcheinanderbringen.

Die Dankestafel an die Garnisonsstadt Klagenfurt erinnere an eine: SS-Kaserne nahe Klagenfurt samt SS-Junkerschulen und Elite-Schule für SS-Offiziersanwärter sowie angeblich auch einem: Außenkommando des Konzentrationslagers Mauthausen. Auf drei Tafeln soll sich ein: Dank an die Garnisonsstadt Klagenfurt finden, die erste zudem mit dem abgewandelten SS-Spruch: Des Soldaten Ehre ist seine Treue, verziert sein, Kogoj: Ehemalige Mitglieder der Waffen-SS können sich hier demnach in aller Ruhe an ihre glorreiche Zeit in Klagenfurt erinnern, Kogoj: Nur ein Ausschnitt bis hierher und einige Beispiele, Kogoj: Es gibt noch weitere, ähnliche Tafeln, bis hierher nur für den Moment.

Heimatschutz

Ich fasse dennoch zusammen, ein Überblick, die Details: In den Festreden des Ulrichsbergtreffens, in Renchers Dokumentation und in Erich Kunschkes Heftchen zum fünfundzwanzigsten Jubiläum der Gedenkstätte neunzehnhundertvierundachtzig ist fast ausschließlich von: Soldaten die Rede. Auch aus gelegentlich biographischen Informationen zu erwähnten beteiligten Personen entnimmt man ebenfalls kaum mehr als diese Information: Soldaten, wo, wann, unter welchem Kommando sie was nun wirklich wie getrieben haben, behalten sie aus guten Gründen vermutlich lieber für sich, keinerlei aufwändige Differenzierungen: Soldaten, nichts weiter, Kameraden, Kameradschaft als: positives Legitimationsmoment, bedingungsloses Einstehen für den Nächsten, Selbstlosigkeit, Aufopferung auf zweierlei kameradschaftlichen Ebenen: von Mann zu Mann im Schlachtfeld, und nach der Niederlage erfolgt die Verlagerung ins Überindividuelle und in die ungebrochen anhaltende Schlacht des zusammenrückenden Volkes mit anderen Mitteln um seine Heimat, Kogoj: Abgesteckt und geprüft werden muss im Zuge dessen ganz genau, wer überhaupt als Kamerad in Frage kommt, und wer ganz sicher nicht: Soldaten und Kameraden, nichts weiter.

Die Totenkopf-SS, Kogoj: Eine Ausnahme, wer weiß, ob nicht vielleicht für Gallob allein, all das, Kogoj: Die Ineinssetzung verschiedenster militärischer Verbände und deren Geschichten zu einer einzigen homogenen Gemeinschaft mit nur einem und dem ewig gleichen Ziel lässt sich über einen wesentlich kürzeren Umweg pauschal entschuldigen, und diese Entschuldigung: ein Paradebeispiel deiner: mechanisierten Kunstware, ein Reflex und ein Abbild, allerhöchstens: Fotografie, wenn man so will, keine weiteren Fragen je und niemals ein Hintergrund: Die systematische Stilisierung dieser einen Gruppe zu lediglich pflichtbewussten und ehrbaren Opfern einer ganzen Reihe schwer bis gar nicht durchschaubarer höherer politischer Machenschaften, deren Fehler und Machtgier wegen nicht eine einzige seiner Taten einem einfachen Soldaten angerechnet werden dürfe, geschweige denn als Verbrechen.

Der einfache Soldat als willenloser Befehlsempfänger, alle Schuld: dort oben, Kogoj: Nichts Neues, wer je anderes behauptet, begehe das eigentliche Verbrechen an Volk Nation Gedenken verdienstvoller Gefallener: Soldaten, allesamt gefallen für den europaweiten Frieden der Zukunft, ein harmonisches Bild aller Beteiligten, völlige Ausgewogenheit jener wenigen homogenen Blicke zurück: kein nationalsozialistisches Terrorsystem, keine umfangreiche Kollaboration Partizipation der Bevölkerungen an diesem Terror, wie wir wissen: kein Weltkrieg, kein Massenmord, sprachliche Ausblendung jeglicher deutschen Schuld: Kriegs­niederlage, Schuld, industrieller Massenmord, Deportationen, Enteignungen, Angriffskrieg, Vernichtung der Zivilbevölkerungen, Shoah sind und bleiben offenbar Illusionen, Kunschke als Beispiel: Dass der Ulrichsberg im deutschsprachigen Raum wohl das erste Mahnmal an den totalen Krieg sei, der nicht nur Soldaten verschlungen habe. Dass das: Gedenken am Ulrichsberg auch den Opfern des Bombenkrieges, den Millionen, die nach dem Krieg Opfer des Hasses wurden, gelte, dass es: auch den Müttern und Frauen gelte, die ihre Söhne und Männer verloren haben.

Hingegen Nächstenliebe Heimatschutz Wiederaufbau dessen, was trotz aller liebenden Anstrengungen, meint: Angriffskrieg und Massenmord, nicht zu schützen gewesen war. Diese Umwertung der NS-Geschichte: Teil der größtflächigen Rehabilitierungs- und Idealisierungsbemühungen der Täter, die niemals etwas anderes gewesen sind als pflichtbewusst und Heimat liebend, der Blick zurück als ein Blick auf eine Blumenwiese mit Grabkreuzen, wer sie aus welchen Gründen auch immer umzugraben wagt: Feind, wer dies wiederum kritisiert: Verräter. Klare und niemals aufzuweichende Feindbilder, Kogoj: Sehr wichtig.

Die Heimkehrergeneration als Personifizierung dieses Vorgehens und seiner mühevollen Rettung ins neue Jahrtausend hinein setzt sich aus glücklich früh wie Pflüglers Vater wie auch aus sehr spät aus Krieg und Gefangenschaft Zurückgekehrten wie seinem Onkel zusammen, inzwischen aber auch und besonders aus Nachgeborenen, die sich in der flüssigen Nachfolge sehen beider Gruppen, auch der Abwehrkämpfer, und beider Aufgaben und Paranoia: eine möglichst eindeutig deutsch dominierte Heimat seit jeher schützen zu müssen gegen vermeintliche Einflussnahmen und Fremdbestimmungsbedürfnisse, Kogoj: Siehe Pflüglers Erwähnung des Schulstreiks, Kogoj: Das hast du nicht gesehen, du schreibst: Auf die Frage, warum man sich so sehr gewehrt habe gegen das Erlernen des Slowenischen, weiß Pflügler nichts zu antworten als: man habe diese Sprache nicht gewollt. Aber warum, und Pflügler: Man habe sie nicht gewollt. Ganz einfach, notiert hast du: Identifikation mit ausschließlich dem, was hier ist und jetzt, es wird notfalls für dauerhaft erklärt, sobald diese Identifikation bequem erscheint, Kogoj: Viel einfacher.

Warum sonst wenn nicht aufgrund der eigenen pathologisch-hysterischen Panik, die allumfassende Ausschließlichkeit des Deutschtums und seiner Insignien könnte durch eine zweite Landessprache eingeschränkt werden, sollte man sich gegen den frühen Erwerb einer zweiten Sprache wehren wollen und so sehr überzeugt davon sein, sich mit allen Mitteln nach innen und außen soldatisch schützen zu müssen und dürfen, um die: Schicksalsgemeinschaft zu bewahren, ihr Schicksal: unablässig bedroht zu werden in ihrem Zusammenhalt, ihr Gegenmittel: nach außen hin Kameradschaft auf Volksebene, von der Kunschke im Schützengraben beschreibt, dass sie: das schwer beschreibbare Gefühl eines aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissenen Individuums ausmache, welches sich in einer neuen Situation oder einer Gefahr an seinesgleichen anschließe und nun in dieser Gemeinschaft von Schicksalsgefährten Halt, Trost und Sicherheit finde.

Der: Haufen werde zur Heimat, die: Gruppe, die Panzerbesatzung, die Kompanie, die Staffel, das Boot würden zu einer psychologischen Insel im Meer der Vernichtung, Kogoj: Ob derlei schon nur mehr zynisch sei, oder der Autor wirklich nicht die geringste Ahnung davon hat, was er hier wie sehr verdreht, Kogoj: Auf Volks- und Soldatenebene: Täter gleich hilf-, selbstlose Kameraden, die abstrakte, niemals genauer bestimmte Feindmasse wird prophylaktisch angegriffen, eine unsichtbare ewige Bedrohung aus der Ferne, so wenig zu fassen wie zu definieren, Kogoj: Jede genauere Bestimmung würde Hintergründe verlangen, Erklärungen und unter Druck: die Verschiebung des Märchens in die Wissenschaftlichkeit, und Kogoj: Eine Frage der Angst, deren Forderung: ihre Urheber gründlich aus allen behaupteten Wegen zur Freiheit zu räumen, Kogoj: Freiheit: klar gezogene, ewig unverrückbare Identitätsgrenzen im Innern, Kogoj: Die mit Blut geschriebene Grenze gen Süden nach außen, Kogoj: Und genau hier kommen die Kärntner Slowenen ins Spiel.

Du und ich unter anderen, hätten wir je viel Wert auf irgendein Attribut gelegt, jetzt zeigt sich, wie alles zusammenhängt: Mit der oktroyierten Verfassung vom April achtzehnhundertachtundvierzig, Kogoj: Sehr verkürzt: wurde das Bedürfnis Österreich-Ungarns, wieder Ruhe einkehren zu lassen in den chaotischen Vielvölkerstaat und auf diesem Weg so viele nationale Bedürfnisse wie möglich zu befrieden, damit auch Ruhe bleibe, Gesetz: die formalrechtliche Gleichberechtigung aller Nationen und Sprachen, sogar der Religionen im Reich. Diese Entwicklung musste den deutschen Kärntnern als Herausforderung gelten, ihre bis dahin doch weitestgehend unangefochtene Vorrangstellung im Land vor der einheimischen slowenischen Volksgruppe gegen deren etwaige Einforderung ihrer ihnen nun sogar gesetzlich zugestandenen und damit unleugbaren Gleichberechtigung zu erhalten, sogar ausbauen zu wollen.

Deutsche Lehrmeister

Ein primär wirtschaftliches Bedürfnis: Seit Jahrhunderten hatten die deutschsprachigen Oberschichten das landwirtschaftliche Potenzial des Unterlandes und damit auch die Arbeitskraft der dort beheimateten slowenischen Bevölkerung auszunutzen und so die Heranbildung einer slowenischen Oberschicht als einer für sie gefährlichen Konkurrenz zu verhindern vermocht. Ein uraltes Kräfteverhältnis also, das sich auch in der Sprache spiegelte: Deutsch in den Städten, auf der Straße, auf den Ämtern, im Geschäft, war fein, höherwertig, gebildet, verwies auf politisch-gesellschaftliche Kompetenz. Slowenisch war hinterwälderisch, armselig, primitiv, sprach man nur zu Hause, wenn überhaupt, auf dem Feld, im Wald.

Dieses Verhältnis wurde nun pseudobiologisch begründet, um es gegen slowenische Emanzipationsbestrebungen erhalten zu können, Ergebnis: die Naturerklärung von der Einheit des Landes und den jeweiligen natürlichen Funktionen und Eigenschaften seiner beiden Völker. Derlei klingt in Pflüglers Gerede an, wenn er von deutschen Lehrmeistern der Slowenen spricht. Theoretische Verdrängung alles Slowenischen und der slowenischen Sprache als des sichtbarsten Zeichens slowenischer, Kogoj: Oder generell: anderer Kulturgüter ins Versteckte, Private. Da aber, nach achtzehnhundertachtundvierzig diese These von der natürlichen Einheit des Landes nicht mehr allseits freiwillig erfüllt wurde und diese Verweigerung nun sogar ein verbürgtes Recht war, mussten Einzelne dazu erstens gezwungen werden, um das: natürliche Gleichgewicht zwischen den Volksgruppen nicht zu gefährden, und zweitens derlei Störungen auf äußere Verführungen zurückgeführt werden, denn auszugehen musste davon sein, dass sich im Inneren alle ihrer jeweiligen Rolle qua Naturgesetz ursprünglich bewusst sind.

Äußere Bedrohungen und Unruhestifter waren schnell ausgemacht: die zunehmend nationalbewussten Slowenen im Krain, später der SHS-Staat, noch später das kommunistische Jugoslawien, heute wieder Slowenien, gerne all dies wild zusammengepanscht zur Illusion der andauernden Bedrohung durch einen: spezifisch südslawischen Kommunismus, der nie etwas anderes im Visier habe als der deutschen Kärntner Heimat ihre Slowenen und ihr Unterland abspenstig zu machen, den Deutschen damit sowohl Angst als auch Negativspiegel und untergeordnete Volksgruppe, letztlich: die unumschränkte Herrschaft, zu rauben, eine einfache Rechnung: Gilt der Mehrheit irgendeine Forderung einer Minderheit nach Gleichberechtigung als unzulässiger Versuch der Einflussnahme und der Einschränkung der Mehrheitsrechte, dann können die Rechte der Mehrheit nur eines bedeuten: Ausschließlichkeit im relevanten Raum und die erwünschte Freiheit: das Recht, alles gleichschalten zu dürfen nach Belieben, was sich irgendwie unterscheidet, gegebenenfalls und im Extremfall: alles sich fortgesetzt Weigernde zu eliminieren, um, zunächst, die eigene Hegemonie zu sichern und zu erhalten, um den Feind dann nur noch draußen suchen zu müssen, Kogoj: Mit sodann ähnlicher Argumentation wie nach der Volks­abstimmung neunzehnhundertzwanzig: Im Inneren gebe es keinerlei Differenzen, hier ständen alle auf unserer Seite.

Kogoj: Meine haarsträubend verknappte Darstellung einer Argumentation, die kontinuierlich Verlustängste produziert. Nur scheinbar allerdings geht es hier noch um wertvolles Land. Denn weil die wirtschaftliche Bedeutung des Unterlandes längst nicht mehr die ist, die sie einmal war und seine Ausbeutung samt der seiner Bewohner ohne die vormals unbegrenzten Befugnisse der früheren Großgrundbesitzer keineswegs mehr sonderlich attraktiv erscheint, wird banales nationalistisches Herrschaftsinteresse der wahre Grund gewesen und heute noch immer sein, Kogoj: Und schon sind wir wieder beim Ulrichsberg, die Kämpfer, derer hier gedacht wird, sind niemand anderes als die Kämpfer eben dieses eliminatorischen Kampfes gegen jeden Zweifel an der Natürlichkeit solcher Verteilungen, hier wie an allen anderen öffentlichen Gedenkorten der Umgebung, Ziel sowohl des Kampfes als auch seines Gedenkens: die erwähnte Freiheit, die für die Mehrheit erst dann erreicht ist, wenn man noch den zögerlichsten Anspruch auf das geringste Anderssein in den Griff bekommen hat und unterdrückt: eine Angst, Kogoj: Des Ton- und Kapellmeisters, und der Klang berechnet zielsicher, was kommen wird, wogegen man sich jetzt und immer schon wehren muss: Befreiung des untergeordneten Anderen aus dem Joch, Verlust der Einheit, Verlust des Anderen, in Abgrenzung zu welchem allein man sich der eigenen Dominanz und Geschlossenheit auf ewig versichern kann und eines intakten Herrschaftsverhältnisses, der beruhigenden Sicherheit, dass da immer jemand unter einem ist.

Vorabdruck mit freund­licher Genehmigung des Verlags aus: Kevin Vennemann: Mara Kogoj. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2007. 217 S., 16,80 Euro. Das Buch erscheint am 19. Februar.

Kevin Vennemann, geboren 1977 in Dorsten/Westfalen, lebt in Wien und Berlin. 2002 erschien sein Erzählband »Wolfskinderringe«, 2005 sein Roman »Nahe Jedenew«. Kevin Vennemann liest im Rahmen der Leip­ziger Buchmesse am 22. März um 21 Uhr in der Moritzbastei. Weitere Informationen über seine Lesungen unter http://www.suhrkamp.de/autoren/autor.cfm?id=5082#veranstaltungen