Arme Hure, reiche Hure

Eine neue Studie dokumentiert die Lebenssituation von Prostituierten in Deutschland. von anke schwarzer

Ein Beruf wie jeder andere auch? Oder ist Prostitution eher dem Bereich Gewalt zuzuordnen und als Männerherrschaft anzusehen? Diese Frage ist in der Forschung wie innerhalb der Frauenbewegung umstritten. Viele Diskussionen laufen aber mittlerweile in der Endlosschleife. Die Beiträge wiederholen sich; die einen bringen Argumente für eine voranschreitende Normalisierung und Enttabuisierung des Sexgewerbes vor; andere betonen die ausbeuterischen und frauenfeindlichen Aspekte.

So wichtig diese Bewertungsfragen auch sind – angenehm nüchtern kommt da die Studie »Lebenssituation Prostitution« daher, denn sie konzentriert sich auf die konkreten Lebenssituationen von Frauen in den unterschiedlichen Bereichen der Prostitution. Die Sozialwissenschaftlerinnen Margrit Brückner und Christa Oppenheimer führten Interviews mit Sexarbeiterinnen aus drei Bereichen: der professionellen deutschen Prostitution, der Migrations- und der Beschaffungsprostitution. Im Fokus standen dabei Fragen zu Gewalterfahrungen und Gesundheit sowie nach den notwendigen und angemessenen Hilfsmöglichkeiten. Außerdem sollten die Auswirkungen des veränderten Prostitutionsgesetzes von 2002 untersucht werden.

Weiterhin gibt es nur Schätzungen, was das Ausmaß der Sexarbeit betrifft. Gesicherte Zahlen existieren wegen der hohen Dunkelziffer nicht. So schwanken die Angaben zwischen 100 000 und 400 000 Prostituierten in Deutschland, wovon mindestens die Hälfte Migrantinnen sind. Nicht nur die Gewerkschafter aus dem VW-Betriebsrat zahlen für ihre sexuelle Befriedigung: Rund 1,2 Millionen Männer nehmen jeden Tag die Dienste der Sexarbeiterinnen in Anspruch. Der Wirtschaftsfaktor Prostitution in Deutschland bleibt nach Schätzungen beachtlich: Der Umsatz liegt bei 14,5 Milliarden Euro jährlich, was fast dem Umsatz der Karstadt Quelle AG mit 15 Milliarden Euro entspricht.

Die Autorinnen konstatieren, dass die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft und die fortschreitende Verarmung in anderen Ländern auch in der Prostitution ihre Spuren hinterlassen haben. Die Lebenssituationen von Frauen in der Prostitution sind äußerst unterschiedlich. Auf der einen Seite dehne sich die Edelprostitution aus, auf der anderen weiteten sich die Grauzonen und Randbereiche. Da die Wohnungs- und Privatclubprostitution zunehme, sei die Bordellszene unübersichtlicher geworden, so die Autorinnen. Dennoch gebe es deutliche Hinweise, dass die Billigprostitution boome. Geringe Profite, hohe Freierzahlen, starke Konkurrenz und zunehmender Druck zu immer extremeren Praktiken für wenig Geld, weitgehend ausgeführt von Migrantinnnen, die oft unter einem höheren wirtschaftlichen Zwang stehen, prägen diesen Bereich.

Damit widerspricht die Studie der Behauptung von Tamara Domentat, Autorin des Buchs »Lass dich verwöhnen« (2003), wonach sich in der Prostitution in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten ein Paradigmenwechsel abzeichne und eine Entwicklung »weg von der Lustsklaverei hin zu normalisierten, humanisierten, selbstbestimmten Arbeitsplätzen« stattfinde.

Es mehren sich die Hinweise, dass insbesondere seit dem neuen Prostitutionsgesetz die Werbung offensiver betrieben wird und die Tageszeitungen immer weniger Hemmungen haben, Anzeigen mit so genannten tabulosen Angeboten und sexuellen Diensten ohne Kondom zu veröffentlichen. Brückner und Oppenheimer sehen die Gründe für die »zunehmende Entgrenzung« allerdings nicht in den Auswirkungen des liberalisierten Prostitutionsgesetzes von 2002. Sie erklären diese Entwicklung mit der zunehmenden Konkurrenz, dem ­begrenzten und tendenziell rückläufigen Markt (ohne die Datengrundlage für diese Behauptung zu offenbaren) sowie mit dem großen Angebot sexueller Dienstleistungen vor allem durch Migrantinnen aus sehr armen Ländern. All diese Faktoren hätten zu einer Absenkung der Verdienstmöglichkeiten beigetragen.

Die »zunehmende Entgrenzung« erklären sie auch damit, dass alte Normen und Kontrollmechanismen, etwa durch die regulierende Funktion der Zuhälter oder unter den Frauen selbst, nicht mehr greifen würden. Damit wachse der Druck, eine Vielfalt von Sex-Leistungen anzubieten. Außerdem steige die Notwendigkeit, sich gegenüber Nachfragen und auch Zumutungen von Freiern einerseits als geschäftstüchtig zu erweisen. Andererseits müssten die Frauen aber auch immer wieder durchsetzen, dass ihre eigenen Grenzen res­pektiert würden, was wiederum erforderlich mache, dass sie ein klares Gefühl für die eigenen Grenzen entwickeln und aufrechterhalten, um ihre psychische, körperliche und sexuelle Integrität zu bewahren.

Trotz aller Individualisierungs- und Ausdifferenzierungsprozesse in der Prostitution haben die beiden Wissenschaftlerinnen festgestellt, dass das Ausmaß von physischen und sexuellen Übergriffen und Gewalterfahrungen der befragten Frauen aus den drei Gruppen des Sexgewerbes (professionelle deutsche Prostitution, Migrations- und Beschaffungsprostitution) deutlich über demjenigen der allgemeinen Frauenbevölkerung in Deutschland liegt. Zwei Drittel der Befragten gaben an, mindestens einmal physische Gewalt mit Verletzungsfolgen erlebt zu haben. Die Mehrheit hat zudem sexuelle Gewalt – vor allem Vergewaltigungen – erlitten. Wie in der weiblichen Bevölkerung in Deutschland auch, gaben die meisten Frauen als häufigste Gewalt die durch den (Ex-)Partner zu Hause an. Allerdings stammte die größe Tätergruppe bei sexueller Gewalt aus dem Bereich der Prostitutionsarbeit, das waren also Freier oder Zuhälter. Zudem liegt der Anteil derjenigen, die in der Kindheit körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren haben, erheblich höher als in der weiblichen Gesamtbevölkerung.

Schlechter sei auch der allgemeine Gesundheitszustand, vor allem häufige Unterleibsbeschwerden und den Griff nach Psychopharmaka und Drogen führen die Autorinnen an. Hier kritisieren einige Sexarbeiterinnen wie auch Bordellbetreiberinnen die Abschaffung der verpflichtenden Gesundheitskon­trollen vor einigen Jahren. Gerade angesichts der Zunahme riskanter Sexualpraktiken seien gesundheitliche Untersuchungen heute sehr wichtig.

Illegalisierten Migrantinnen würde das allerdings auch nicht helfen. Bemerkenswert ist, dass vielen Sexarbeiterinnen das Prostitutionsgesetz von 2002 mit seinen weitergehenden Rechten für erwachsene Frauen mit Arbeitserlaubnis und seiner entdiskriminierenden Intention nicht bekannt war. Wenn das Gesetz jedoch bekannt war, hielten sie seine Wirkung allerdings angesichts der weiterbestehenden Doppelmoral für sehr gering.

Als Perspektive, wie mit Prostitution in emanzipatorischer Weise umgegangen werden soll, sehen die Autorinnen weiterhin eine sich auf den ersten Blick widersprechende Vorgehensweise: einerseits die rechtliche und soziale Lage für Frauen – und zwar für alle – in der Prostitution zu verbessern, andererseits die hierarchisierten Geschlechterverhältnisse und die Prostitution als solche, die mit ihren zugrundeliegenden Denkmustern patriarchale Strukturen stabilisiert, anzuprangern.

Margrit Brückner und Christa Oppenheimer: Lebenssituation Prostitution. Sicherheit, Gesundheit und soziale Hilfen. Ulrike-Helmer-Verlag, Königstein/Taunus 2006. 360 S., 29,90 Euro