Abgrenzung und Ausgrenzung

Eine kurze Geschichte der arabischen Einwanderung nach Deutschland. von ralph ghadban

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten die arabischen Exilanten, die dem Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, und dem Anführer des Aufstands von 1941 gegen die Briten im Irak, General Raschid Ali al-Kilani, ins nationalsozialistische Deutschland gefolgt waren, in ihre Länder zurück. Danach waren hier so gut wie keine Araber mehr anzutreffen. Erst die Suez-Krise von 1956, als britische, fran­zösische und israelische Trup­pen Ägypten an­griffen, veranlasste viele wohlhabende Araber dazu, ihre Kinder nicht länger nach Großbritannien oder Frankreich zum Studium zu schicken, sondern nach Deutsch­land.

Mit der Vereinigung Ägyptens mit Syrien (1958 bis 1961) erreichte der arabische Nationalismus seinen Höhepunkt, zugleich erhöhte sich die Repression gegen Oppositionelle, hauptsächlich gegen Muslimbrüder sowie gegen Kommunisten und Angehörige nationaler Minderheiten wie die Kurden. Manche von ihnen fanden den Weg als Flüchtlinge in die Bun­desrepublik und erhielten politisches Asyl. Besonders willkommen waren die Muslimbrüder, die als Verbündete des Westens gegen den Kom­munismus galten. Im Jahr 1960 begannen sie in München und in Aachen mit dem Bau von Moscheen und gründeten in beiden Städten Islami­sche Zentren; im Jahr 1962 wurde die Islamische Gemeinschaft Deutschland ins Leben gerufen, zwei Jahre darauf die muslimische Studentenvereinigung. Diese Organisationen spielen im heutigen deutschen Islam eine wichtige Rolle.

Im Jahre 1965 nahm die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen zu Israel auf, worauf die meisten arabischen Länder ihre Beziehungen zur Bundesrepublik abbrachen. Doch einige Länder, etwa Tunesien und Marokko, begnügten sich damit, ihre Botschafter abzuberufen. So konnten mit ihnen 1965 bzw. 1966 Anwerbeabkommen geschlossen werden, die zur Einwanderung von Zehntausenden »Gastarbeitern« führten. Eine Masseneinwanderung wie im Fall der Türken blieb allerdings aus, weil die Nordafrikaner die Auswanderung nach Frankreich bevorzugten.

Ab Mitte der sechziger Jahre nahmen immer mehr arabische Länder diplomatische Beziehungen zur DDR auf. Mit dieser für die westdeutsche Außenpolitik empfindlichen Niederlage verbunden war die Vergabe von ostdeutschen Stipen­dien an arabische Studenten. Es dauerte nicht lange, bis diese das Schlupfloch in der Berliner Mauer entdeckten. Spä­ter gelangten die meisten Flücht­linge aus den arabischen Ländern über diesen Weg nach Westdeutschland.

Anfang der siebziger Jahre wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den arabischen Ländern wieder aufgenommen, was die wirtschaftlichen Beziehungen förderte, aber keine weitere Einwanderung nach sich zog. 1973 wurde die Anwerbung von Gastarbeitern beendet. Wer später kam, kam zumeist als Asylbewerber. Die Krisen in der Region trieben mehr Menschen nach Deutschland, als die Anwerbeabkommen angezogen hatten.

Die schwerste Krise war der Bürger­krieg im Libanon (1975 bis 1990). Die Flüchtlinge aus dem Libanon, die Palästinenser, Mhalla­miye-Kurden oder Libanesen waren, bilden heutzutage mit 180 000 Menschen mehr als ein Drittel aller arabischen Einwanderer in Deutschland. Andere flüchteten vor den Konflikten in Somalia, Äthiopien, Algerien, im Sudan oder im Irak oder vor der Verfolgung der Islamisten in Syrien und Ägypten. Etwa 300 000 der geschätzten 450 000 Einwanderer aus arabischen Ländern kamen als Flüchtlinge.

Die meisten von ihnen sind weniger Opfer politischer Verfolgung als der Bürgerkriege, weshalb nur wenige als asylberechtigt anerkannt wurden. Die Mehrheit erhielt eine Duldung und mussten für lange Jahre in einem Status verharren, der ihre Integration unmöglich machte. Sie wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wo sie sich niederließen und mangels Alternativen die sozialen Verhältnisse aus ihren Herkunftsländern reproduzierten.

Auch eine Integration durch Arbeit fand nicht statt, das Arbeitsverbot verdammte diese Menschen zu langjähriger Untätigkeit oder trieb sie dazu, sich in der Schattenökonomie zu betätigen. Als die Politik endlich mit der »Altfallregelung« den Weg zur Integration der Geduldeten ebnete, war es für viele zu spät. Sie hatten sich in Parallelgesellschaften eingerichtet und weigerten sich, der Mehrheitsgesellschaft beizutreten.

Während bei den anderen Migranten die Arbeitslosigkeit je nach Nationalität zwischen 18 und 28 Prozent liegt, arbeiten schätzungs­weise 90 Prozent der einstigen arabischen Flüchtlinge gar nicht oder schwarz, selbst wenn sie inzwischen eine Arbeitserlaubnis besitzen. Und wenn, wie im vorigen Schuljahr in Berlin, über 30 Prozent der Ein­wan­derkinder die Schule ohne Abschluss verlassen, ist diese Quote bei den Kindern der Flüchtlinge aus dem Libanon, die in Berlin besonders zahlreich sind, wohl doppelt so hoch.

Die nordafrikanischen Arbeitsimmigranten leben heute in einer ähnlichen Situation wie die Türken und haben mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen; die Studenten und Geschäftsleute aus der arabischen Welt sind weit­gehend integriert und haben trotz ihrer relativ geringeren Zahl Persönlichkeiten wie den Sozialforscher Bassam Tibi, den Chamisso-Preisträger Rafik Schami oder den Maler Marwan hervorgebracht.

Viel schwieriger gestaltet sich die Integration der Flüchtlinge. Ein Indiz dafür ist ihr vergleichsweise hoher Anteil an der Kriminalität. Als Palästinenser und Kurden waren sie bereits im Libanon als Flüchtlinge ausgegrenzt. Hier mussten sie diese Erfahrung ein zweites Mal machen. Sie haben ihre Familien- und Clan­strukturen als Schutzschild bewahrt. Die ausgrenzende Asylpolitik begünstigte die Reproduktion dieser Struk­turen, so dass die Familienbande heute stärker sind als im Herkunftsland. Unter diesen Um­ständen hat die Verbes­serung ihrer recht­lichen Lage nicht zu der erhofften Integration geführt, sondern zum Gegenteil: Viele planen ihr Leben mit der Sozialhilfe und anderen Sozialleistungen und verdienen nebenher durch Schwarzarbeit.

Die Libanesen stammen überwiegend aus den Armutsvierteln um Beirut, aus materiellen Verhältnissen, die nicht viel besser waren als die der Kurden und Paläs­tinenser. So waren es zumeist die Ärmsten, die wegen der Sozialhilfe und der leichten Einreise über die DDR in die Bundesrepublik kamen; Menschen, die weder Verwandte im Ausland hatten, noch reich genug waren, um zu wählen, wohin sie gingen.

Nach dem Abbau der rechtlichen Dis­kriminierung hätte man annehmen können, dass die einstigen Flüchtlinge die Mehrheitsgesellschaft allmählich positiver zu betrachten beginnen. Dass dies oft unterbleibt und die Integration verweigert wird, liegt im erheblichen Maße am wachsenden Einfluss der islamistischen Ideologie.

1982 und 1983 wurde die säkulare PLO von Israel bzw. Syrien aus dem Libanon vertrieben. An ihre Stelle traten die Hizbollah und die Hamas, die Israel und den Westen bekämpfen. Auch in Deutsch­land beherrschen die Islamisten die Szene und erfreuen sich eines enormen Zulaufs. Ihr Einfluss strahlt auf die anderen Gruppen aus, so dass eine Integration der Gebildeten mitt­ler­weile oft in der parallelen Welt der Islamisten stattfindet und nicht umgekehrt. In diesem Milieu, das ständig die »Verdorbenheit« der deutschen Gesellschaft geißelt, ist es kein Wunder, dass bei den jungen Menschen die Gewaltbereitschaft gegen ihre Umgebung steigt.

Ralph Ghadban kam 1972 aus dem Libanon nach Deutschland. Nach Studien in Philosophie, Islamwissenschaft und Politologie ist er heute in der Migrationsforschung tätig.