Substitut auf Super 8

Der französische Fußballprofi Vikash Dhorasoo hat einen Film über sein Leben als Ersatzspieler während der WM gedreht. Und schaffte es damit zur Berlinale. von elke wittich und axel grumbach

Wenn ein Regisseur wegen seines Erstlings­werks in seinem Herkunftsland vom Pöbel gemobbt worden wäre und schließ­lich seinen Brotberuf verloren hätte, wären die Reaktionen der internationalen Filmszene die üblichen gewesen: Unterschriftenaktionen, Solidaritätsanzeigen, Benefizveranstaltungen.

Vikash Dhorasoo ist aber nur ein Fußballer. Er hat zusammen mit dem Regisseur und Produzenten Fred Poulet einen Film über die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland gedreht. »Substitute« ist kein Hochglanzsommermärchen, das, sorgfältig in Szene gesetzt, kumpelhafte Nähe zum Objekt vortäuscht, sondern zeigt das Ereignis aus der strikt subjektiven Sicht eines Ersatzspielers der fran­zösischen Equipe. Ohne größere Spielausschnitte, denn Dhorasoo kam während des Turniers insgesamt nur 16 Minuten lang zum Einsatz – und hatte von der Fifa keine offizielle Filmerlaubnis.

Die Idee zu dem Film »Substitute«, der in der vorigen Woche in der Sektion »Panorama« bei der Berlinale gezeigt wurde, war so dem Zufall geschuldet wie das erste Zusammentreffen von Poulet und Dhorasoo. Im Jahr 2002 erklärte der Regisseur in einem Kunstmagazin, den Fußballer gern kennen lernen zu wollen, weil er ihn für einen Fußballintel­lektuellen halte. Zufällig las Dhorasoo das Heft und nahm Kontakt zu Poulet auf, seither sind die beiden Männer miteinander befreundet.

Aber erst als der Mittelfeldspieler in den Kader der französischen Mannschaft berufen wurde, entstand die Idee, einen Film über die Weltmeisterschaft zu machen. Poulet gab seinem Freund eine Super8-Kamera und Filmmaterial, es sollte ein WM-Tagebuch entstehen. Ihm habe die Idee sofort gefallen, sagt Dhorasoo rückblickend, vielleicht weil er damals noch hoffte, als Stammspieler ein erfolgreiches Turnier zu absolvieren.

»Es ist, als hätte ein Vater seinen Sohn zwei Jahre lang trainiert, um einen Berg zu besteigen«, erläutert Dhorasoo im Film, wie er sich fühlte, als er erfuhr, dass der Trainer dem Altstar Zinédine Zidane den Vorzug gab. »Und wenn schließlich der Moment gekommen ist, den Berg zu besteigen, nimmt er den Sohn des Nachbarn. Ich wurde verraten.«

Entsprechend handelt sein Film vom trostlosen, langweiligen Leben als Ersatzspieler im abgeschotte­ten Mannschaftsquartier, beim Training, von den kurzen Besuchen der Ehefrau. Sein bei einer deutschen Familie in der Nähe wohnender Freund Pou­let, dessen Eindrücke von WM-Deutschland ebenfalls im Film gezeigt werden, hat große Schwierigkeiten, überhaupt mit seinem Freund in Kontakt zu kommen, und muss ihm einmal das benötigte Filmmaterial über den Sicherheitszaun des Hotels werfen.

Denn gedreht wurde »Substitute« nicht mit einer Digi-Cam, sondern auf Super 8, wobei der Ton gesondert mit einem Rekorder aufgenommen wurde. Poulet hat bewusst das antiquierte Format gewählt, das beliebiges Dauerfilmen ausschließt und vom Protagonisten verlangt, sich genau zu überlegen, was er abbilden möchte. »Ich wollte diesem medialen Spektakel WM mit seiner Hyper-Sichtbarkeit etwas entgegensetzen – so etwas wie eine Infra-Sichtbarkeit. In Ermangelung der Sichtbarkeit kann man Dinge ganz anders erkennen«, erklärte Poulet auf der Pressekonferenz während der Berlinale.

Die französische Tageszeitung Le Monde sah das ähnlich: »Trotz unscharfer Bilder mit zum Teil eigenwilligen Bildausschnitten und nicht synchron laufendem Ton ist ›Substitute‹ von einer nicht zu leugnenden melancholischen Schönheit. Der Film ist der persönliche Bericht von einer Enttäuschung.«

Nur Reservist zu sein, sollte allerdings nicht die einzige Enttäuschung für Vikash Dhorasoo bleiben. Seine Mannschaftskameraden und die Teamleitung wollten den Film am liebsten verbieten, der 32jährige gab deswegen seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt. Ende des vorigen Jahres wurde er als erster Spieler seit 32 Jahren in Frankreich aus disziplinarischen Gründen von seinem Verein Paris Saint-Germain gefeuert. Die Vorwürfe gegen ihn lesen sich wie das Psychogramm eines notorischen Störers: »Zuwiderhandlungen gegen die Verpflichtung des Spielers zur Zurückhaltung, mangelnde Loyalität, Aufsässigkeit und Ungehorsam sowie eine Attitüde permanenter Provokation.« In Wirklichkeit soll Dhorasoo einfach nur seinem Trainer widersprochen haben, der Club sah danach wohl die Gelegenheit, den Mann loszuwerden. Für die Fans war er nach der Weltmeisterschaft nämlich zum Hassobjekt geworden. Heucheleien eines Ersatzspielers liegen Dho­rasoo fern. »Wir haben das Spiel gewonnen. Nein, sie haben gewonnen«, sagt er im Film.

Dhorasoo war bis zur WM ein vom Erfolg verwöhnter Fußballspieler. Im Jahr 1993 unterschrieb er seinen ersten Profivertrag bei Le Havre AC. Fünf Jahre später wechselte er zu Olympique Lyon, wo er als Stammspieler zweimal Meister und zweimal Ligapokalsieger wurde. In dieser Zeit zerstritt sich der als ungewöhnlich intelligent und kritisch geltende Spieler allerdings auch mit seinem damaligen Trainer Jacques Santini. 2001 wurde er für ein Jahr an Girondins Bordeaux ausgeliehen und wurde dort Pokalsieger. Im jahr 2002 kehrte er nach Lyon zurück und wurde unter dem neuen Coach Paul Le Guen zum Stammspieler.

Nach einem einjährigen Intermezzo beim AC Milano ging Dhorasoo 2003 zu Paris Saint-Germain, wo er 2006 das entscheidende Tor im französischen Pokalfinale erzielte. Und im Oktober entlassen wurde.

Dabei hatte er nicht unbedingt Fußballspieler werden, sondern ursprünglich Wirtschaftswissen­schaften studieren wollen. In einem Interview sagte er: »Bis zur Unterschrift auf dem ersten Profivertrag war ich mir eigentlich niemals hundertprozentig sicher, ob ich die Kickerei wirklich zum Beruf machen wollte.«

Dem Bild des ausschließlich auf seinen Sport konzentrierten Fußballspielers hat er nie entsprochen. Er, dessen Großeltern aus Südindien nach Mauritius auswanderten, um dort auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten, wie er in einem Interview erzählte, wuchs in den banlieues von Le Havre auf. Dort musste er sich ständig gegen den alltäglichen Rassismus von Disco-Türstehern, Verkäufern, Kellnern, Polizeibeamten wehren. »Als ich meine erste Wohnung mieten wollte, fragte man mich im Maklerbüro, wie viele Kinder ich denn hätte. Schwarze, so scheint man automatisch zu denken, haben immer immens viele Kinder.«

Diskriminierung sei »jedoch nicht nur eine Sache der Hautfarbe, sondern betrifft eben auch Frauen, Behinderte und so weiter. Rassismus, Antisemitis­mus, Homophobie haben die gleiche Ursache. Ge­gen Diskriminierung zu kämpfen, ist für mich die natürlichste Sache der Welt«, begründete der Nationalspieler sein Engagement beim im Jahr 2003 gegründeten Pariser Fußballverein Paris Foot Gay (PFG), in dem Schwule, Heteros und Bisexuelle gemeinsam spielen und sich gegen die allgegenwärtige Homophobie im Fußball engagieren. Dho­rasoo ist Schirmherr des Multikulti-Clubs. »Ich tue das natürlich für die schwule Community, aber eben nicht nur für sie, sondern für alle Minderheiten, die diskriminiert und ausgegrenzt werden.« In Frankreich, wie in den meisten europäischen Ländern, hat sich noch kein Profi öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt, wohl auch, weil die Masse der Fußballfans dort besonders reaktionär ist. Der PFG wirbt dagegen mit zahlreichen Projekten für mehr Toleranz. »Ich habe mich daher schon immer Leuten nahe gefühlt, die sich auflehnen, die ihre Sache vertei­digen. Deshalb ist es nur natürlich, dass ich mit Minderheiten in Kontakt kommen möchte«, sagt Dhorasoo.

Dieses Engagement dürfte auch dazu beigetragen haben, dass er von den französischen Fans so ausdauernd gehasst wird. »Geh filmen«, riefen sie ihm während seiner letzten Spiele immer wieder hämisch zu. Auf der Pressekonferenz sagte Dhorasoo, dass er es nicht bereue, den Film gemacht zu haben, und dass er sehr stolz auf das Ergebnis sei. Was aus seiner Fußballkarriere werde, wisse er allerdings nicht. Das jüngste Probetraining beim englischen Erstligisten Fulham endete mit einer Beinverletzung.